Der amerikanische Präsident will mit hohen Zöllen das Land reindustrialisieren. Doch damit sich Firmen wieder in den USA ansiedeln, braucht es mehr.
Reindustrialisierung ist für Donald Trump das Gebot der Stunde. Und zahlreiche Unternehmenschefs folgen ihm und verkünden Milliardeninvestitionen in Fabriken.
Teils tun sie das, um Präsident Donald Trump zu gefallen, teils reagieren sie damit auf die hohen Zölle, die er einführt. Viele Unternehmer hatten solche Pläne aber schon vor Amtsantritt des Republikaners gefasst. Schliesslich wollten auch die Demokraten unter Präsident Joe Biden die Industrie in den USA stärken, auch wenn sie dafür vorrangig auf Subventionen und Industriepolitik setzten.
Ein stetiger Niedergang
Auf den ersten Blick scheinen Biden und Trump recht zu haben: Der amerikanische Industriesektor ist tatsächlich geschrumpft. Er beschäftigt heute nur noch 8 Prozent aller arbeitstätigen Amerikaner. In den 1950er Jahren waren es noch mehr als 30.
Trumps Handelsbeauftragter Peter Navarro sieht das 1994 in Kraft getretene Freihandelsabkommen mit Mexiko und Kanada sowie die 2001 erfolgte Aufnahme Chinas in die Welthandelsorganisation als Sündenfall, der zum Niedergang der amerikanischen Industrie geführt habe.
Doch Trump und Biden haben mit ihrer bisherigen Industriepolitik keine Trendumkehr bewirken können. Wird die radikale merkantilistische Politik, die Trump nun in seiner zweiten Amtszeit verfolgt, das ändern?
Immerhin: Der Pharmariese Eli Lilly will für 27 Milliarden Dollar vier neue Fabriken im Land bauen, unter anderem um den Bedarf an der Fett-weg-Spritze Zepbound zu decken. Die Tech-Riesen Nvidia und Apple wollen Hunderte Milliarden in die Fertigung in den USA investieren. Der europäisch-amerikanische Autobauer Stellantis will für 5 Milliarden Dollar ein brachliegendes Werk in Illinois reaktivieren.
Auch ausländische Grossunternehmen wie der Autobauer Hyundai oder der Chiphersteller TSMC haben grosse Investitionen in den USA angekündigt. Aus der Schweiz hat es ABB auf Trumps Liste von «Manufacturing Wins» geschafft: mit dem Versprechen, 120 Millionen Dollar in Mississippi und Tennessee in die Produktion von Niederspannungskomponenten zu investieren.
Viele offene Stellen
Doch es gibt ein Problem: Den USA fehlen schon heute zahlreiche Fachkräfte. Die neueste Arbeitsstatistik zeigt: Auf 7,8 Millionen offene Stellen kommen bloss 7,1 Millionen registrierte Arbeitslose. Hinzu kommt, dass die Arbeitssuchenden oft nicht die richtigen Qualifikationen für die offenen Stellen ausweisen. Es klafft damit schon heute eine grosse Lücke.
Wenn Trump nun Millionen von neuen Jobs ankündigt – und angenommen, diese Jobs entstehen tatsächlich –, wo sollen die Millionen von Arbeitskräften dafür herkommen?
Junge Arbeiter fehlen
Eine Ursache für den Fachkräftemangel ist die Alterung der Bevölkerung. Diese schreitet in den USA zwar nicht so schnell voran wie in Ostasien oder grossen Teilen Europas. Die Zahl der Geburten ist in den vergangenen Jahrzehnten nicht so rasch zurückgegangen wie anderswo. Aber auch in den USA liegt die Fertilitätsrate schon länger bei deutlich weniger als 2,1 Kindern pro Frau – dem Wert, der ohne jegliche Zu- und Abwanderung für eine stabile Bevölkerung sorgt.
Die Babyboomer gehören in den USA zudem zu den grössten Jahrgängen überhaupt. Seit Ausbruch der Pandemie im Jahr 2020 haben sie sich in Massen in die Rente verabschiedet. Viele nutzten die staatlichen Zuschüsse zu Beginn der Covid-Zeit, um den Traum der Frühpensionierung zu verwirklichen. Die nachrückenden Jahrgänge sind kleiner und können die Babyboomer im Arbeitsmarkt nicht ersetzen.
Die Zahl der amerikanischen Arbeitskräfte ist lange Zeit trotzdem gewachsen, weil Millionen von vorwiegend jungen Ausländern in die USA gezogen sind. Viele taten das auf legalem Weg, seien es IT-Spezialisten aus Indien, Junior-Bankerinnen aus Grossbritannien oder Bauarbeiter aus Mexiko.
Millionen von Migranten reisten zudem ohne Aufenthaltserlaubnis in die USA ein und arbeiteten auf dem Bau, in der Kinderbetreuung oder der Landwirtschaft. Während der Pandemie wurde dieser stete Zustrom schon einmal für zwei Jahre unterbrochen, was für eine bleibende Lücke im Arbeitsmarkt gesorgt hat.
