Das politische Kräftemessen findet nicht mehr in Hinterzimmern statt, es wird medial inszeniert. Der ukrainische Präsident bekam das im Oval Office schmerzhaft zu spüren.
Es passiert in der vierzigsten Minute des Gesprächs zwischen den zwei mächtigsten Männern der USA und ihrem ranghohen Gast. Wolodimir Selenski, der ukrainische Präsident, wendet sich an den amerikanischen Vizepräsidenten J. D. Vance: «Kann ich Sie etwas fragen?» Der antwortet knapp: «Sicher.» Von diesem Moment an nimmt das Unheil seinen Lauf.
Selenski, der sich vielfältige Demütigungen gefallen lassen musste, holt aus zu einem historischen Exkurs, um Vance von der bösartigen Unberechenbarkeit Wladimir Putins zu überzeugen. Umsonst. Spätestens nach dieser Unterbrechung ist Vance’ Geduld am Ende. Er entgegnet Selenski in brüskem Ton: «Bei allem Respekt, ich finde es respektlos, dass Sie ins Oval Office kommen und versuchen, das vor den amerikanischen Medien zu lancieren.»
This is exactly what happened between Zelensky, JD Vance, and how Trump intervened
Zelensky: What kind of diplomacy, J.D., you are speaking about?
Vance: I think it’s disrespectful for you to come into the Oval Office and try to litigate this in front of the American media 1/ pic.twitter.com/a3Y7Uy7lTq
— Tymofiy Mylovanov (@Mylovanov) February 28, 2025
Es ist kein Zufall, dass man am Ende dieser 49-minütigen Unterredung vor laufenden Kameras eher den Eindruck gewinnt, einen mitreissenden Kinofilm gesehen zu haben, und nicht, Zeuge eines hitzigen Austauschs zwischen zwei Staatschefs geworden zu sein. Denn was sich hier abgespielt hat, war mehr als eine unvorhergesehene Konfrontation – es war ein medialer Wendepunkt.
Trump, Vance und ihr Tech-Verbündeter Elon Musk haben die Spielregeln der politmedialen Öffentlichkeit neu definiert. Wer sie nicht beherrscht, wird von ihren Worten, Bildern und Tweets gnadenlos überrollt – so wie es Selenski vor den Augen der Welt erging. Es war, als habe er eine gänzlich andere Sprache gesprochen als alle anderen im Raum. Das Fiasko dürfte unmittelbar auch in Moskau, Peking und Kiew viele interessierte Zuschauer gefunden haben.
Wenn Elon Musk über Selenskis Outfit lacht
Im Nachhinein meint man einen Vorgeschmack auf den Eklat bereits in Trumps Begrüssung erkennen zu können. In süffisantem Ton sagt er vor den Toren des Weissen Hauses zu Selenski: «Er hat sich heute chic gemacht.» Und zeigt dabei amüsiert lächelnd vor den anwesenden Fotografen mit dem Finger auf ihn.
Der ukrainische Präsident war wie gewohnt in dunklem Pullover und Hose erschienen. Sein bewusst gewähltes Zeichen dafür, dass sein Land sich im Krieg befindet. Beinahe zeitgleich postete Trumps Vertrauter Elon Musk die Szene auf seinem X-Account, garniert mit einem lachenden Emoji. Innerhalb von 24 Stunden wurde der Beitrag des Tech-Milliardärs, der Selenski der Lächerlichkeit preisgab, fast 100 Millionen Menschen angezeigt. Keine noch so gekonnte Analyse einer etablierten Zeitung oder Fernsehsendung kann eine solche Reichweite übertreffen. Und die Pointe hätten Russlands Trollfabriken nicht besser fabrizieren können.
“All dressed up today” 😂 https://t.co/gEuLhxqvfu
— Elon Musk (@elonmusk) February 28, 2025
Es sind genau dieser Look und seine eindringliche Bitte um westliche Unterstützung, die Selenski in der Vergangenheit viel Sympathie eingebracht haben – bei den amerikanischen Grammys, vor dem EU-Parlament, im Deutschen Bundestag. Wo Selenski auch auftrat, war er der Märtyrer des ukrainischen Volkes, der sich mutig dem Despoten Putin entgegenstellte. Doch der Dealmaker Trump hat ihn ausgerechnet in dieser Rolle der Lächerlichkeit preisgegeben.
Live auf X statt im Hinterzimmer
Das präzedenzlos Bemerkenswerte an diesem Treffen im Weissen Haus war nicht der offene Dissens zwischen zwei politischen Lagern. Viel entscheidender war die Art und Weise, wie er ausgetragen wurde – live, ungefiltert, als Kamingespräch im Oval Office des Weissen Hauses, ohne den Versuch, die Situation wieder aufzufangen. Normalerweise hätte so ein Gespräch im Hinterzimmer stattgefunden. Trump sagte wörtlich: «Ich denke, es ist gut für das amerikanische Volk, zu sehen, was vor sich geht, deswegen liess ich das so lange laufen.» Um dann an Selenski gewandt klarzustellen: «Sie müssen dankbar sein. Sie haben keine guten Karten.»
