Die Impulse des US-Präsidenten sind widersprüchlich. Sein Regierungsteam versucht daher zu improvisieren.
Alan Beattie, der Experte der «Financial Times» für internationalen Handel, schreibt einen laufenden Thread auf der sozialen Plattform Bluesky, in dem er seit Monaten wiederholt: «Willkommen zu Donald Trumps Handelspolitik. Niemand. Weiss. Irgendwas.»
Trump begründet seine massiven Zölle, welche die amerikanischen Börsen ins Chaos stürzen, nicht einmal in einer grossen Rede, in der er seine Ziele darlegt – wie es Biden, Obama oder jeder andere amerikanische Präsident getan hätten. Das Ziel einer solchen Rede wäre gewesen, die Amerikaner in die neue Ära mitzunehmen.
Die Verwirrung ist allgegenwärtig. Selbst die Verweigerung einer Erklärung hat keine Methode: Trump weiss nicht genau, was er will. Er strebt auch nicht das gegenwärtige Chaos an, um gewisse Ziele zu erreichen.
Trump ist einfach nur Trump: ausgestattet mit ein paar Grundüberzeugungen; seinen Impulsen folgend; gelegentlich auf andere hörend, dann wieder nicht; jeden Tag aufs Neue improvisierend, sich tastend nach vorne bewegend; jederzeit zu einer überraschenden Umkehr bereit.
Das mögen die Märkte nicht, die auf Berechenbarkeit angewiesen sind. Auch die Wähler sind zunehmend weniger überzeugt, dass Trump «gut für die Wirtschaft ist» – was viele gemässigte Wähler hofften, als sie für Trump stimmten.
Trumps Grundüberzeugung
Trump erklärt nichts, spricht aber unentwegt, das Weisse Haus wird immer wieder zum Schauplatz einer Reality-Show des Präsidenten. Journalisten rufen ihm Fragen zu, Trump nimmt die Stichworte auf und sagt, was immer ihm dazu durch den Kopf geht, gelegentlich überraschend offen, dann auch wieder vorsichtig und berechnend. Dabei sagt er auch immer wieder etwas zu den Zöllen. Was er aber sagt, trägt meist nur zur Verwirrung bei.
Die Kurse steigen und fallen in der Erwartung, jetzt gebe es endlich eine klare Richtung. Das aber hält immer nur wenige Tage an, bis Trump etwas sagt, was der gerade eben gefestigten Erwartung völlig widerspricht.
Dass Trump so lange den Druck der fallenden Börsenkurse akzeptiert und nur hier und da etwas die Radikalität herausnimmt, um die Gemüter zu beruhigen, liegt daran, dass es dabei um eine seiner Grundüberzeugungen geht: Die Welt habe über Jahrzehnte die amerikanische Gutmütigkeit ausgenutzt, Amerika müsse einen hohen Preis dafür zahlen. Jetzt sei Schluss damit.
Amerika wieder gross zu machen, heisse vor allem, dieses Ungleichgewicht zu korrigieren. Das ist Trumps Mission. Die ist nicht verhandelbar. Verhandelbar ist nur, wie sich das konkret in Politik umsetzt.
Kritik an der Grundüberzeugung prallt an Trump weitgehend ab. Das Argument, Amerika würde von der Globalisierung und einer amerikanisch geführten Weltordnung massiv profitieren, zählt für Trump nicht. Schon in den 1970er Jahren brachte ihn der Erfolg Japans in Rage, und dieses Grundmuster hat sich bis heute nicht verändert: Weltwirtschaft sei ein Nullsummenspiel, was andere gewännen, könne nur ein Verlust für Amerika sein.
Der Spielraum des Regierungsteams
Amerikanische Welt- und Wirtschaftspolitik ist aber nicht nur Ausdruck des Willens des Präsidenten. Er kann zwar viel tun, ohne den Kongress hinzuzuziehen, indem er das Instrument der Executive Orders, der präsidentiellen Verordnungen, nutzt. Doch zugleich ist er darauf angewiesen, dass sein Team diesen Willen ausführt. Dazu braucht es eine gewisse Stringenz dessen, was auszuführen ist.
