Seit Jahrtausenden nutzen Staaten Zölle als Ertragsquelle. Aber sind sie auch ein Mittel, um die eigene Wirtschaft zu stärken? Der Historiker Werner Plumpe blickt in seinem neuen Buch zurück auf Handelskonflikte der Geschichte.
Anfang August hat der Bundesrat mit den USA verhandelt. Erfolglos. Er konnte nicht verhindern, dass Donald Trump für Güter aus der Schweiz einen Einfuhrzoll verhängte, der noch weit höher ausfiel, als man erwartet hatte. Wie lange der Tarif gilt, weiss niemand, ob bessere Bedingungen ausgehandelt werden können, ist offen, und was der Zoll in der Schweiz wirtschaftlich auslöst, steht in den Sternen. Vor allem bleibt eine grosse Frage: Nützt das Ganze den USA tatsächlich?
Ökonomen sind skeptisch, um es gelinde zu sagen. Schliesslich sind von den Zöllen Waren betroffen, die in den USA stark nachgefragt werden: Maschinen, Haushaltgeräte, Schokolade, Uhren, Käse. Sie werden sich verteuern. Zum Teil massiv. Am Ende bezahlen die Konsumenten die Zeche. Wenn sie sich die Dinge überhaupt noch leisten können. Auf die Länge, so Trumps Kalkül, sollen diese Güter in Amerika hergestellt werden. Von amerikanischen Firmen. Oder von ausländischen Unternehmen, die in den USA investieren und Arbeitsplätze schaffen.
Ob das klappt, wird sich weisen. Möglicherweise verliert Trump schon bald die Geduld und wirft alles über den Haufen. Die Frage, ob Zölle eine sinnvolle Massnahme sind, um die eigene Wirtschaft zu schützen, ist zudem nicht leicht zu beantworten. Obwohl Zölle nichts Neues sind. Seit dem 3. Jahrtausend v. Chr. nutzen Staaten sie als Ertragsquelle. Manchmal auch als Waffe, um anderen Staaten zu schaden und damit die eigene Wirtschaft zu stärken. Gewisse Städte im antiken Mittelmeerraum verdankten ihren Wohlstand wesentlich Zöllen, die sie erhoben. Auch auf Waren, die in ihrem Hafen nur umgeschlagen wurden.
Gewürze aus dem Orient, Fisch aus dem Atlantik
Hat Trump also möglicherweise recht? Mit grösster Wahrscheinlichkeit nicht. Aber vielleicht eben doch ein bisschen, würde Werner Plumpe sagen. Jedenfalls lässt sich sein neues Buch so verstehen. In «Gefährliche Rivalitäten» blickt der deutsche Historiker auf Wirtschaftskriege der vergangenen fünf Jahrhunderte zurück. Er analysiert die Bedingungen, unter denen sie entstanden. Versucht Gesetzmässigkeiten im Ablauf zu erkennen und Indizien zu finden, die darauf hinweisen, unter welchen Voraussetzungen ein Wirtschaftskrieg erfolgreich ist.
Tatsächlich führt Plumpe Beispiele für erfolgreiche Wirtschaftskriege an. Dem Königreich England war es im 17. Jahrhundert mit Zöllen und Sanktionen gelungen, seinen grössten wirtschaftlichen Konkurrenten aus dem Feld zu schlagen: die Niederlande. Nach dem Dreissigjährigen Krieg waren die Niederländer zur beherrschenden Seemacht aufgestiegen. Sie bauten die besten Schiffe, ihre Handelsflotte war grösser als die aller europäischen Länder zusammen, und sie verfügten über ein Handelsnetz, das von Brasilien über Westafrika bis nach Indien und Indonesien reichte. Die Niederlande dominierten den europäischen Handel, ob es um Gewürze aus dem Fernen Osten, Fisch aus dem Atlantik oder Getreide aus den Ländern an der Ostsee ging.
Die Briten litten nicht nur darunter, dass die Konkurrenz den Handel in gewissen Gebieten vollständig kontrollierte, sondern sie mussten auch hohe Summen aufwenden, um Importe und Transportleistungen zu bezahlen. Darauf reagierten sie mit harten Massnahmen. 1651 verabschiedete das Parlament die erste Navigationsakte, die den Überseehandel Englands an Schiffe band, die unter britischer Flagge segelten. Importgüter wurden mit hohen Steuern belegt. Das Ziel war das gleiche, das Trump heute anstrebt: eine ausgeglichene Handelsbilanz. Und dadurch mehr Wohlstand für das eigene Land.
Mehr verkaufen als konsumieren
Theoretisch begründet wurde dieses Konzept von dem Kaufmann und Ökonomen Thomas Mun. 1630 schrieb er im Traktat «England’s Treasure by Foreign Trade»: «Die üblichen Mittel, um unseren Wohlstand und Staatsschatz zu erhöhen, liegen daher im Aussenhandel, wobei wir stets diese Regel beachten müssen, jährlich mehr an Ausländer zu verkaufen, als wir von deren Wert konsumieren.» Das ist gewissermassen das Konzept für Trumps Vorgehen und die Geburt dessen, was später als Merkantilismus bezeichnet wurde: eine Wirtschaftspolitik, die den eigenen Standort stärken will, indem sie die Konkurrenz schwächt und Aussenhandel nur dann zulässt, wenn die eigene Wirtschaft unter dem Strich mehr davon profitiert als jene des Handelspartners.