Trump, der geborene Selbstdarsteller, der sich immer durch die Linse der Kameras betrachtet – wie sonst hätte er es nach dem Anschlag auf sein Leben geschafft, den Secret Service anzuhalten, nur um die Faust für ein ikonisches Foto in die Luft zu recken? –, beendete das Gespräch vor den versammelten Journalisten mit einem selbstzufriedenen Kommentar: «Das wird grossartiges Fernsehen, das kann ich Ihnen sagen.»
Das diplomatische Drehbuch ist Vergangenheit
Damit war der Kinofilm noch nicht vorüber. Selenskis Abreise in einer schwarzen Limousine wurde massentauglich auf dem offiziellen X-Account des Weissen Hauses als Video festgehalten. Versehen mit dem Trump-Zitat, gleich einer Stimme aus dem Off in einem Blockbuster: «Er kann zurückkommen, wenn er für den Frieden bereit ist.»
Ein weiterer Post zeigt Trumps Vize Vance, der Selenski, nur angeschnitten im Bild, direkt in die Augen blickt und fragt: «Have you said thank you once?» Im Laufe des Gesprächs hatte Vance dem Ukrainer vorgeworfen, sich nicht bedankt zu haben. Dass Selenski sich bereits eingangs bedankt hatte, passt nicht in die Darstellung des Weissen Hauses. Denn in dieser neuen medialen Inszenierung der politischen Realität gilt: Die Bilder auf den sozialen Plattformen schaffen die Fakten. Klassische Medien spielen für Trump und sein Team eine untergeordnete Rolle. Journalisten und Experten, die das Geschehen nicht als eine Art dreidimensionales Schach auf der Plattform X verfolgen, verlieren den Anschluss.
Politiker, ob aus Kanada, Europa oder Asien, werden lernen müssen, mit dem unberechenbaren Darsteller Trump, der sich an kein Drehbuch hält, Verhandlungen zu führen. Die Regeln der Diplomatie? Sie gelten nichts mehr, wenn Trump und sein Vize Vance Staatsgäste empfangen. Der unausgesprochene Konsens, dass sich westliche Partner nicht öffentlich blossstellen, zerschellt an der medialen Mauer, die die Tech-Giganten Musk und Zuckerberg um das Lager der Republikaner errichtet haben.
Bruch mit der bürgerlichen Öffentlichkeit
Einer, der diesen Wandel verstanden hat, ist Emmanuel Macron. Als der französische Präsident Ende Februar das Weisse Haus besuchte, korrigierte er einen Fehler Trumps so elegant, dass selbst der lächeln musste. Trump hatte behauptet, Europa würde sein Geld aus der Ukraine zurückerhalten. Macron stellte klar, dass die europäische Unterstützung für die Ukraine keine Kredite seien, sondern echte finanzielle Hilfen. Niemals hätte Macron einen Ton angeschlagen, den Trump als beleidigend empfunden hätte. Der französische Präsident ist sich des leicht entzündbaren Egos von Trump – und dessen digitaler Medienmacht – stets bewusst.
Ob der mutmassliche nächste deutsche Kanzler Friedrich Merz die Zeichen der Zeit verstanden hat, ist fraglich. Merz hat nachweislich kein Sensorium für Stimmungen im Netz.
Als der Meta-Gründer Mark Zuckerberg dem Druck von Musks libertärem Habitus nachgab und sich öffentlich von sogenannten Faktencheckern lossagte, reagierte Merz mit einem nachdenklichen Newsletter – und offenbarte damit, dass er nicht verstanden hat, dass ganze Milieus nach der Corona-Pandemie ihr Vertrauen in Faktenchecks längst verloren haben. Dass Merz der Sprunghaftigkeit eines Donald Trump und dessen Schildknappen Musk etwas entgegensetzen kann, ist schwer vorstellbar.
Wenn es je eine, wie Habermas sie nannte, bürgerliche Öffentlichkeit gegeben hat, so ist diese in eine schrankenlose, universelle Öffentlichkeit übergegangen. Sie wird allen voran von der Plattform X beherrscht, die sich unter Elon Musk zur Arena der ungefilterten Meinungsäusserung entwickelt hat. Der Eklat im Weissen Haus markiert einen Bruch mit den alten Sitten der diplomatischen Diskretion. Er zeigt: Trump und Vance werden diejenigen, die ihre Sprache nicht beherrschen, zum Frühstück verspeisen. Selenski war nur der Erste.