Geht es nach der Immunitätskommission des Nationalrats, soll die Justiz gegen SVP-Nationalrat Andreas Glarner ein Verfahren eröffnen dürfen. Der Entscheid ist noch nicht definitiv. Marco Chiesa und Peter Keller behalten die Immunität. In den Fällen von Thomas Aeschi und Michael Graber wurde die Entscheidung vertagt.
Die Immunitätskommission des Nationalrates hat am Montag mit 5 zu 4 Stimmen entschieden, dass eine auf der Plattform X publizierte islamkritische Äusserung von SVP-Nationalrat Andreas Glarner nicht durch die relative Immunität geschützt ist. Glarner hatte sich nach zwei Messerattacken in Deutschland, verübt von Männern aus Syrien und Afghanistan, kritisch gegenüber dem Islam geäussert. Gegen den Politiker gingen daraufhin Anzeigen wegen Rassendiskriminierung ein. Die Staatsanwaltschaft Bern stellte dem Parlament ein Gesuch, die Immunität von Glarner aufzuheben, um ein Strafverfahren einleiten zu können.
Keine Privilegierung bei sozialen Netzwerken
Die Immunitätskommission ist zum überraschenden Ergebnis gelangt, dass Glarners Äusserung keinen direkten Zusammenhang mit seiner amtlichen Tätigkeit habe. Parlamentarier sollten nicht gegenüber Privaten privilegiert werden, wenn sie sich in den sozialen Netzwerken äusserten, befand die knappe Mehrheit der Kommission, in der vier SVP-Nationalräte Einsitz haben. Geht es nach der Immunitätskommission, soll der Weg für die Strafverfolgung frei sein. Die Angelegenheit ist aber noch nicht definitiv, sondern muss noch von der Rechtskommission des Ständerates behandelt werden. Erst wenn auch sie zur Auffassung gelangt, dass kein Zusammenhang zwischen Äusserung und Amt besteht und Glarner in diesem Fall keine Immunität zusteht, kann die Staatsanwaltschaft ein Verfahren einleiten.
SVP-Ständerat Marco Chiesa und der frühere SVP-Nationalrat und Generalsekretär der Partei, Peter Keller, müssen dagegen kein Strafverfahren gewärtigen. Auch gegen sie waren Anzeigen wegen Rassendiskriminierung eingegangen. Chiesa und Keller hatten im Rahmen der Wahlkampagne 2023 der SVP Schweiz intensiv auf die Probleme durch kriminelle Ausländer hingewiesen («Neue Normalität»). Die Organisation der Wahlkampagnen stehe in einem unmittelbaren Zusammenhang mit dem parlamentarischen Mandat. Solche Aussagen unterstünden der freien Meinungsäusserung und seien deshalb zu tolerieren, meint die Immunitätskommission. Diese Haltung liegt auf der Linie der bisherigen Praxis; in ähnlich gelagerten Fällen, in denen der Vorwurf von rassendiskriminierenden Aussagen im Raum stand, wurde die Immunität der betreffenden Parlamentarier ebenfalls nicht aufgehoben.
Weitere Abklärungen zum Handgemenge
Vertagt hat die Kommission den Entscheid in dem Fall, der am meisten Aufsehen erregt hatte: das Handgemenge zwischen Thomas Aeschi und Michael Graber und zwei Bundespolizisten, das sich während der Sommersession im Parlamentsgebäude zugetragen hatte.
Die SVP-Nationalräte Aeschi und Graber hatten sich während des Besuchs des ukrainischen Parlamentspräsidenten über eine Anordnung des Sicherheitsdienstes hinweggesetzt und die gesperrte Haupttreppe im Parlamentsgebäude benutzt, worauf sie von den zwei dort postierten Polizisten rabiat angegangen wurden; es kam zu körperlichem Einsatz und verbaler Auseinandersetzung. Die Bundesanwaltschaft stellte daraufhin ein Gesuch, die Immunität der zwei Parlamentarier aufzuheben, um ein Verfahren wegen möglicher Hinderung einer Amtshandlung einleiten zu können.
Die Immunitätskommission hält die Angelegenheit offenbar für so wichtig, dass sie weitere Abklärungen zum genauen Ablauf der Geschehnisse vornehmen will. Die Verwaltungsdelegation soll der Kommission ihre Sicht der Dinge darlegen bezüglich der Frage, ob Aeschi und Graber die Sicherheitsvorschriften für das Gebäude verletzt haben.