Vergnügungsparks wandeln sich zu kleinen Städten, um die Besucher möglichst lange an sie zu binden. Das Resultat sind deutlich steigende Besucherzahlen. Doch der Erfolg ruft neue Konkurrenten auf den Plan.
Die Zukunft des Vergnügungsparks – sie entsteht derzeit gerade in Saudiarabien. Ein Wahrzeichen des Projekts namens Qiddiya ist ein Theater, das auf einer Klippe nahe Riad thronen wird. Es beherbergt zwei Bühnen, die dank künstlicher Intelligenz und Augmented Reality Welten erschaffen, die Besucher zuvor noch nie gesehen haben – von fliegenden Drachen bis zu leuchtenden Wüstenpalästen.
Das Theater ist Teil eines umfassenderen Projekts, das weit über einen klassischen Vergnügungspark hinausgeht. Es gehört zur ersten Stadt weltweit, die rund um das Thema «Spielen» gebaut wird, wie die Planer sagen. 600 000 Menschen werden dort dereinst wohnen, dazu sollen Millionen von Besuchern kommen.
Saudiarabien, Abu Dhabi, Doha, Dubai: Nirgends auf der Welt werden derzeit in höherem Tempo Attraktionen aus dem Boden gestampft als im Nahen Osten. Das Tempo sei «beinahe surreal», sagt Jakob Wahl, Präsident der International Association of Amusement Parks and Attractions (IAAPA).
Dem globalen Branchenverband gehören rund 7500 Mitglieder an – von klassischen Freizeitparks über grosse Skigebiete bis hin zu Musikfestivals. Diese Woche trafen sich die Topmanager der Branche im Europa-Park im deutschen Rust. Im pseudorömischen Themenhotel «Colosseo» überreichten sie Auszeichnungen für die eindrücklichsten Neuheiten – und diskutierten hinter verschlossenen Türen über die Zukunft ihrer Industrie.
Viermal so gross wie Zürich
«Die neuen Projekte sprengen alle bisher bekannten Dimensionen», sagt Wahl. Die saudische Anlage entsteht auf einem 334 Quadratkilometer grossen Gelände und ist damit fast viermal so gross wie die Stadt Zürich. Sie bietet nicht nur rekordschnelle Achterbahnen, sondern auch Einkaufsmeilen, Hotels, die welthöchste Wasserrutsche und den weltweit ersten E-Sport-Distrikt samt Stadion, in dem Besucher mittels Virtual Reality tief in Spielwelten eintauchen.
Ein Vergnügungspark als Stadt, in der man sich tagelang verlieren kann: Qiddiya ist die Kulmination einer Entwicklung, die sich in der ganzen Branche beobachten lässt.
«Ursprünglich waren Freizeitparks Ziele für einen Tag», erklärt Jakob Wahl. Man fuhr morgens hin und am Abend zurück. Doch die Zeiten, in denen die Anlagen aus ein paar Achterbahnen, Wurstständen und einem grossen Parkplatz bestanden, sind längst vorbei.
Eigene Hotels werden ausgebaut
Begonnen hat diese Entwicklung damit, dass viele Freizeitparks eigene Hotels bauten. Ein riesiger Erfolg: Laut Andreas Andersen, Chef des schwedischen Freizeitparks Liseberg, machten Freizeitparks vor gut zwanzig Jahren nur wenige Prozent ihrer Einnahmen mit der Beherbergung. Heute liegt der Wert bei fast 25 Prozent.
Verbandspräsident Jakob Wahl sagt, praktisch jeder Vergnügungspark, der Hotels habe, denke derzeit darüber nach, diese zu erweitern – so erfolgreich sei das Konzept.
Die Parks bauen sich aber längst nicht nur eigene Hotels. Sondern eigene Shoppingcenter oder Räume für Konferenzen. Das Geschäft, das im Disneyland unter dem Titel «Business Solutions» läuft, hat sich laut Wahl ebenfalls zum grossen Erfolg entwickelt.
Die Zahlen sprechen für sich. Viele Vergnügungsparks öffnen ihre Tore im Frühling. «Der Saisonstart war sehr gut», sagt der Verbandspräsident Jakob Wahl zufrieden – allen wirtschaftlichen Turbulenzen zum Trotz.
