Donald Trump nutze die letzten Tage vor der Inauguration für Provokationen, sagt Niall Ferguson. Man müsse sie nicht wortwörtlich, aber doch ernst nehmen. Der Historiker zeigt sich besorgt, China könnte schon bald gegen Taiwan vorgehen. Und er ist überzeugt, dass Trump und Elon Musk enge Verbündete bleiben.
Herr Ferguson, was sagen Sie dazu, dass Elon Musk sich in die Politik Deutschlands, Frankreichs und Grossbritanniens einmischt?
Für die Europäer ist es üblich zu sagen, es sei schrecklich und unerhört. Man hört dies insbesondere von britischen Labour-Abgeordneten und sogar Ministern, die noch vor ein paar Monaten versucht haben, sich in die US-Wahlen einzumischen, indem sie für Kamala Harris geworben haben. Unterbrechen wir die Heuchelei. Es gibt nur sehr wenige Persönlichkeiten in der Geschichte, die mit Elon Musk vergleichbar sind. Ich habe ihn in einem Artikel, den ich vor etwas mehr als einem Jahr geschrieben habe, mit Napoleon verglichen: «Napo-Elon». Er ist eine aussergewöhnliche Kraft – für das Gute. Er hat Innovationen vorangetrieben wie niemand anderes vor ihm. Denken Sie an SpaceX und daran, wie Starlink weltweit unseren Zugriff auf das Internet verändert hat. Das Satellitennetzwerk spielte eine entscheidende Rolle in der Ukraine zu Beginn der russischen Invasion im Jahr 2022. Daher begrüsse ich Elon Musks Interventionen.
Und schauen Sie, wie er die britische Öffentlichkeit und die politische Klasse in England dazu gebracht hat, sich mit den Tatsachen des sogenannten «Grooming Gang»-Skandals auseinanderzusetzen. Vergewaltigungsskandal wäre eine treffendere Beschreibung für diese Verbrechen von muslimischen Männerbanden, die über Jahrzehnte Kinder in englischen Städten vergewaltigt hatten. Elon Musk wirkt wie ein Katalysator. Einige haben seit Jahren versucht, dieses Thema in den Fokus zu rücken. Meine Frau, Ayaan Hirsi Ali, hat darüber mehrere Seiten in einem Buch geschrieben. Und doch ist es nicht ins Bewusstsein einer breiteren Öffentlichkeit gelangt. Natürlich stimme ich nicht mit allem überein, was Elon sagt. Und ich nehme nicht an, dass er mit allem übereinstimmt, was ich sage.
Russland behandelt die besetzten Gebiete in der Ukraine immer mehr wie eigenes Territorium, China zementiert die Kontrolle in Hongkong. Nun schielt Donald Trump auf den Panamakanal, auf Grönland und Kanada. Bricht die regelbasierte Weltordnung zusammen?
Justin Trudeau reiste nach der Wahl eilig nach Florida, in der Hoffnung, den bösen Blick des designierten Präsidenten Trump irgendwie abwehren zu können. Er wurde im Speisesaal von Mar-a-Lago mit Witzen über Kanada als möglichen 51. Gliedstaat und darüber, dass er als Gouverneur im Amt bleiben würde, empfangen. Dies zeigt die Macht, die Trump jetzt hat. Mit einem lockeren Gespräch, mit einem Interview sorgt er für Aufregung. Aber das ist etwas anderes als eine Invasion der Ukraine. Die Invasion der Ukraine war eine illegale Handlung, eine Verletzung der Souveränität eines Nationalstaates.
Trump provoziert. Das macht ihm Spass. Er hat das Recht, Spass zu haben, denn im Moment ist er als designierter Präsident der König von Mar-a-Lago. Das ist grossartig, denn jeder muss kommen und sich bei ihm einschleimen und ihm den Ring küssen. Er hat einen Mordsspass dabei. Das alles wird am 20. Januar enden, wenn er zum Präsidenten der Vereinigten Staaten degradiert wird, einer Position, in der seine Macht sehr eingeschränkt sein wird. Dann wird er ein echtes Amt haben und nicht den Spassjob des Königs von Mar-a-Lago.
Sie sagen, man solle die Aussagen Trumps zu Grönland und zum Panamakanal nicht ernst nehmen?
