Packt Bundesrat Beat Jans in der Asylpolitik wirklich an – oder ist alles nur Marketing?
Um die Temperatur des Basler Temperaments zu messen, eignet sich ein Ausflug an die grösste Fasnacht der Schweiz. Dort wird verhandelt, was die Stadt umtreibt. Und das ist ganz offensichtlich: Beat Jans, Bundesrat. Basel erwartet Grosses von «Kaiser Jans», wie eine Schnitzelbank leicht ironisch in Reimform giesst: «Immigranten, Asylanten, Genderfrog bi alte Tante, dr Beat wirds richte», heisst es im Vers.
Das ist natürlich nicht ganz ernst gemeint, und doch ist es augenscheinlich, wie viele Vorschusslorbeeren der neue Bundesrat an den «drey scheenschte Dääg» bekommen hat, die eigentlich dafür bekannt sind, nicht zimperlich mit den Mächtigen umzugehen.
Und auch auf dem nationalen Parkett hat der eidgenössische Justizdirektor offenbar einen Lauf. Kaum im Amt, scheint er auf den ersten Blick schon in den rund 50 ersten Tagen mehr asylpolitische Ansagen gemacht zu haben als seine Vorgängerin Elisabeth Baume-Schneider in ihrem ganzen ersten Jahr.
Damit zeigt Jans, was ihm schon in seiner Heimat Basel gerne nachgesagt wird: Kommunizieren kann er. Der Bundesrat weiss, wie man auf unterschiedliche Menschen zugeht, zuhört, komplizierte Vorlagen einfach erklärt und Botschaften übermittelt. Die Botschaft der ersten 50 Tage ist: Hier weht jetzt ein anderer Wind.
Probleme lösen statt wegschauen
So hat Jans im Januar am WEF in Davos medienwirksam mit dem irakischen Aussenminister über ein Migrationsabkommen gesprochen, das unter anderem die Rückkehr abgewiesener Asylsuchender regeln soll.
Und diese Woche hat Jans Chiasso, die gestresste Grenzstadt, besucht. Die Behörden der Tessiner Gemeinde beklagen sich seit über einem Jahr über die Schwierigkeiten, die hohe Anzahl an Asylsuchenden zu bewältigen. Jans kündigte mehrere Verschärfungen an, beispielsweise 24-Stunden-Verfahren für Menschen aus Ländern, deren Gesuche zu 99 Prozent abgelehnt werden, etwa Tunesien, Algerien oder Marokko.
Dabei stellt Jans seine Politik unter ein sorgfältig ausgewähltes Leitmotiv: Er wolle Probleme lösen statt wegschauen, auch wenn es unangenehm sei, sagte er sinngemäss in Chiasso.
Auch wenn der Bundesrat dieses Motto nicht als Kritik an seiner SP verstanden haben möchte: Das ist eine bemerkenswerte Ansage für einen Magistraten einer Partei, die auf den Schutz von Geflüchteten und Solidarität setzt und der von rechts häufig vorgeworfen wird, sie verschliesse die Augen vor den Problemen der Migration.
In Chiasso kam Jans’ Auftritt denn auch gut an: «Es geht in die richtige Richtung», sagte Luca Pagani, Präsident von Chiassos Nachbargemeinde Balerna, gegenüber der NZZ. Der «Tages-Anzeiger» schrieb, Jans gehe «in die Offensive».
In Watte gepackte «Symbolpolitik»
Sogar Thomas Aeschi, der als Fraktionschef der SVP zu den unerbittlichsten Kritikern des Justiz- und Polizeidepartements (EJPD) gehört, muss Jans eine zumindest wirkungsvolle Kommunikation attestieren. Aeschis Partei lässt keine Gelegenheit aus, die Migrationspolitik der zuständigen Bundesräte zu kritisieren. Das war schon so, als Simonetta Sommaruga das Departement geführt hat. Das war bei Elisabeth Baume-Schneider (beide SP) so, und das wird bei Beat Jans auch nicht anders sein.
So meldet Aeschi auch jetzt schon Bedenken an, es handle sich beim Auftritt des Bundesrats nur um Symbolpolitik: «Ich fürchte, dass Jans’ Strategie einfach eine Lehre aus der gescheiterten Kommunikation von Elisabeth Baume-Schneider ist», sagt Aeschi. Mit ihrem Rücktritt hat sie die Gerüchte indirekt bestätigt, mit dem EJPD nie warm geworden zu sein. Chiasso besuchte sie erst im November 2023, Monate nach Amtsantritt und nach zahlreichen Hilferufen aus der Stadt. Woraufhin die SVP sie bei ihrem Departementswechsel in einer Härte kritisierte, die sogar der SVP-Politikerin Nina Fehr Düsel aufgefallen war und «20 Minuten» darüber sinnieren liess, ob weibliche Bundesratsmitglieder wegen ihres Geschlechts unter besonders scharfer Beobachtung stünden.