Auch für die kommenden Jahre stehen die Zeichen auf Wachstum. 2025 werden weltweit 1,19 Milliarden Besucher erwartet, ein Zugewinn von 26 Prozent gegenüber 2023. Im Jahr 2028 sollen es bereits 1,44 Milliarden sein, ein Plus von über 50 Prozent im Vergleich zu 2023.
Für Europa prognostizieren die Experten ebenfalls eine positive Entwicklung. Die Besucherzahlen sollen von 180 Millionen (2023) auf 211,4 Millionen im Jahr 2028 steigen, ein Plus von 17 Prozent. Neue Parks sind im als eher gesättigt geltenden Europa allerdings die Ausnahme. Das Wachstum wird vor allem aus der Erweiterung der bestehenden Anlagen stammen – von Vergnügungsparks, aber auch von anderen grossen Attraktionen, etwa dem Zoo namens Pairi Daiza in Belgien.
Zoo plant Wasserpark
Die Anlage, die 60 Kilometer südwestlich von Brüssel liegt, beherbergt nicht nur über 7500 Tiere. Sondern auch Menschen. Das Pairi Daiza Resort bietet rund hundert Unterkünfte, in denen die Gäste Bären, Wölfe, Walrosse, Pinguine oder Tiger direkt aus ihren Zimmern beobachten können – etwa durch Panorama- oder Unterwasserfenster.
Der Zoo ist damit so erfolgreich, dass er bereits an einem Erweiterungsprojekt arbeitet: einem Wasserpark. In der Branche werden solche zusätzlichen Attraktionen als «second gate» bezeichnet, also als «zweiter Eingang»: Die Attraktionen gehören zwar zur Gesamtanlage. Die Besucher müssen aber ein eigenes Ticket für sie lösen.
Ein Beispiel ist der «Rulantica» genannte Wasserpark im Europa-Park, der 2019 öffnete. Das Ziel ist auch hier das gleiche: Die Gäste sollen nicht einfach unterhalten, sondern ganz aus dem Alltag herausgelöst werden – am besten über mehrere Tage hinweg, samt Übernachtungen vor Ort.
Das prominenteste dieser Erweiterungsprojekte entsteht derzeit in den USA. Am 22. Mai dieses Jahres wird der Unterhaltungskonzern Universal in Orlando seinen neuen Themenpark «Epic Universe» eröffnen.
Noch tiefer eintauchen
Dieser gilt als wegweisend, weil er das Eintauchen in fiktive Welten noch konsequenter umsetzt als bestehende Vergnügungsparks. Es gibt fünf verschiedene Welten mit eigenem Eingang und eigenem Thema. Dazu zählt etwa ein Harry-Potter-Park oder eine Welt basierend auf dem Animationsfilm «How to Train Your Dragon», in der sich Drachenfiguren bewegen und die Szenerie an ein Wikingerdorf erinnert.
Die Besucher sollen dort nicht einfach auf einer Achterbahn fahren und nach der aufregenden Fahrt das passende Plüschtier kaufen. Sondern sich noch im hintersten Winkel der Anlage fühlen, als wären sie Teil einer völlig anderen Welt. In der Harry-Potter-Anlage etwa dank magisch anmutenden Geräuschen und passenden Düften.
Zum Einsatz kommen auch neue Technologien. Ein digitales Armband dient als Eintrittskarte, Zahlungsmittel und Navigationshilfe. Mit der zugehörigen App lassen sich Wartezeiten in Echtzeit verfolgen, Mahlzeiten vorbestellen oder Attraktionen reservieren. Nur schlafen kann man nicht in der Anlage. Dafür muss man ins 500-Betten-Hotel, das ebenfalls zum Projekt gehört.
«Epic Universe» gilt in der Branche als richtungsweisend. Der Park integriere vor und hinter den Kulissen eine Menge neuer Technologien, sagt Andreas Andersen. «Davon wird sich die ganze Branche inspirieren lassen.»