Es gibt berechtigte Argumente dafür, dass Grönland nicht von Dänemark, sondern von den Vereinigten Staaten verwaltet werden sollte. Mein Kollege Steven Press von der Stanford University hat diesen Punkt in einem Artikel für das «Wall Street Journal» am 1. Januar angesprochen. Dies ist eine seit langem geführte Debatte. Warum ist Grönland in dänischem Besitz? Grönland liegt geografisch nicht näher bei Dänemark als bei Washington. Der Panamakanal ist ebenfalls eine ernste Angelegenheit. Vor fünfzig Jahren wurde heftig darüber diskutiert, ob die Vereinigten Staaten ihre Rechte daran abtreten sollten. Dies hat zu einer Reihe von Problemen geführt. Mit diesen Fragen werden sich der zukünftige Aussenminister und sein Sicherheitsberater befassen müssen. Man sollte Trumps Aussagen sowohl im übertragenen Sinn verstehen wie zugleich ernst nehmen und nicht nur eins von beiden, denn was empörend erscheinen mag, hat oft einen wahren Kern.
Wie wird Trumps Handelspolitik mit China aussehen?
Trump wird sich China gegenüber zunächst angriffig zeigen, aber wird das nicht unbedingt als Selbstzweck verfolgen. Schaut man auf Trumps erste Amtszeit zurück, wie es John Bolton in seinen Memoiren tut, wird deutlich, dass Trump immer gehofft hatte, mit Xi Jinping ein grossartiges und grandioses Abkommen aushandeln zu können. Und ich glaube noch immer, dass Trump diesen Nixon-Komplex in seinem Kopf hat, dass er wie Nixon 1972 irgendwann nach Peking gehen und etwas Historisches tun wird.
Man sollte sich Trumps Handelspolitik am besten als eine Abfolge von Ereignissen vorstellen und nicht nur als einen permanenten neuen Zustand. Zölle sind nach Ansicht von Trumps wichtigsten Beratern funktionierende Sanktionen. Sie werden eingesetzt, um Ergebnisse zu erzielen, als Hebel, nicht als Ziel an sich. Was China betrifft, so gibt es verschiedene Dinge, die die Vereinigten Staaten wollen. Sie wollen, dass China die Unterstützung für Russland bei dessen illegaler Invasion in der Ukraine einstellt. Sie wollen, dass China seinen systematischen Diebstahl geistigen Eigentums beendet. Sie wollen, dass China aufhört, das internationale Handelssystem zu manipulieren. Um Änderungen im chinesischen Verhalten zu erreichen, scheint die Verhängung von Zöllen durchaus sinnvoll zu sein.
Wie sieht es mit Trumps Handelspolitik in Europa aus?
Die Vereinigten Staaten haben gegenüber Europa ein ganz einfaches Ziel, nämlich die Europäer dazu zu bringen, mehr Verantwortung für ihre eigene Sicherheit zu übernehmen. Ich denke, dass die Handelspolitik genutzt werden wird, das zu erreichen. Die europäischen Verteidigungshaushalte sollten mindestens drei und nicht zwei Prozent des BIP betragen. Man kann davon ausgehen, dass es eine Phase aggressiver Handelspolitik geben wird. Führt sie zu den von Trump gewünschten Ergebnissen, würde das meiner Meinung nach die Handelsbeziehungen entspannen. Andernfalls würde der handelspolitische Druck bestehen bleiben.
Wie wird künstliche Intelligenz die Supermächte beeinflussen?
Es gibt zwei KI-Supermächte – und nur zwei: die Vereinigten Staaten und China. Derzeit kann man sagen, dass die USA China voraus sind, aber nicht weit. Die Vereinigten Staaten haben gewisse Vorteile. Diese wurden durch die US-Politik verstärkt, die den Zugang chinesischer Unternehmen zu den fortschrittlichsten Prozessoren einschränkt. Aber es ist beeindruckend, was China mit dem machen kann, worauf das Land Zugriff hat. Das ist also das Wettrüsten unserer Zeit, oder anders gesagt, es ist Teil eines umfassenden Wettrüstens, das Quantencomputer sowie konventionelle und nukleare Waffen umfasst.
