Das Image der Grossbank profitiert vom Standort Schweiz. Doch durch drohende Verschärfungen beim Eigenkapital sieht sie ihr Geschäftsmodell und ihre Strategie infrage gestellt. Welche Standorte kämen bei einem Wegzug überhaupt infrage?
Banken drohen gerne damit, dass sie ihren Hauptsitz ins Ausland verlegen, wenn die Regulierung in der Heimat zu hart wird. Dass sie damit Ernst machen, ist allerdings selten. Eine Ausnahme gab es im Jahr 2017 in Stockholm. Damals eskalierte ein Streit zwischen der Nordea Bank und der schwedischen Politik. Auslöser war, dass der Staat von der Bank höhere Einzahlungen in einen Krisenfonds verlangte, der sie im Worst Case retten würde. Darauf beschloss der damalige Bankchef Casper von Koskull den Umzug nach Finnland, in die europäische Bankenunion. Seine Begründung: Nordea würde dann gleich reguliert werden wie ihre Konkurrenten.
Die Frage des Standorts stellt sich auch für die UBS in der Debatte zur Bankenregulierung nach dem Untergang der Credit Suisse. Die Topmanager der Bank sprechen dieses Szenario nicht von sich aus an. Doch werden die Anforderungen ans Eigenkapital über Mass verschärft, wird ein Wegzug auch für die UBS zur Option. Wo ihre Schmerzgrenze liegt, sagt die Grossbank nicht. Es liege an der Politik, Entscheidungen über die Zukunft des Schweizer Finanzplatzes zu treffen. Darauf angesprochen, sagt der Bankchef Sergio Ermotti jeweils, das sei eine hypothetische Frage – bis sie sich dann tatsächlich stellt.
Recherchen der NZZ zeigen: In der Führung der Grossbank wird dieses Thema ernst genommen und auch im informellen Rahmen diskutiert. Es existiert eine Planung für verschiedene Szenarien. In einer Verwaltungsratssitzung sei das aber noch nie Thema gewesen. Zudem machen sich Aktionäre der UBS Sorgen über die weitere Entwicklung des Schweizer Finanzplatzes. Dem Vernehmen nach erkundigten sich einige von ihnen bereits nach den Plänen der Bank, falls die Schweiz ihre Vorschriften für das Eigenkapital tatsächlich massiv verschärft.
Gewissheit über die Ausrichtung der künftigen Bankenregulierung gibt es für die Grossbank aber erst im Mai. Dann will der Bundesrat die Vernehmlassungsvorlage für die revidierte Eigenkapitalrichtlinie präsentieren. Strittig ist, ob die UBS ihre ausländischen Beteiligungen künftig vollständig mit Eigenkapital unterlegen muss. Für die UBS ist dies eine «Extremmassnahme». Sie schade nicht nur der Stärke und der Wettbewerbsfähigkeit der Schweiz, sondern auch dem Finanzplatz und der Wirtschaft, schreibt die Bank auf Anfrage.
Die neuen Vorschriften des Bundesrates könnten für die UBS sehr teuer werden. Kommt dieser mit seiner maximalen Forderung durch, rechnet sie mit zusätzlichen 40 Milliarden Dollar, die sie an Eigenkapital aufbauen müsste. Einerseits, weil sie seit der Übernahme der CS bereits jetzt zusätzliches Kapital von rund 19 Milliarden Dollar äufnen muss, unter anderem wegen des Regelwerks «Basel III final» und des gestiegenen Marktanteils der Bank. Dazu kommen noch zwischen 15 und 25 Milliarden mit der neuen Eigenkapitalrichtlinie. Aus Sicht des Finanzplatzes stellt all das den Schweizer Hauptsitz der Grossbank zur Disposition.
«Ein Teil des normalen Strukturwandels»
Kritiker verweisen dagegen auf die Grösse der Bank. Die Bilanz der UBS ist rund doppelt so gross wie die jährliche Wirtschaftsleistung der Schweiz. Die Grossbank verweist auf Anfrage darauf, dass sie seit der Finanzkrise ihr Geschäftsmodell geändert habe und anstatt der risikoreicheren Investmentbank die Vermögensverwaltung und die Schweizer Bank in den Mittelpunkt gestellt habe.
Trotzdem besteht die Befürchtung, dass die Bank in einer Krise zu gross wäre, um untergehen zu können. Zumal dann keine inländische Bank wie im Fall der CS als Käufer bereitstünde. Es gibt prominente Stimmen, die den Wegzug der Grossbank als gangbare Option sehen. Eine Verlagerung des Hauptsitzes der UBS dürfe man nicht als Tabu betrachten, sagt etwa der Berner Volkswirtschaftsprofessor Aymo Brunetti der NZZ.
Es wäre nicht sein bevorzugtes Szenario, doch solange die Grossbank im Krisenfall über eine implizite Staatsgarantie, also eine indirekte staatliche Subvention, verfüge, seien die Risiken zu hoch. «Verlagert die Grossbank als Reaktion auf Massnahmen, die diese Subvention beseitigen, ihren Sitz ins Ausland, wäre dies als Teil des normalen Strukturwandels zu betrachten», sagt er.
Wie viel Kunden im Alltag von einem Wegzug bemerken würden, ist fraglich. Bei der Nordea Bank waren die Auswirkungen auf die Kunden und die Arbeitsplätze gering. Einzig der Hauptsitz wurde von Schweden nach Finnland verlagert, das Kundengeschäft blieb in beiden Märkten bestehen.
