Zwei Jahre nach ihrer Vertreibung hat die Armee des Sudans die Hauptstadt Khartum wieder weitgehend unter Kontrolle. Was bedeutet das für die grösste humanitäre Krise der Welt, die der Krieg ausgelöst hat?
In den vergangenen Tagen haben neue Schreckensmeldungen aus der westsudanesischen Region Darfur die internationale Öffentlichkeit erreicht. Nach mehrtägigen heftigen Gefechten ist es Kämpfern der hochgerüsteten Miliz Rapid Support Forces (RSF) und verbündeten Rebellengruppen gelungen, das Vertriebenenlager Samsam unter ihre Kontrolle zu bringen. Dabei sollen laut Augenzeugen mehrere hundert Personen getötet worden sein, unter ihnen das ganze medizinische Personal des letzten noch aktiven Spitals im Lager.
In Samsam nahe der Stadt al-Fasher hatten bis dahin 400 000 bis 500 000 vor dem Krieg im Sudan Geflohene unter prekärsten Verhältnissen gelebt. Al-Fasher gilt derzeit als letzte wichtige Bastion der sudanesischen Armee in Darfur. Hilfsorganisationen schlagen seit Monaten Alarm, dass die Vertriebenen in Samsam von den kriegführenden Parteien ausgehungert würden und sexueller Gewalt ausgeliefert seien. Nun meldet die Uno-Organisation für Migration, dass Hunderttausende Lagerbewohner erneut auf der Flucht seien.
Fast gleichzeitig mit der Eroberung von Samsam gaben die RSF am 15. April, zwei Jahre nach Ausbruch des Bürgerkriegs im Sudan, die Bildung einer Gegenregierung bekannt. «An diesem Jahrestag verkünden wir stolz die Gründung der Regierung des Friedens und der Einheit, einer breiten Koalition, die das wahre Gesicht des Sudan spiegelt», teilte der RSF-Chef Mohammed Hamdan Daglo auf dem sozialen Netzwerk Telegram mit. Zynisch fügte der Rebellenchef, den internationale Menschenrechtler der Kriegsverbrechen beschuldigen, an, seine Regierung wolle für alle da sein, die sich vergessen, marginalisiert und entrechtet fühlten.
Der militärische Erfolg der RSF in Darfur kann nicht darüber hinwegtäuschen, dass die Miliz im Zentrum des Sudan in Bedrängnis geraten ist. Ende März hatte ihre Gegenpartei, die Armee, die Rückeroberung von Khartum gefeiert. Mit einem symbolischen Besuch im Präsidentenpalast versuchte General Abdelfatah Burhan die Schmach der Vertreibung seiner Regierung aus der Hauptstadt wettzumachen.
Krieg mitten in der Millionenstadt Khartum
Steht der Krieg im Sudan nun an einem Wendepunkt? Derzeit habe das Militär eindeutig die Oberhand, sagt die sudanesische Journalistin Zeinab Mohammed Salih im Gespräch mit der NZZ. Aber die RSF-Rebellen kontrollierten weiterhin grosse Teile von Darfur und des südlichen Sudan. Auf dem Schlachtfeld, so ihre Einschätzung, könne der Krieg nicht mehr entschieden werden. Zu gross sei das Misstrauen zwischen den verschiedenen Gruppen und Ethnien im Sudan. Sie hofft auf eine internationale Intervention und sagt: «Überall ist Hass.»
Zeinab Mohammed Salih berichtete in den vergangenen zwei Jahren fast als einzige Journalistin aus allen Teilen des Sudan. Das Besondere an diesem Krieg sei, dass er nicht nur in entfernten Wüsten stattfinde, sondern im Herzen des Landes. «Der Krieg hat bei mir zu Hause begonnen», sagt die mutige Frau aus der an Khartum grenzenden Grossstadt Omdurman. «Er fand um mich herum statt. Die Menschen starben in meiner Umgebung. Auch meine Grossmutter kam um.»
Ausländische Medien hatten bis vor wenigen Wochen keinen Zugang zum Sudan; Zeinab Mohammed Salih berichtete unter anderem für die «Financial Times», die BBC und amerikanische Medien. «Ich sah Massengräber im Sand. Ich sah verkohlte Dörfer, ich sah die verbrannte Stadt al-Fasher», erzählt die Kriegsreporterin.
