Die neue amerikanische Waffenhilfe ist eine riesige Erleichterung für die arg bedrängte Ukraine. Doch niemand kann sich darauf verlassen, dass dies die Wende im Verteidigungskrieg bedeutet.
Endlich fliesst die dringend benötigte Militärhilfe aus den USA wieder in die Ukraine. Kommende Woche müssen noch formal nötige Beschlüsse im Senat und im Weissen Haus getroffen werden, doch dann wird es nur wenige Tage dauern, bis die gut organisierte amerikanische Militärlogistik die ersten Munitionslieferungen an die Ukraine wird übergeben können. Die erschöpften und arg bedrängten ukrainischen Soldaten werden sie sofort gegen den übermächtigen Gegner an der Front einsetzen.
Ohne die neuen amerikanischen Waffen und Munitionslieferungen wären der Zusammenbruch und die Zerstörung des riesigen osteuropäischen Landes unter der brutalen russischen Kriegsmaschinerie nur noch eine Frage der Zeit. Der politische Durchbruch in Washington von diesem Wochenende ist eine positive Überraschung nach monatelangen Verzögerungstaktiken republikanischer Politiker. Die westliche Welt darf sie für einen kurzen Moment feiern, doch zum Aufatmen und Zurücklehnen ist es aus zwei Gründen zu früh.
Trumps Zustimmung bleibt volatil
Erstens bleibt die politische Unterstützung der USA für den ukrainischen Verteidigungskampf prekär. Es ist noch nicht einmal vollends klar, was die erfreuliche Wende im Kongress ermöglicht hat. Eine wichtige Rolle spielte das Verhandlungsgeschick des republikanischen Speakers Mike Johnson im Repräsentantenhaus. Er selbst stellte sich lange gegen die Hilfen. Doch nun erkannte er, mutmasslich unter dem Eindruck der verheerenden Meldungen russischer Vorstösse und ukrainischer Verzweiflung an der Front, dass der Zeitpunkt für ein Umdenken gekommen ist – und förderte dieses mit diskretem Geschick. Dabei richtete er sich allerdings keineswegs gegen den früheren Präsidenten Donald Trump, sondern erreichte dessen Zustimmung zu einem neu verpackten, inhaltlich aber praktisch gleichen Unterstützungspaket für die Ukraine, das derselbe Trump zuvor monatelang torpediert hatte.
Die Episode zeigt: Ohne Trump geht weiterhin nichts bei den Republikanern. Und Trumps Unberechenbarkeit und sein rein transaktionales politisches Denken zum eigenen Vorteil können für die Ukraine nur eines bedeuten: Es gibt keine Garantien für die Zukunft. Dass Trump sich diesmal zu den Hilfen überreden liess, hat mutmasslich damit zu tun, dass er eine rasche Niederlage vor dem Wahltag im November verhindern wollte, um sein eigenes Wahlversprechen eines von ihm verhandelten Friedensdeals «innert 24 Stunden» aufrechtzuerhalten. Das sagt nichts darüber aus, wie er sich beim nächsten Mal entscheiden wird.
Aber nicht nur bei Trump, auch im weiteren politischen Washington bleibt die Unterstützung der Ukraine volatil. Am Samstag haben immer noch mehr als die Hälfte der Republikaner gegen das Hilfspaket gestimmt, ähnlich war das Verhältnis zuvor im Senat. Dank den Demokraten reichte es für ein klares Ja, aber bei den Republikanern bleiben die Widerstände gross. Und auch Präsident Biden hat sich in den letzten zwei Jahren stets schwergetan, amerikanische Waffensysteme schnell und entschlossen genug an die Ukraine zu liefern. Raketenwerfer, Panzer, Kampfflugzeuge, Munition – alles kam immer zu spät und zu spärlich, als dass die Ukraine an der Front einen entscheidenden Vorteil hätte erringen können. Nichts deutet darauf hin, dass sich das nun ändern wird.