Nun hat Präsident Trump angekündigt, die illegale Zuwanderung zu stoppen. Er könnte auch die legale Migration drosseln, doch darüber ist sich seine Administration uneins.
Unbeliebte Industriejobs
Manche Gewerkschafter sehen hingegen keinen Fachkräftemangel, sondern viel Potenzial für einen industriellen Aufschwung. Die Autobranche habe nach grossen Entlassungswellen ungenutzte Kapazitäten, sagt zum Beispiel Shawn Fein, der Chef der einflussreichen Gewerkschaft der Autoindustrie.
Die Arbeitgeber sehen das anders. Carolyn Lee, die Präsidentin der Ausbildungsinitiative The Manufacturing Institute, sagte dem «Wall Street Journal»: Es gebe zwar einige Industriezweige – Autos, teurere Haushaltgeräte, Landwirtschaftsmaschinen –, die mit rückläufigem Absatz kämpften und Mitarbeiter entlassen hätten. Aber das sei nur eine Minderheit aller (Industrie-)Branchen. Zahlreiche Unternehmen suchten händeringend nach Arbeitskräften.
Stacy McCoy, Vizepräsidentin des auf die Industrie spezialisierten Arbeitsvermittlers Employbridge, sieht das Problem andernorts: Industriebetriebe hätten ein schlechtes Image beim Nachwuchs. Viele Jugendliche wollten keine Jobs, die auch einmal 12-Stunden-Schichten umfassten – sie wollten Flexibilität und von zu Hause aus arbeiten. Viele glaubten, die Arbeit in Fabriken sei dreckig und erfordere keine Qualifikationen.
Die Unternehmen wiederum finden, dass diejenigen jungen Erwachsenen, die sie überhaupt für eine Arbeit in der Fabrik begeistern können, oft schlechte Arbeit leisten. Zudem würden zu viele Schüler in ein Studium gedrängt, auch wenn eine praktische Ausbildung für viele lukrativer und passender wäre.
Das Kernproblem bleibt, dass sogenannte Blue-Collar-Berufe in den USA einen zu niedrigen Stellenwert haben. Die praktische Berufsausbildung ist, anders als etwa in der Schweiz oder Deutschland, zu wenig akzeptiert. Manche ausländischen Grossunternehmen bieten zwar schon seit Jahrzehnten gemeinsam mit örtlichen Schulen und Colleges Lehrgänge an, die dem mitteleuropäischen Modell gleichen. Aber diese Initiativen bleiben die Ausnahme.
Automatisierung als Ausweg
Der Fachkräftemangel wird die Reindustrialisierung der USA nicht verunmöglichen, doch die Unternehmen werden in ihren Fabriken möglichst viele Arbeitsschritte automatisieren. Die Forschung hat längst aufgezeigt: Viele der verlorengegangenen Industriejobs fielen in den vergangenen Jahrzehnten der Automatisierung zum Opfer. Fortschritte in der Robotik oder bei KI deuten darauf hin, dass dieser Prozess weiter andauern wird.
Die Kernfrage ist damit aber noch nicht beantwortet: Ist die Reindustrialisierung überhaupt sinnvoll? Trump und seine Regierung argumentieren, es sei eine Frage der nationalen Sicherheit: Die Fabriken, das Personal und das Fachwissen der Industrie seien entscheidend dafür, etwa im Kriegsfall rasch die Produktion von Rüstungsgütern zu erhöhen.
Überhaupt soll eine starke Industrie dabei helfen, dass die USA weniger stark von Importen von strategisch wichtigen Gütern abhängig sind. Trumps Handelsbeauftragter Peter Navarro verweist beispielsweise regelmässig auf die Erfahrungen aus dem Zweiten Weltkrieg. Die USA hätten nur deswegen zum «Arsenal der Demokratie» werden sowie Grossbritannien und die Sowjetunion entscheidend gegen die Nazis unterstützen können, weil sie ihre enorme Industriekapazität so rasch auf die Kriegsproduktion hätten umstellen können.
Zudem will Trump mit der Reindustrialisierung die Handelsbilanzdefizite gegenüber dem Ausland verkleinern und viele gutbezahlte Jobs für Amerikaner schaffen – das hat er seinen Wählern versprochen.
Die Gegner von Trumps Industrieplänen sagen: Die USA seien eine Dienstleistungswirtschaft geworden, und das sei gut so. Niemand wolle die dreckigen, gefährlichen Jobs der 1970er Jahre zurück. Die Arbeitslosenquote liegt zudem mit etwas mehr als 4 Prozent ziemlich tief.
Die Deindustrialisierung Amerikas ist Teil einer Entwicklung im gesamten Westen. Selbst in Ländern mit traditionell grossen Industriesektoren – Deutschland, Italien, Japan – ist der Beschäftigungsanteil im zweiten Sektor rückläufig.
Donald Trump ist zwar der mächtigste Mann der Welt, doch selbst er kann die Uhr nicht zurückdrehen.