Kurz bevor die Zölle gegen China griffen, flog Apple noch schnell Flugzeuge voller iPhones in die USA. Doch langfristig muss Tim Cook Apples Lieferketten überdenken.
Tim Cook hatte einen Plan. Am 20. Januar war er zur Amtseinführung des neuen Präsidenten nach Washington gereist. Er stand nicht prominent mit den anderen Tech-CEO in vorderster Reihe, auch war sein Gesichtsausdruck auffällig ernst. Man kann nur erahnen, was der Privatmensch Cook über die neue Regierung dachte.
Als CEO der wertvollsten Technologiefirma der Welt tat Cook jedenfalls das, was man von ihm erwartete: Er stellte sich gut mit Washington. Einige Wochen zuvor hatte er eine Million Dollar für die Feierlichkeiten zur Amtseinführung gespendet und in Mar-a-Lago mit Trump auf der Terrasse des Golfklubs zu Abend gegessen.
Cooks Ziel war klar: Er wollte von der Regierung Trump eine Sondergenehmigung ergattern, die es dem Konzern ermöglichen würde, iPhones, Smartwatches und andere Geräte weiter in China fertigen zu lassen und zollfrei einzuführen. Mit einer ähnlichen Strategie hatte Apple schon in Trumps erster Amtszeit Ausnahmeregelungen errungen.
Mitte Februar setzte Cook noch eins drauf: Untypisch für den sonst so diskret agierenden CEO prahlte er mit Investitionen von 500 Milliarden Dollar in den USA sowie 20 000 neuen Arbeitsplätzen. Die Ankündigung war eine an Trump gerichtete Charmeoffensive: Detailliert wurde aufgeführt, in welchen Gliedstaaten man Fabriken ausbauen und wie man kleine Zulieferbetriebe unterstützen wolle. Nur wer genau hinschaute, sah, dass das meist altbekannte Pläne waren.
Am Mittwoch zeigte sich nun: Cooks Plan könnte aufgehen. Überraschend kündigte Trump an, er erwäge nun doch, einigen amerikanischen Firmen Ausnahmegenehmigungen von seinen Handelszöllen zuzugestehen. Es ist davon auszugehen, dass Apple eine davon sein wird – und dass Cook hinter den Kulissen in den vergangenen Tagen heftig lobbyiert hatte. Zudem setzte der Präsident die geplanten neuen Zölle gegen Vietnam und Indien – zwei der wichtigsten Produktionsstandorte Apples – vorerst aus.
Ein vorsichtiges Aufatmen dürfte durch Cooks holzgetäfeltes Büro im Apple Park gegangen sein. In den sieben Tagen zuvor hatte der Konzern rund 20 Prozent an Börsenwert verloren, als Trump noch behauptet hatte, es würde diesmal keine Ausnahmen geben. Am Mittwochnachmittag schossen die Apple-Papiere postwendend um 15 Prozent in die Höhe, und Apple erlangte den tags zuvor verlorenen Titel als wertvollste Firma der Welt zurück.
Ausnahmegenehmigung hin oder her: Der Fall wirft ein Schlaglicht darauf, wie verwundbar der High-Tech-Konzern in Zeiten von Handelskriegen ist. Doch wieso ist ein iPhone «made in America», wie es sich Präsident Trump wünscht, so schwer zu bauen?
Die Bauteile im iPhone stammen aus 40 Ländern
Kein Produkt verkörpert die Globalisierung so wie das iPhone. Die Bauteile stammen aus 40 Ländern, von Beschleunigungsmessern aus Deutschland bis zu Kamerasensoren aus Japan. Die komplexesten Teile kommen gemäss dem Lieferketten-Experten Gary Gereffi der Duke University aus einem halben Dutzend Ländern; Taiwan, Südkorea und Japan etwa. Nicht zufällig befinden sich diese in unmittelbarer Nachbarschaft zu China, wo heute 90 Prozent aller iPhones gefertigt werden.
Dieses Meisterwerk der globalen Verflechtung verdankt Apple Tim Cook selbst. Als jahrelanger Experte für Lieferketten führte er bei Apple die Just-in-time-Produktion ein und spürte in Asien als einer der Ersten günstige Zulieferer auf. Gemeinsam mit dem chinesischen Partner Foxconn verwandelte Apple die Stadt Zhengzhou in die «iPhone city». Rund 300 000 Arbeiter sind dort direkt oder indirekt für Apple beschäftigt.
Diesem ausgeklügelten System ist es zu verdanken, dass Apple jährlich 200 Millionen Stück seiner Smartphones produzieren kann. Auch andere Apple-Geräte werden in stark spezialisierter internationaler Arbeitsteilung gefertigt – allerdings mit zunehmendem Fokus auf Indien und Vietnam; die Spannungen zwischen Washington und Peking zeichnen sich schliesslich schon lange ab.