Da Trump seinen Willen nicht klar definiert, sondern täglich neue Ideen zum Besten gibt, und alles jederzeit revidierbar ist, müssen diejenigen, die sich mit der Umsetzung von Trumps Politik befassen, so etwas wie Arbeitshypothesen entwickeln, um zumindest zeitweilig kohärent agieren zu können.
Das schafft grosse Unsicherheit, erlaubt es der ausführenden Bürokratie aber zugleich, eigene Ideen zu entwickeln. Diese Ideen liegen natürlich alle unter dem Fallbeil des Trumpschen Vetos, das jederzeit fallen kann.
Die Ziele der Zollpolitik
In Bezug auf die Zollpolitik haben sich im Hin und Her zwischen Trump und seinem Kabinett vier mögliche Stossrichtungen entwickelt – mögliche strategische Ziele, zwischen denen die Regierung Trump schwankt:
- Rückentwicklung der Globalisierung: Die industrielle Produktion soll in die USA verlagert werden. Das Ziel ist eine amerikanische Autarkie, also die Unabhängigkeit von globalen Märkten.
- Sanierung des Haushalts: Staatseinkommen soll generiert werden, um die hohen Staatsschulden und die Einkommenssteuer zu verringern.
- Geoökonomisches Instrument: Zölle sollen als Machtmittel dienen, um andere Länder zum erwünschten Handeln zu zwingen, im wirtschaftlichen wie im politischen Bereich.
- Entkopplung von China: Im Sinne des Wettbewerbs der Grossmächte soll Chinas Zugriff auf amerikanische Technologie und amerikanisches Know-how verringert werden, um Amerika in eine bessere Position zu bringen und die Machtbalance zu Amerikas Gunsten zu verändern, auch in militärischer Hinsicht.
Die Interessengruppen in der Regierung
Jede dieser Stossrichtungen hat ihre Lobbys in der amerikanischen Regierung. Die isolationistische Maga-Richtung will die Zölle permanent hoch behalten, um die Industrieproduktion dauerhaft in die USA zu verlagern und erhebliches Staatseinkommen zu generieren (Ziele 1 und 2). Die klassischen Republikaner im Team Trump wollen die Zölle als Machtmittel einsetzen, insbesondere im Wettbewerb mit China, das sie als machtpolitische und militärische Bedrohung sehen (Ziele 3 und 4).
Im Handelsbereich steht Trumps langjähriger Handelsberater Peter Navarro für den isolationistischen Maga-Kurs. Der amerikanische Finanzminister Scott Bessent steht für die Fortsetzung der Globalisierung, vor allem unter Amerikas Verbündeten – und mit einer klaren Wendung gegen China.
Diese klassisch-republikanische Richtung wird auch vom Team für nationale Sicherheit vertreten: Aussenminister Mark Rubio, Verteidigungsminister Pete Hegseth und Mike Waltz, Berater für nationale Sicherheit.
Die verschiedenen Fraktionen im Team Trump repräsentieren unterschiedliche Neigungen des Präsidenten. An einem Tag gewinnen die Maga-Isolationisten, am nächsten Tag die klassischen Republikaner.
Die zwei Pole von Trumps Politik
Trump ist zum einen ein von Wut getragener Stürmer gegen den Status quo geworden, der unbedingt alles verändern will. Zugleich ist er ein Teil des Establishments, der von den Mächtigen und Erfolgreichen anerkannt werden will.
Die amerikanische Welt- und Weltwirtschaftspolitik wird weiter zwischen diesen Polen schwingen. Keine Seite wird gewinnen. Auf Dauer dürften sich in vielen Feldern Kompromisse ergeben, die von beiden Seiten zähneknirschend akzeptiert werden.
Das heisst aber nicht, dass Ruhe einkehrt. Das Pendel wird nach wie vor heftig schwingen, mal in die eine, mal in die andere Richtung. Trump ist von Impulsen getrieben. Amerikanische Politik wird bis auf weiteres einer Achterbahnfahrt gleichen.