Ende 2024 verliess sie den Sudan schliesslich. Über die Gründe dafür mag sie nicht sprechen. Ihr Haus in Khartum sei längst geplündert worden, sagt sie nur. «Sogar die Fenster und Türen haben Soldaten der Armee gestohlen.»
Die Schäden, die zwei Jahre erbitterte Schlachten um Khartum angerichtet haben, sind enorm. Weite Teile der Hauptstadtregion sind zerstört.
Aktivistin berichtet von Racheakten in Khartum
Und doch sagt Amira bint Mohammed, eine junge Aktivistin in Khartum, im Gespräch mit der NZZ: «Die Stadt findet zum Leben zurück.» Nach der Vertreibung der RSF-Rebellen könnten die Bewohner erstmals seit zwei Jahren wieder auf die Strasse gehen, ohne sich vor Gewalt und Diebstahl fürchten zu müssen. Auch die Versorgung mit Nahrungsmitteln und Wasser funktioniere allmählich wieder. Sie berichtet von Hunderten von vor dem Krieg geflohenen Familien, die in ihre Häuser zurückkehrten – oder in das, was davon übrig geblieben sei.
Sie bestätigt aber auch Berichte anderer Augenzeugen, die von blutigen Racheakten sprechen. «Die Armee und mit ihr verbündete Milizen gehen nun in Khartum gegen Leute vor, die als Kollaborateure gelten. Tausende Menschen wurden in den letzten Tagen verhaftet oder sind einfach von den Strassen verschwunden.»
Aus Angst, dass ihr Ähnliches widerfahren könnte, lässt sie sich nur unter dem falschen Namen Amira bint Mohammed zitieren. Die sozial engagierte Frau lebt in einem Quartier, das bis zu deren Vertreibung unter Kontrolle der RSF-Rebellen stand; entsprechend gross ist die Zahl derer, die als Kollaborateure verdächtigt werden.
Einige Stadtteile Khartums sind nach wie vor Sperrgebiet, denn noch sind die RSF-Kämpfer nicht vollständig vertrieben. Vor allem im Süden Khartums, sagt Amira bint Mohammed, sei die Miliz weiterhin aktiv. «Die Kämpfer verstecken sich nun in Privathäusern und bewegen sich zu Fuss. So ist es für die Armee sehr schwierig, sie aufzuspüren.»
Erbitterter Kampf um die Macht
Der Krieg im Sudan brach im April 2023 mit dem Bruch der Koalition aus der Armee und der paramilitärischen Rebellenmiliz RSF aus. Seither kämpfen die zwei Kriegsherren, die in der von Gewalt geprägten Geschichte des Sudan schon mehrmals als Verbündete auftraten, erbittert um die Macht im Land. Dabei streiten der amtierende Staatschef Burhan und sein früherer Stellvertreter Daglo auch um wirtschaftliche Ressourcen des Sudan. Die RSF kontrolliert insbesondere die lukrativen Goldminen, die Armee ist mit den Staatsunternehmen und dem Bankenwesen verflochten. Beide Seiten werden von externen Akteuren unterstützt, die ihre eigenen Interessen verfolgen. Es geht auch um Ethnien, Migration und Geopolitik.
Daglos RSF kontrolliert heute Darfur und weite Teile des Südens, die Armee herrscht in Afrikas flächenmässig drittgrösstem Staat über den Norden und den Osten. Nach Einschätzung der Uno hat der Krieg die schlimmste humanitäre Krise der Welt ausgelöst. Hilfsorganisationen zufolge befinden sich derzeit ein Drittel der rund 50 Millionen Sudanesinnen und Sudanesen auf der Flucht. Etwa 25 Millionen Menschen haben nicht genug zu essen. Die medizinische Versorgung im Land und in den Flüchtlingslagern ist praktisch zusammengebrochen.
Menschenrechtsorganisationen werfen beiden Seiten Kriegsverbrechen vor. Am brutalsten ist der Krieg in der von der Zentralregierung vernachlässigten Region Darfur, wo die RSF vor Jahren entstanden ist. RSF-Kämpfer und mit ihnen verbündete Milizen massakrierten gemäss Menschenrechtsorganisationen Mitglieder rivalisierender ethnischer Gruppen. Anfang des Jahres stufte auch die amerikanische Regierung diese Morde als Genozid ein.