Unter Beobachtung steht nun auch Jans. Und zwar von rechts und links. Thomas Aeschi nimmt in Namen der SVP zwar zur Kenntnis, dass Jans bereit sei, vereinzelte Verschärfungen im Asylwesen zu prüfen. «Unsere Skepsis ist aber weiterhin sehr gross», sagt er. Die SVP werde noch vor den Sommerferien eine erste Bilanz ziehen: «Dann werden wir sehen, ob Bundesrat Jans Massnahmen gegen den Asyltourismus von Afghanen und Eritreern ergriffen und ob er die Zahl der illegalen Migranten wieder unter Kontrolle gebracht hat.»
Auf Angriff schaltet auch der Freisinnige Ständerat Damian Müller. Er spricht sogar von «in kommunikative Watte» eingepackter «Symbolpolitik». Beispielsweise bei den 24-Stunden-Verfahren. «Das bringt nichts», sagt Müller, «wir haben schon vor Jahren Schnellverfahren eingeführt.» Die Gesetze seien längst vorhanden, die Schweiz müsse sie einfach endlich vollziehen. «Dort drückt der Schuh.»
Kritik aus der SP
Auch Jans’ eigene Partei ist nicht nur begeistert von dessen ersten Schritten. So hat SP-Nationalrätin Nina Schläfli «durchaus ein paar Fragezeichen», wie sie sagt. Beat Jans müsse nun darlegen, wie er die angekündigten Verschärfungen umsetzen wolle. Bei den 24-Stunden-Verfahren sei beispielsweise wichtig, dass «das Recht auf Asyl uneingeschränkt bestehen bleibt».
Auch müsse sichergestellt werden, dass Menschen auf der Flucht auch am Wochenende ein Dach über dem Kopf hätten. Jans hatte angekündigt, dass die Mehrheit der Asylsuchenden nur noch unter der Woche einen Antrag im Asylzentrum stellen könnten. Sonst drohten Heime als «Notschlafstelle» missbraucht zu werden. Nur verletzliche Personen wie beispielsweise Mütter mit Kindern sollen auch am Wochenende Zugang haben. Schläfli ist skeptisch, ob das so einfach umsetzbar ist: «Ein traumatisierter Mann ist auch verletzlich, aber nicht auf den ersten Blick als solcher erkennbar.»
Auch die Flüchtlingshilfe stellt gegenüber SRF infrage, ob jeder Mensch jederzeit und unabhängig von seinen Chancen ein Asylgesuch stellen könne, wenn Jans’ Verschärfungen umgesetzt werden. Oliver Washington, Kommunikationschef von Jans, sagt: «Das Recht auf Asyl gilt, sonst hätte Bundesrat Jans diese Vorschläge nicht gemacht.»
Nur Sibel Arslan, Nationalrätin der Grünen und Baslerin, zeigt sich zufrieden, etwa bei der Beschulung von 16- und 17-jährigen unbegleiteten Minderjährigen, die im Tessin versuchsweise eingeführt werden soll. Auch Arslan hat zwar noch ein paar Fragen zur Umsetzung. So möchte sie geklärt haben, dass Schutzsuchende weiterhin Schutz finden. Aber unter dem Strich sieht sie Jans’ Initiative, sich in Chiasso ein Bild zu machen, positiv: Er nehme das Thema ernst. «Das ist gut so.»
Zur medienwirksamen Inszenierung gehörte allerdings auch bisschen Glück. So hat Beat Jans nicht alles selbst erfunden: Der bundesrätliche Besuch in Chiasso wurde eigentlich noch in Elisabeth Baume-Schneiders Amtszeit im Departement aufgegleist. Jans hat ihn jetzt einfach um ein paar Wochen verschoben, um etwas Vorbereitungszeit zu haben, sagt Jans Kommunikationschef Washington. Und das Projekt der 24-Stunden-Verfahren hat seine Vorgängerin als Pilotprojekt in Zürich eingeführt, Jans möchte es nun ausweiten.
Der Politiker hat aber auch dazugelernt. Nicht nur aus den Fehlern seiner Vorgängerin Elisabeth Baume-Schneider, sondern auch aus seinen eigenen als Regierungspräsident in Basel-Stadt. Nach dem Terrorangriff der Hamas auf Israel am 7. Oktober vergangenen Jahres brauchte Jans eine Woche, bis er sich im Namen der Regierung positionierte. Und wurde danach heftig dafür kritisiert.
In der Schweiz konnte er sich gestern als Bundesrat präsentieren, der bei der Hamas durchgreift. Er schickte das Verbot der Terrororganisation in die Vernehmlassung. Politisch ist das Gesetz eine Gratwanderung. Und kommunikativ für Jans nicht ganz einfach, man merkte bei der Medienkonferenz, dass er inhaltlich im Departement noch nicht ganz sattelfest ist.
Aber Jans hat auch noch etwas Zeit, er ist am heutigen Samstag noch nicht einmal bei Tag 60 seiner 100 Tage Schonfrist angelangt. Ob er seine medienwirksam präsentierten Versprechen hält, wird spätestens die nächste Fasnacht offenbaren. Der Bundesrat selbst rechnet fürs nächste Jahr offenbar durchaus mit kritischeren Versen zu seiner Person: Jetzt sei es noch «zu früh, um gegen mich herzuziehen», sagte er der «Basler Zeitung». Die Vergangenheit zeigt: Das kann sich schnell ändern. Insbesondere im EJPD.