Nach Bidens Rückzug müssen Trump und die Republikaner ihren Wahlkampf neu ausrichten. Ihre Strategie ist einfach: Sie wollen Harris als «irre» abstempeln und als Architektin der Migrationskrise und der Inflation demontieren. Zwei Dinge aber können sie nicht mehr ändern.
Mit Joe Biden scheint es sich bei den Republikanern etwa so zu verhalten wie mit der Migrationskrise und dem Recht auf Abtreibung. Der Greis im Weissen Haus war eines ihrer liebsten Probleme und für Donald Trump der bevorzugte Prügelknabe. Aber jetzt, da er tatsächlich gegangen ist, wünschen sie ihn sich zurück.
Nachdem Biden am Sonntag seine Entscheidung bekanntgegeben hatte, wütete Trump auf seinem Kurznachrichtendienst Truth Social: «Wir mussten viel Zeit und Geld investieren, um gegen den korrupten Joe Biden anzukämpfen.» Und jetzt müssten sie von neuem beginnen. «Sollte die Republikanische Partei nicht wegen Betrugs entschädigt werden?» Alle um Biden herum hätten gewusst, dass er nicht mehr fähig sei, zu kandidieren.
Verunglimpft als dunkelhäutige Quotenfrau
Es traf nun exakt das ein, wovor sich Trumps Wahlkampfleiter fürchteten. Auch sie wissen um die grossen Schwächen ihres Kandidaten. Der 78-Jährige ist bei einer Mehrheit der Amerikaner unbeliebt, viele Wähler in der politischen Mitte verzeihen ihm den Sturm auf das Capitol nicht, und viele Frauen machen ihn für das Ende des landesweiten Rechts auf Abtreibung verantwortlich. Biden sei nur durch Lügen an die Macht gekommen und nie ein fähiger Präsident gewesen, schrieb Trump ebenfalls am Sonntag. Mit dieser «kleingeistigen und entzweienden» Reaktion habe er die Zweifel der Wähler an seinem Charakter bestärkt, kritisierte gar das konservative «Wall Street Journal».
Es war leicht für die Republikaner, den gebrechlichen Biden als den noch unfähigeren Kandidaten zu verteufeln. Nun allerdings hallen Nikki Haleys warnende Worte nach: «Die erste Partei, die ihren 80-jährigen Kandidaten in Rente schickt, wird die Wahl gewinnen.»
Es schienen nicht unbedingt die politischen Inhalte, Werte und Visionen der Demokraten zu sein, welche die Wähler abschreckten. Es waren die Bilder des greisen und energiearmen Biden. Das zeigte vergangene Woche auch eine Yougov-Umfrage: Während der Präsident in allen Swing States hinter Trump zurücklag, lagen bei den Senatswahlen in diesen umkämpften Gliedstaaten überall die demokratischen Kandidaten in Führung.
Dennoch ist für Trump nichts verloren. Und das verdankt er Biden. Der Präsident zögerte seinen Rückzug zu lange hinaus und empfahl danach seine Vizepräsidentin für seine Nachfolge. So konnten die Demokraten kaum noch anders, als sich für Harris zu entscheiden. Die 59-Jährige ist zwar jünger, aber auch sie bietet Angriffsflächen. Bis zu Bidens verheerendem Fernsehduell im Juni waren ihre Umfragewerte noch schlechter als jene des Präsidenten. Dies soll ein wichtiger Grund gewesen sein, warum Biden so lange zögerte, Harris das Feld zu überlassen.
Die schnelle Konsolidierung der Demokraten rund um Harris – trotz Bidens Zweifel – nutzen die Republikaner bereits als möglichen Schwachpunkt. Der republikanische Abgeordnete Tim Burchett bezeichnete Harris als «DEI-Anstellung». Die Abkürzung steht für Diversity, Equity, Inclusion – Diversität, Fairness, Inklusion. DEI-Programme sollen sicherstellen, dass alle gesellschaftlichen Gruppen in einer Organisation fair vertreten sind. Für Burchett ist Harris deshalb im Grunde eine dunkelhäutige Quotenfrau. «Wenn man so vorgeht, bekommt man Mittelmässigkeit.» Genau dies hätten die Demokraten nun mit der Vizepräsidentin: eine mittelmässige Kandidatin.