Unmittelbar war die Wirkung der Handelshemmnisse bescheiden. England musste weitere Massnahmen durchsetzen, um zum Erfolg zu kommen. Und ohne Gewalt ging es nicht. Zwischendurch kam es zum offenen Krieg. Niederländische Schiffe wurden von staatlich subventionierten Piraten gekapert, Seeschlachten wurden geschlagen. In einem Friedensschluss mussten die Niederländer schliesslich die Bestimmungen akzeptieren, die England ihnen oktroyiert hatte, und sie waren nachhaltig geschwächt.
Doch bis es so weit war, dauerte es lange. Erst im 18. Jahrhundert war England unangefochten zur bedeutendsten Seemacht geworden. Aber war dieser Erfolg den Handelshemmnissen zu verdanken, die die Briten verhängt hatten? Für Werner Plumpe lautet die Antwort: nimmt man alles in allem, Nein. Schliesslich war der Wirtschaftskrieg mit enormen Kosten verbunden. Zunächst kam es in England zur Verknappung wichtiger Güter. Staat und Private mussten sich hoch verschulden, um die Bedürfnisse des Landes zu befriedigen. Und am Ende ging der wirtschaftliche Aufschwung wohl vor allem darauf zurück, dass England die inländische Produktion massiv steigerte und die Industrie modernisierte.
Napoleons Fiasko
Mit Blick auf den Aussenhandel ging das Kalkül der Merkantilisten auf. Das Handelsvolumen der Briten stieg bis Ende des 18. Jahrhunderts um das Drei- bis Vierfache. Dafür, schliesst Werner Plumpe, seien allerdings nicht so sehr die von ihnen verhängten Strafmassnahmen entscheidend gewesen, sondern der wirtschaftliche Strukturwandel. Dieser allerdings kam nicht von selbst, sondern ergab sich erst durch den Druck, in der entstandenen Güterknappheit wieder einen einigermassen funktionierenden Markt zu schaffen. Die Handelshemmnisse und Zölle haben also dazu beigetragen. Allein entscheidend waren sie am Ende allerdings kaum.
Ganz eindeutig ist der Fall für Plumpe nicht. Ob sich Handelsschranken für ein Land vorteilhaft auswirken, kommt auf die Umstände an. Obwohl für Plumpe der Grundsatz gilt: Wirtschaftskriege kennen nur Verlierer. Am Ende gibt es nur einen Weg, die Wirtschaft zu stärken: die eigene Leistungsfähigkeit zu steigern. Der heute vielleicht bekannteste Wirtschaftskrieg, die Kontinentalsperre, mit der Napoleon 1806 Grossbritannien vom kontinentaleuropäischen Handel ausschliessen wollte, war ein totaler Fehlschlag: Auf dem Kontinent stiegen die Preise, Grundnahrungsmittel wurden knapp, die antibritische Koalition wurde brüchig und der Versuch, sie mit militärischen Mitteln wiederherzustellen, endete für Napoleon in einem Fiasko.
Bereits damals waren sich Theoretiker wie David Hume und Adam Smith einig, dass der freie Handel allen Beteiligten nützt. Weil er kein Nullsummenspiel ist, bei dem der eine Beteiligte verlieren muss, damit der andere gewinnen kann. Kooperation, das zeigt die Geschichte klar, ist für alle von Vorteil. Freilich nicht für alle gleichermassen. Dies lässt sich am 19. Jahrhundert, der grossen Zeit des Freihandels, aufzeigen. Grossbritannien, unter dessen Führung das Regime stand, profitierte sicher am meisten. Aber auch die Handelspartner, vor allem Deutschland, zogen ihren Nutzen daraus.
Zeit und Geduld
Nur, das zeigen die Beispiele deutlich, die Werner Plumpe anführt: Jeder Wirtschaftskrieg ist ein Risiko. Der Erfolg lässt sich nicht voraussagen. Dass der amerikanische Präsident William McKinley Ende des 19. Jahrhunderts Waren aus Europa mit hohen Zöllen belegte, nützte der einheimischen Industrie insgesamt, urteilt Plumpe. Die USA waren so gross und wirtschaftlich so stark, dass sie keine Retorsionsmassnahmen fürchten mussten. Europäische Investoren liessen sich nicht abschrecken, in Amerika zu investieren. Vor allem die grossen deutschen Farben- und Chemieunternehmen gründeten Niederlassungen und neue Unternehmen, um die Hürden zu umgehen.
Donald Trump beruft sich immer wieder auf William McKinley. Nur ist die Welt heute eine andere als um 1900. An den Zöllen allein, das zeigt Werner Plumpes historischer Rückblick deutlich, wird die amerikanische Wirtschaft nicht genesen. Die britische Handelspolitik des 17. und 18. Jahrhunderts wäre nicht erfolgreich gewesen, wenn sie nicht mit der beginnenden Industrialisierung des Landes zusammengefallen wäre. Zölle sind ein temporärer Schutz, kein Heilmittel. Und Trumps Zollpolitik ist eine Wette. Gewinnen kann der Präsident sie nur, wenn es gelingt, die amerikanische Wirtschaft zu modernisieren. Das braucht Zeit. Und Geduld. Wahrscheinlich mehr, als Donald Trump hat.
Werner Plumpe: Gefährliche Rivalitäten. Wirtschaftskriege – von den Anfängen der Globalisierung bis zu Trumps Deal-Politik. Rowohlt-Verlag, Berlin 2025. 320 S., Fr. 38.90.