Apple diversifizierte seine Produktionsstandorte in den letzten Jahren ganz bewusst: In den indischen Gliedstaaten Tamil Nadu und Karnataka bildet der Konzern seit 2017 Fachkräfte aus und hat Netzwerke aus Fabriken mit lokalen Zulieferern aufgebaut. Bis Ende dieses Jahres sollen dort 25 Prozent aller iPhones produziert werden. In Vietnam produziert Apple heute vor allem Bluetooth-Kopfhörer, Laptops und Tablet-Computer.
Bei Apple machen Geräte, anders als bei anderen Tech-Konzernen, einen grossen Teil des Konzernumsatzes aus, in letzter Zeit fast 75 Prozent des Konzernumsatzes von 400 Milliarden Dollar. Es ist klar: Brennt es bei den globalen Lieferketten, steht der Apple-Konzern in Flammen.
In den USA fand Apple nicht einmal genügend Schrauben
Wieso verlagerte der Konzern die Produktion also nicht ins Heimatland? Tatsächlich begann Apple 2013 seinen Mac-Pro-Computer in Austin, Texas zu fertigen. Doch zunächst haperte es überall, etwa an der Arbeitsmoral: Bisweilen verliessen Schichtarbeiter die Fabrik, ohne zu warten, bis die nachfolgende Schicht eingetroffen war; die Produktion musste angehalten werden. Oder an den Lieferketten: Apple konnte in Texas keinen Zulieferer finden, der hinreichend viele Schrauben für die Mac-Computer produzieren konnte. Irgendwann bezog man auch diese aus China.
Auch ist in Amerika der Arbeitsmarkt für Fachkräfte mangelhaft; es gibt praktisch keine Lehrausbildungen. In den USA könne man ein Treffen von Werkzeugbauern abhalten und würde womöglich nicht einmal ein Zimmer füllen, sagte Cook in einem Interview mit «Fortune» vor einigen Jahren. In China hingegen gebe es so viele dieser «tooling engineers», dass man mit ihnen mehrere Football-Felder füllen könne, sagte Cook: «Die berufliche Ausbildung dort ist hervorragend.»
Tim Cook explains why Apple chooses China for manufacturing. pic.twitter.com/jDEkpXUorp
— Historic Vids (@historyinmemes) September 5, 2024
Bis heute ist der Mac Pro das einzige Produkt, das Apple in den USA fertigt. Mehr Produktion in die USA zu verlagern, würde nicht nur Milliarden Dollar an Investitionen kosten und Jahre dauern – es brauchte auch einen grundlegenden Wandel im Ausbildungswesen.
«Wir haben in den USA die Kunst verlernt, im grossen Stil zur produzieren», sagte etwa der Wirtschaftsprofessor Tinglong Dai, der an der John Hopkins University globale Lieferketten studiert, gegenüber dem «Wall Street Journal». Sein Urteil ist klar: Ein gänzlich in den USA gefertigtes iPhone könnte nicht die gleiche Qualität haben wie ein im Ausland gefertigtes, zumindest anfangs nicht. Im Vergleich mit Japans Expertise im Bau von Kameras etwa hinke Amerika um Jahrzehnte hinterher.
Auch wäre ein amerikanisches iPhone massiv teurer – der Finanzanalyst Dan Ives von Wedbush Securities geht von einem Verkaufspreis von 3500 Dollar statt heute 1000 Dollar aus.
Flugzeugladungen voller iPhones nach Amerika gebracht
Doch auch die Produktion im Ausland wird für Apple riskanter. Für jede 10 Prozent, die Washington auf Importe aus China, Vietnam und Indien erhebt, dürften Apples Gewinne um 3,5 Prozent sinken, hat die Investmentbank TD Cowen berechnet. Stand Mittwoch lagen die Zölle gegen China bei 125 Prozent und die gegen Indien und Vietnam bei 10 Prozent.
Das macht auch den wertvollsten Technologiekonzern der Welt nervös. Ende März flog Apple kurzerhand fünf Flugzeugladungen mit iPhones aus Indien und China in die USA ein. Man wollte in Amerika so viel Inventar wie möglich anhäufen, um den Effekt der drohenden Zölle aufzuschieben. Der Vorrat in den USA soll zumindest bis September reichen, also bis das alljährlich neue iPhone auf den Markt kommt. Schliesslich ist Amerika der wichtigste Absatzmarkt für Apples Smartphone, jedes zweite wird dort abgesetzt.
Doch was wird Cook tun, wenn die Hamstervorräte in den USA aufgebraucht sind? Die Preisaufschläge an die Kunden weitergeben? Eine Schmälerung des Gewinns in Kauf nehmen und die Investoren verärgern?
Es sind alles schlechte Optionen. In Cupertino dürfte man vorerst auf das altbekannte Playbook setzen: Trump umgarnen, bis man die Ausnahmegenehmigung in Händen hält. Und dann hoffen, dass der erratisch agierende Präsident seine Meinung nicht wieder ändert.