Plötzlich eine mächtige Strippenzieherin
Gemäss einem Strategiepapier wollen die Republikaner Harris aber auch als «weird» (irre) abstempeln, weil sie manchmal in unangebrachten Momenten auf seltsame Weise lache oder ein selbsterklärter Fan von Mengendiagrammen sei. Trump hat ihr deshalb bereits den Übernamen «lachende Kamala» gegeben. Bei ihren jüngsten Auftritten schien Harris indes darauf bedacht zu sein, ein überschwängliches Lachen zu vermeiden. Sollte Trump es mit den persönlichen Angriffen auf Harris zu weit treiben, könnte er jedoch auch weibliche Wähler verlieren. Er persönlich hat sie als «irre», aber noch nicht als «DEI-Anstellung» bezeichnet.
Ihre grösste Schwäche sehen Trump und die Republikaner ohnehin darin, dass Harris ein Teil der Biden-Regierung war. Trumps Wahlkampfteam nennt die demokratische Hoffnungsträgerin nun deshalb «Bidens Chef-Beihelferin». Früher machten sich die Konservativen stets darüber lustig, dass die «inkompetente» Vizepräsidentin ihre Zeit im Weissen Haus untätig und nutzlos verbringe. Nun stilisiert Trumps Wahlkampfteam Harris in einer neuen Wahlwerbung zur eigentlichen Strippenzieherin. Weil Biden nicht mehr arbeitsfähig gewesen sei, habe sie die Geschicke geleitet: «Schaut, was sie getan hat: eine Invasion (von Migranten) über die Grenze, eine unkontrollierbare Inflation, und der amerikanische Traum ist tot.»
Die Verantwortung für die gestiegenen Lebenskosten und die rekordhohe Zuwanderung wird auch Harris nicht ganz abstreifen können. In einer anderen Wahlwerbung wird die frühere Staatsanwältin zudem als «gefährlich links» bezeichnet. Sie selbst sagt in dem Video: «Viel zu lange wurde gedacht, dass mehr Polizisten auf den Strassen mehr Sicherheit bringen würden. Aber das ist einfach falsch.» Im linken Flügel ihrer Partei gilt Harris bei der Kriminalitätsbekämpfung jedoch als Hardlinerin. Sie selbst beschreibt ihren Ansatz als Mittelweg: Sie sei nicht «tough on crime», sondern «smart on crime».
Unabhängig davon wird Trump zwei Dinge jedoch nicht mehr ändern können. Zum einen ist er nun der älteste Präsidentschaftskandidat in der Geschichte der USA. Zum anderen hat er sich mit J. D. Vance einen unerfahrenen Trumpisten als Vizepräsidenten zur Seite genommen, der nur bedingt neue Wählerschichten anspricht. Doch Trump hatte sich zu einem Zeitpunkt für Vance entschieden, als er noch davon ausging, Biden auch so locker schlagen zu können.
Harris hingegen könnte sich nun einen moderaten Demokraten aus einem konservativen Gliedstaat als Vizepräsidenten aussuchen, um eine breite Koalition gegen Trump zu bilden. Unabhängig davon dürfte es ein sehr enges Rennen werden. Die Wahl der ersten dunkelhäutigen Präsidentin wäre eine Sensation. Aber wie die Historikerin Anne Applebaum am Montag schrieb: «Was auch als Nächstes passiert, der Rahmen hat sich geändert. Jetzt stehen die Republikaner mit einem alten Kandidaten da, der nicht klar argumentieren oder einen Satz fertig machen kann, ohne in Anekdoten abzugleiten. Jetzt sind es stattdessen die Demokraten, die etwas Neues vorschlagen.»