Russland ist noch lange nicht zurückgedrängt
Der zweite Grund für nur verhaltene Freude über den Durchbruch in Washington ist die strukturelle russische Überlegenheit im Krieg, die der Ukraine so schwer zu schaffen macht. Das riesige Land mit seiner heute rund viermal so grossen Bevölkerung verfügt über gewaltige Ressourcen, die es in den Krieg werfen kann. Im Unterschied zu Kiew sitzt in Moskau ein Diktator. Wladimir Putin kann es sich politisch leisten, Hunderttausende zumeist verarmte Bürger in einen ebenso sinnlosen wie mörderischen Krieg zu schicken, aus dem viele nicht zurückkehren.
Und er hat die Macht, die Zukunft der russischen Wirtschaft zu verspielen, indem er eine Kriegswirtschaft im sicheren russischen Hinterland auf Hochtouren treibt. Sie spuckt wöchentlich Artilleriegranaten, Drohnen, Raketen, Panzer und Geschütze aus, die sogleich an die ukrainische Front geworfen werden. Die zu Kriegsbeginn von vielen Militärstrategen geteilte Hoffnung, die russischen Militärbestände würden durch den enormen Verschleiss des Krieges über die Jahre langsam aufgezehrt werden, hat sich nicht erfüllt.
Beide Faktoren, die innenpolitische Volatilität in den USA und die strategische Überlegenheit Russlands, können für die europäischen Verbündeten der Ukraine nur eines bedeuten: Sie dürfen nicht nachlassen. Das Land steht wegen des Mangels an Munition und modernen Waffensystemen am Rande der Niederlage. Die 60 Milliarden Dollar aus den USA sind eine grosse Erleichterung, aber sie werden nicht reichen.
Abwehr von Putins Imperialismus wird zur Daueraufgabe
Am dringendsten ist die Stärkung der Luftverteidigung. Dass die Ukraine überhaupt noch als Staat existiert, ist in erster Linie dem Umstand zu verdanken, dass es Russland nie gelungen ist, die absolute Luftüberlegenheit zu erringen. Doch mittlerweile nähert sich Putins Kriegsmaschinerie diesem Zustand an. Die brutalen Folgen sind an der Front zu beobachten, wo sich die Ukrainer unter dem gnadenlosen Bombardement der Russen seit Monaten auf dem schleichenden Rückzug befinden. Sie sind aber auch etwa in der einstigen Millionenstadt Charkiw zu sehen, die durch die gezielte Bombardierung offenkundig unbewohnbar geschossen werden soll, und in der gezielten Zerstörung der Stromversorgung im ganzen Land. Deutschland hat vergangene Woche die rasche Lieferung eines weiteren Patriot-Systems zur Luftverteidigung versprochen. Weitere sind dringend nötig, inklusive Munition.
Im Frühjahr sollen die ersten F-16-Kampfflugzeuge aus westeuropäischen Beständen folgen, doch ihre Zahl ist viel zu gering, als dass sie einen signifikanten Unterschied machen könnten. Auch hier kann Europa mehr tun. Das Wichtigste ist aber, dass sich in den europäischen Hauptstädten und Washington die Erkenntnis nicht nur rhetorisch, sondern auch in Taten durchsetzt: Die dreissigjährige Ära von Frieden und Entspannung in Europa ist bedauerlicherweise zu Ende.
Unter dem Druck von Putins russischem Imperialismus müssen die USA und die westeuropäischen Staaten unverzüglich wieder viel mehr Geld in die eigene Verteidigung investieren. Der Westen braucht wieder viel mehr Artilleriegranaten, Drohnen, Luftverteidigungssysteme, Geschütze, Panzer, Munition und Systeme zur elektronischen Kriegsführung. Das wird eine kostspielige Daueraufgabe sein. Die Umsetzung dieser unpopulären Erkenntnis ist bestenfalls in Ansätzen sichtbar.