Ein paar Dinge stechen heraus. Es ist sehr schwierig, eine Supermacht technologisch einzudämmen, und genau das haben die Vereinigten Staaten versucht. Das stand im Mittelpunkt der Strategie der Biden-Regierung: die Idee, dass man China irgendwie davon abhalten kann, aufzuholen, indem man den Zugang zu den fortschrittlichsten Halbleitern einschränkt. Ich glaube nicht, dass dies eine erfolgreiche langfristige Strategie ist. Genauso wenig hätte Grossbritannien verhindern können, dass Deutschland Eisenbahnen und Dampfkriegsschiffe baut. Letztlich muss es also einen Wettbewerb geben, der durch technologische Führung und nicht durch technologische Eindämmung bestritten wird.
Die Vereinigten Staaten gewinnen, weil sie über etwas verfügen, das China fehlt, nämlich den Zugang zu einem globalen Talentmarkt. Bei der KI geht es um Kapital, um Elektrizität, aber vor allem um Talente. Und die Talentströme fliessen immer noch überproportional in die Vereinigten Staaten. Solange die USA Talente anzieht, ist es wahrscheinlich, dass sie jedes technologische Rennen gewinnen, insbesondere gegen eine unfreie Gesellschaft mit einem Einparteistaat ohne Redefreiheit, wo die KI-Modelle dem Denken von Xi Jinping entsprechen müssen. Das ist ein grosses Handicap für China.
Der Historiker Arthur Schlesinger Jr. hat darauf hingewiesen, dass die grössten Präsidenten keine Einiger waren. Sie waren Spalter. Sie griffen Schlüsselfragen des nationalen oder internationalen Lebens auf und spalteten die Menschen darüber. Einiger gibt es nur im Rückblick betrachtet.
Das kann man auch über Ronald Reagan sagen. Er war in den Augen der liberalen Elite äusserst suspekt. Die Europäer hielten ihn für einen wilden Cowboy. Er wurde als B-Movie-Schauspieler verunglimpft. Und er erwies sich als einer der grossen Präsidenten. Nicht weil er die Menschen geeint hat, das hat er während seiner Amtszeit ganz sicher nicht getan.
Sehen Sie Trump in diesem Licht?
Trump sagte in einem Bloomberg-Interview im Sommer etwas sehr Interessantes: dass er William McKinley sehr bewundere, der von 1897 bis 1901 US-Präsident war. McKinley scheint ein interessantes Vorbild zu sein. Er war ein «Tariff Man», ein Befürworter der Zölle, wie Trump sich selbst bezeichnet. McKinley war es auch, der den progressiven William Jennings Bryan besiegte. Und er war ziemlich erfolgreich darin, das amerikanische Imperium zu erweitern.
Im Gegensatz zu McKinley ist Trump ein Isolationist.
Viele Menschen haben Trump im Laufe der Jahre als Isolationisten bezeichnet. Meiner Meinung nach ist das ein völliges Missverständnis. Trump ist eine Figur aus dem 19. Jahrhundert. Er mag das damalige amerikanische Modell. Man hatte Zölle als Einnahmequelle und liess sich nichts gefallen. McKinley führte den Krieg gegen Spanien und übernahm dann die Kontrolle über Puerto Rico, Guam, die Philippinen und annektierte Hawaii. Wenn Trump also von der Übernahme der Kontrolle über Grönland und den Panamakanal spricht, dann ist das McKinley.
Die meisten Menschen, die behaupten, die amerikanische Geschichte zu kennen, sind in Bezug auf das späte 19. Jahrhundert erschreckend ahnungslos. Das ist seltsam, denn es ist für unsere Zeit am relevantesten. Wir leben im neuen goldenen Zeitalter. Schauen Sie sich die Einkommensverteilung an, schauen Sie sich die Vermögensverteilung an. Und wir haben mit Donald Trump den Inbegriff des goldenen Zeitalters zum Präsidenten, der nach den Regeln des 19. Jahrhunderts spielt.
Noch vor wenigen Monaten befand sich Israel in einem Mehrfrontenkrieg. Heute ist die Nachbarschaft Israels sicherer als je zuvor. Alles ist weit geöffnet. Man könnte nach Iran fliegen und die Nuklearanlagen zerstören. Was glauben Sie, wird in diesem Jahr im Nahen Osten passieren?