Preise an der Schmerzgrenze
Die hohen Investitionen haben allerdings auch eine Kehrseite. Die zusätzlichen Attraktionen sowie die stetig aufwendigeren Bahnen treiben in vielen Parks die Eintrittspreise in die Höhe. Bereits vor der Pandemie war laut Branchenexperten ein deutlicher Anstieg zu beobachten.
Nach der Krise kam ein weiterer Effekt dazu: Viele Parks limitierten die Besucherzahlen, erhöhten dafür aber nochmals die Preise. Im «Magic Kingdom» von Walt Disney in Orlando zahlt eine vierköpfige Familie dieses Jahr in der Hochsaison bis zu 680 Franken für einen Tag, hinzu kommen Essen, Parkieren und Souvenirs.
Ursprünglich seien Vergnügungsparks eine sehr demokratische Form der Unterhaltung gewesen, sagt Andreas Andersen. Jede und jeder konnte sich den Eintritt leisten. Inzwischen sind viele von ihnen stärker zu einem Premium-Produkt geworden. Andersen sieht bei den Preisen vieler Attraktionen eine Schmerzgrenze erreicht. Das zeige sich daran, dass einzelne grosse Parks in den USA etwa Rabatte gäben oder versuchten, Besucher mit Jahrespässen zu binden.
Hohe Preise helfen aber auch der Konkurrenz – und diese schläft nicht. Das zeigt sich etwa bei Shoppingcentern und Innenstädten. Sie sind wegen des rasanten Wachstums des Online-Shoppings unter massiven Druck geraten. «Darum werden sie künftig auf die gleichen Instrumente setzen wie wir», sagt der Vergnügungspark-Chef Andersen.
Freizeitparks verkaufen laut Andersen nämlich nicht Eintrittstickets, Plüschtiere und Zuckerwatte. Sondern Erlebnisse, Erinnerungen, Emotionen. «Wir sind sehr gut darin geworden, die Gefühle unserer Besucher zu steuern», sagt er. Andersen hat in seinem Park kürzlich ein neues Hotel eröffnet. Ob mit Musik, speziellen Düften oder ausgeklügelter Beleuchtung: «Es gibt keinen Sinn, den wir dort nicht ansprechen.»
Die Konkurrenz hört mit
Freizeitparks galten lange als müder Abklatsch der Realität. Doch nun müssen innerstädtische Einkaufszonen, Museen oder Shoppingcenter erkennen: In vielen Belangen können sie nicht mehr mit ihrer Kopie mithalten.
Darum beginnen sie, Rezepte der Vergnügungsparks zu übernehmen. Ein Bericht der Immobilienexperten von Cushman & Wakefield etwa zeigt, dass bereits in zehn Jahren viele Flächen in den Innenstädten nicht mehr einfach Läden sein werden, sondern kleine Erlebniswelten.
In diesen verschmilzt Konsum mit Unterhaltung – vom Harry-Potter-Laden über eine Lego-Welt bis hin zu verschiedenen Restaurants. Besucher können Produkte auf spielerische Weise erleben. Es entsteht eine Welt aus Mini-Themenparks, welche Konzepte und Technologien nutzen, die Besucher auch aus Vergnügungsparks kennen.
Ein Beispiel ist das Einkaufszentrum American Dream in New Jersey: Nur rund 30 Prozent der Fläche entfallen dort noch auf klassische Verkaufsflächen. Der Rest sind Attraktionen, inklusive Wasserpark und Indoor-Skipiste.
Der Streamingdienst Netflix will noch dieses Jahr in amerikanischen Einkaufszentren sogenannte «Netflix Houses» eröffnen – Erlebniszentren, in denen Besucher physisch in die Welten populärer Serien eintauchen. Geplant sind interaktive Räume zu «Squid Game», ein Kostümball im Stil von «Bridgerton» sowie thematisch gestaltete Restaurants und Shops.
Doch wenn die halbe Welt zum Erlebnis wird: Welche Rolle bleibt dann noch für die klassischen Vergnügungsparks? Laut dem Verbandspräsidenten Wahl werden Freizeitparks versuchen, die Aufenthaltsdauer ihrer Gäste weiter zu verlängern – etwa mit Hotels, die noch stärker in eine Themenwelt eingebettet sind. Die Gäste sollen «noch stärker in eine eigene Sphäre eintauchen», sagt Wahl.
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