Finanzplätze, die für die UBS als Ausweichstandort infrage kämen, gibt es nicht viele. Um eine global systemrelevante Bank wie die UBS zu beherbergen, müssen einige Faktoren zusammenkommen. So braucht ein Finanzplatz neben einer gewissen Ausstrahlung auch Rechtssicherheit und stabile Rahmenbedingungen. Wichtig ist zudem eine Zentralbank, die im Notfall ausreichend Liquidität bereitstellen kann. Mögliche Finanzplätze wären etwa London oder Singapur. Dem Vernehmen nach gibt es durchaus Standorte, welche der Grossbank Avancen für einen Umzug machen würden.
Attraktiv wäre für die Grossbank ein Finanzplatz, der vor allem in der Vermögensverwaltung, ihrem wichtigsten Geschäftsbereich, eine Ausstrahlung hat. Hier ist die Schweiz führend, während die grossen Deals im Investment Banking in New York, London oder Hongkong gemacht werden. Ein Teil des Geschäfts der UBS lebt von dieser Swissness. Für den Bankchef Ermotti ist sie ein wichtiges Merkmal zur Unterscheidung von anderen Banken. Die UBS kann damit in der internationalen Vermögensverwaltung um superreiche Kunden werben. «Diesen Nutzen hätte man nicht mehr, wenn die UBS plötzlich zu einer Auslandsbank würde», sagt Andreas Venditti, Bankenanalyst bei Vontobel.
Zieht die Bank tatsächlich um, wäre dies logistisch ein Monsterprojekt, das mehrere Jahre dauern würde. Umsetzen liesse es sich auf verschiedene Weise: So hat die Nordea Bank etwa 2017 in einem ersten Schritt ihre rechtliche Struktur geändert und ihre ausländischen Beteiligungen in Filialen ihres Stammhauses in Schweden umgewandelt. Im Jahr darauf haben ihre Aktionäre an der Generalversammlung dann für die Verschiebung des Hauptsitzes der Bank nach Finnland votiert.
Aufgrund der Struktur der UBS würde eine Verlagerung des Hauptsitzes in diesem Fall am ehesten durch einen Zukauf der Bank im Ausland geschehen, meint Nicolas Véron, Wirtschaftswissenschafter bei der Denkfabrik Bruegel in Brüssel und dem Peterson Institute for International Economics in den USA. Die HSBC beispielsweise hat als ursprünglich asiatische Bank in den neunziger Jahren erst die Midland Bank in Grossbritannien übernommen. 1992 hat sie ihren Hauptsitz dann aus Hongkong nach London transferiert.
Völlig geräuschlos verlief der Umzug aber nicht. Vor allem nach der Finanzkrise 2008/09 gab es Aktionäre, die forderten, dass die Bank wegen höherer Bankensteuern in Grossbritannien wieder zurück nach Hongkong ziehen soll. Regelmässig hat die HSBC ihren Standort überprüft. 2016 entschied sie sich, ihren Sitz in Grossbritannien zu belassen, obwohl sie einen grossen Teil ihrer Erträge in Asien erwirtschaftet.
Dazu kommen die Kosten eines Umzugs. «Die UBS müsste sich die Kosten und Nutzen einer Sitzverlagerung genau überlegen», sagt Venditti. Wie hoch die Kosten der Grossbank dafür sind, ist unklar. Im Falle der HSBC bezifferten Analysten 2016 die möglichen Kosten eines Umzugs von London zurück nach Hongkong mit bis zu 2,5 Milliarden Dollar.
Szenario einer Übernahme
Ein weiterer wichtiger Faktor für einen Finanzplatz ist die Regulierung. Die momentane Debatte in der Schweiz geht in eine andere Richtung als beispielsweise in den USA oder in der Europäischen Union. Während dort in erster Linie Erleichterungen und der Abbau von Bürokratie diskutiert werden, will die Schweiz im Nachgang zur CS-Krise die Regeln für Banken verschärfen.
Ein Beispiel für die unterschiedliche Entwicklung der einzelnen Finanzplätze ist auch die Einführung von «Basel III final». Während die USA, Grossbritannien und die EU die vollständige Umsetzung dieser neuen Kapitalvorschriften verschoben haben, hielt die Schweiz an ihrem Zeitplan fest und führte die Reform auf Anfang Jahr ein. «Für die UBS ist die sich öffnende Schere bei der Regulierung ungünstig», sagt Venditti.
Setzt sich diese Entwicklung fort, steht nicht nur ein Wegzug zur Option. Die Grossbank könnte laut Beobachtern auch zu einem Übernahmeziel werden. Härtere Vorschriften beim Eigenkapital in der Schweiz könnten dazu führen, dass ihr Aktienkurs und ihre Bewertung sinken und sie für potenzielle Käufer aus dem Ausland damit attraktiver wird. Das zusätzliche Eigenkapital wäre bei einer Übernahme dann eine Art Prämie.
Mit einem Wegzug der Grossbank hätte die Schweiz die damit verbundenen Risiken weg. Mit der Bank würden aber auch Steuereinnahmen und Arbeitsplätze ins Ausland abwandern. Und dass der Zürcher Paradeplatz und die Bahnhofstrasse noch viel Glamour verströmen, wenn die Grossbank mit ihrer superreichen Kundschaft ins Ausland zieht, darf bezweifelt werden. London, Singapur oder Dubai wird es freuen.