Iran steht kurz davor, die nukleare Schwelle zu überschreiten. Die Regierung Netanyahu hat Israel trotz aller Kritik, die auf ihm lastet, vor einem Jahr aus einer unglaublich schwachen Position befreit. Israel hat den grössten Teil der Hamas vernichtet, den Hizbullah geschwächt und enthauptet sowie Iran als Papiertiger entlarvt, der nicht über die Fähigkeit von Luftangriffen verfügt und grosse Lücken in der Verteidigung aufweist. Das ist eine erstaunliche Liste an Errungenschaften, egal, was man von Netanyahu halten mag.
Warum sollte man also die Iraner einfach so davonkommen lassen, vor allem, wenn die Regierung in Teheran bei der eigenen Bevölkerung so unbeliebt ist? Ich sehe keine guten Gründe. Es geschieht nur darum nicht, weil die Biden-Regierung Israel diese Restriktionen auferlegt hat. Ich gehe davon aus, dass diese am 20. Januar aufgehoben werden. Ich wäre sehr überrascht, wenn nicht schon bald darauf Konsequenzen für Iran folgen würden. Israel etabliert sich als dominierender Akteur im Nahen Osten, nicht als umzingelter, verwundbarer und winziger Akteur, sondern als dominierender.
Wie wird die Präsidentschaft Bidens in die Geschichte eingehen?
Wie ich 2021 vorausgesagt habe, war Biden wie ein Jimmy Carter mit Demenz. In zweierlei Hinsicht. Erstens: der Inflationsfehler. Das war auch eines der prägenden Merkmale von Carters Präsidentschaft. Die Teuerungswelle war nicht gänzlich seine Schuld, aber er hat das Problem sicherlich nicht gelöst. Zweitens: die Schwäche im Ausland. Carter erwies sich in der Abschreckung als äusserst unfähig. 1979 wurde die Islamische Republik in Iran ausgerufen, und es begann die sowjetische Invasion in Afghanistan. So gesehen hat Biden die Präsidentschaft Carters wiederholt: Das gilt für den Inflationsfehler, der praktisch vom ersten Tag an vorhersehbar war, und es trifft auch auf aussenpolitische Fehler zu, beginnend in Afghanistan im Jahr 2021. Dann die Fehler in Osteuropa, die zur russischen Invasion führten, schliesslich jene im Nahen Osten, deren Folgen sich am 7. Oktober zeigten. Und wenn die Biden-Regierung noch mehr Zeit gehabt hätte, wäre Amerika sicherlich in einen Konflikt im Fernen Osten gestolpert.
Bereitet Ihnen Taiwan schlaflose Nächte?
Trump erbt eine äusserst gefährliche Situation in Asien. Die Biden-Regierung hat grosse Reden zu Taiwan geschwungen. Diese wurden nicht durch glaubwürdige Abschreckung untermauert. Tatsächlich hat die Biden-Regierung es versäumt, unsere Gegner abzuschrecken. Diese Gegner haben eine Achse gebildet. China, Russland, Iran und Nordkorea arbeiten nun offen gegen den Westen zusammen. Das wird eine Menge Arbeit erfordern. China könnte versucht sein, in der Taiwan-Frage eher früher als später zu handeln. Die Trump-Regierung wird ein paar Jahre brauchen, um Taiwan ausreichend mit Waffen auszurüsten und zu schützen. Das ist eine Chance für Xi Jinping, wenn er risikobereit genug ist. Taiwan wird in den nächsten Jahren ein grosses Risiko bergen.
Wann wird die Romanze zwischen Trump und Elon Musk enden?
Alle glauben, dass diese Beziehung aufgrund ihrer beiden grossen Egos innerhalb weniger Wochen auseinanderfallen wird. Ich bin da anderer Meinung. Beide haben sehr gute Gründe, enge Verbündete zu bleiben. Die Reibereien werden nicht zu einem Bruch führen. Sie gehen sogar zusammen Golf spielen. Ihre Chemie ist bemerkenswert gut. Es herrscht gegenseitiger Respekt. Musk zollt Trump diesen – vor allem, wenn es um Golf geht.
Rolf Dobelli hat das Gespräch mit dem Historiker Niall Ferguson im Rahmen einer Veranstaltung der Stiftung World.Minds per Zoom geführt. Die von Dobelli gegründete Stiftung veranstaltet internationale Symposien, um führende Stimmen aus Wissenschaft, Wirtschaft und Kultur zu vernetzen. Rolf Dobelli ist Schriftsteller und lebt in Bern.