Die georgische Regierung betrachtet ausländisch finanzierte Organisationen mit Argwohn und will sie in die Schranken weisen. Die Zivilgesellschaft sieht die Freiheitsrechte und die Annäherung an Europa in Gefahr.
Bis spät in den Mittwochabend hinein waren die Strassen rund um Georgiens Parlament und Regierungssitz in der Hauptstadt Tbilissi voller Demonstranten. Sie waren friedlich, aber wurden von der Polizei immer wieder zum Teil unzimperlich weggedrängt. Von 20 000 oder mehr Protestierenden schrieben lokale Medien. «Russen, Russen!», schrie die aufgebrachte Menge in den Nachthimmel; es war als Schimpfwort gemeint. In der Nacht davor hatten die Sicherheitskräfte hart durchgegriffen und mehr als ein Dutzend Personen festgenommen. Die Demonstranten wollen nicht aufgeben.
«Agentengesetz» nach russischem Vorbild
Seit Tagen kommt es in der Südkaukasus-Republik zu Grosskundgebungen gegen die Regierung, die von der Partei Georgischer Traum des Milliardärs Bidsina Iwanischwili gestellt wird. Anfang April hatte sie überraschend angekündigt, ein Gesetzesvorhaben über die Offenlegung finanzieller Verhältnisse bei Medien und Nichtregierungsorganisationen mit über zwanzig Prozent ausländischer Finanzierung erneut ins Parlament einzubringen. Diese Woche beriet dieses unter zeitweise tumultuösen Umständen mit Prügelszenen über den Vorschlag und stimmte ihm am Mittwoch in der ersten von drei Lesungen zu.
So weit war der Georgische Traum schon im März vergangenen Jahres gekommen. Damals hatte das Vorhaben aber so heftige Proteste im Land ausgelöst, dass die Regierung einen Rückzieher machte. Wie auch jetzt wieder hatten die Opposition und Georgiens westliche Partner warnend darauf hingewiesen, dass das Gesetz die angestrebte Integration in die Europäische Union erschweren oder gar verunmöglichen werde. Sie erkennen darin ein Vorhaben nach dem Vorbild der russischen «Agentengesetze» und damit einen Beleg dafür, dass der Georgische Traum aus Moskau beeinflusst werde oder sich dort anbiedern wolle.
Die russischen Gesetze verpflichten Organisationen (und in Russland auch Bürger), die finanziell oder auch nur ideell vom Ausland «beeinflusst» sind, zu einer umfangreichen Berichtspflicht gegenüber dem Staat und der Öffentlichkeit sowie zur Markierung als «ausländischer Agent». Gemeint ist damit ein Akteur, der im Auftrag einer ausländischen Organisation oder einer ausländischen Macht tätig ist. Die Unterstellung, jeder, der vom Ausland Geld bekomme, sei auch dessen Handlanger, der sich in interne Angelegenheiten einmische, macht es einfach, kritische Stimmen zu diskreditieren. In Russland ist das Gesetz mittlerweile nur noch dazu da, unliebsame Personen und Organisationen zu brandmarken.
Regierung wirft dem Westen Einmischung vor
Georgiens Regierung wehrt sich gegen den Vergleich und behauptet, das Gesetz lehne sich an vergleichbare in den USA und an geplante in der EU an. Die Herstellung von Transparenz sei ein europäischer Wert und diene ausschliesslich der Stärkung der staatlichen Souveränität. Vehement weist sie die besorgten Stellungnahmen der EU und der USA und ihrer diplomatischen Vertreter in Tbilissi als Einmischung in Georgiens Gesetzgebungsprozess zurück.
Der erst im Februar an die Regierungsspitze gerückte Ministerpräsident Irakli Kobachidse, ein in Deutschland promovierter Jurist, und der Parlamentsvorsitzende Schalwa Papuaschwili machten aber unfreiwillig deutlich, wie sehr die Regierung das Gesetz als politisches Instrument sieht. Papuaschwili meinte, die Demonstrationen hätten gezeigt, wie nötig das Gesetz sei. Kobachidse sagte in einem langen Presseauftritt, den russischen Einfluss habe die Regierung zurückgedrängt. Aber auch die «Freunde», womit er den Westen meinte, müssten sich vorbildlich verhalten. Westlichen Politikern, unter anderem dem deutschen Kanzler Olaf Scholz, den er eben in Berlin besucht hatte, warf er vor, keine triftigen Argumente gegen das Gesetz zu haben.
Dann zählte er auf, inwiefern sich westlich finanzierte Organisationen in den vergangenen Jahren ungebührlich in die politische Debatte eingeschaltet hätten. Nichts weniger als Umsturzversuche warf er ihnen vor. Unter anderem bezog sich das auf eine Wahlbeobachtungsorganisation, die Zweifel an den Resultaten des Georgischen Traums geäussert hatte. Sie schürten zudem religiösen Zwist und machten sich der «LGBT-Propaganda» schuldig. Hätte es das neue «Transparenzgesetz», wie Kobachidse es nennt, schon früher gegeben, wären diese Organisationen nie so weit gegangen.
Zwischen Europa und Russland
Kobachidses freimütige Äusserungen dürften von der georgischen Opposition als Bestätigung dafür aufgefasst werden, dass der Georgische Traum mit dem «Agentengesetz» unliebsame Kritik vor den Parlamentswahlen vom Oktober abstellen will. Dabei geht es unter anderem um die Gesellschaftspolitik, wo die Opposition eine Einschränkung von Freiheitsrechten wahrnimmt, und um die Fairness der Wahlen.
Georgien steckt seit Jahren in der paradoxen Situation, dass eine überwältigende Mehrheit der Bevölkerung die Zukunft in der EU-Integration sieht, zugleich aber bei Wahlen eine politische Kraft – den Georgischen Traum – stärkt, die in Worten und Taten die Annäherung an den Westen untergräbt und mit autoritären Tendenzen liebäugelt. Die Opposition hatte dem bisher wenig entgegenzusetzen. Sie ist zersplittert, viele ihrer Anführer sind so wenig kompromissbereit wie die Regierung, und der Schatten von Georgiens früherem Präsidenten Micheil Saakaschwili, der in einem Spital in Untersuchungshaft ist, liegt noch immer über ihr.
Die Gegner des «Agentengesetzes», zu denen auch viele Prominente aus Sport und Kultur zählen, wollen dessen Verabschiedung mit weiteren Protesten verhindern. Georgiens Präsidentin Salome Surabischwili, die einst vom Georgischen Traum aufgestellt worden war, aber mittlerweile dessen vehemente Gegnerin ist, will nötigenfalls das Veto dagegen einlegen. Aber dieses kann die Regierungspartei leicht überstimmen. Sie scheint diesmal dazu bereit, das Vorhaben um jeden Preis durchzubringen.