Handy-Sünder erkennen, Fahrverbote kontrollieren oder das Tempo in Kurven messen: Radaranlagen werden immer raffinierter. Doch wer sich wehrt, hat vor Gericht nicht selten gute Chancen.
Freie Fahrt für freie Bürger – diese Devise galt im Kanton Aargau lange. Als einziger Kanton existierten hier nämlich keine fix installierten Blitzer. Erst als in der verkehrsgeplagten Stadt Baden vor vier Jahren die Stimmung kippte, änderte sich dies: Im Juli 2020 nahm Baden an einer zentralen Kreuzung die erste fixe Rotlicht- und Radarstation im Kanton in Betrieb. Prompt toben seither Diskussionen an den Stammtischen und in den sozialen Netzwerken über die angebliche Rundumüberwachung.
Jetzt hat der Streit die kantonale Politik erreicht. Die Aargauer Jungfreisinnigen, unterstützt von der Mutterpartei, wollen mit einer Volksinitiative erreichen, dass stationäre Blitzer in jedem Fall eine kantonale Bewilligung brauchen. Damit wollen sie verhindern, dass das Badener Beispiel Schule macht und rot-grüne Stadtregierungen überall, wo es ihnen passt, solche Anlagen aufstellen können.
Es ist nicht das erste Mal, dass die Region Baden zum Austragungsort eines Streits um die Verkehrsüberwachung wird. Vor zwei Jahren stoppte ein Gericht den Betrieb einer Anlage, die Autonummern ohne Wissen der Lenker gescannt hatte und bei einem Verstoss gegen die Regeln automatisch eine Busse auslöste. Automatisierte Fahrzeugfahndung und Verkehrsüberwachung (AVF) wird das System in der Fachsprache genannt.
Verbotener Schleichweg wurde zur Bussen-Falle
Im konkreten Fall ging es um eine Quartierstrasse in Ennetbaden, wo die Durchfahrt nur für Anwohner gestattet ist. Weil es sich um einen beliebten Schleichweg handelt, setzte die Aargauer Polizei dort eine AVF-Kamera ein: Kaum bog ein Auto in die Strasse ein, wurde die Autonummer erfasst und mit einer Datenbank abgeglichen. Bei Fahrzeugen ohne Zugangsberechtigung fertigte das System automatisch ein Bild an, und die Lenkerinnen und Lenker wurden gebüsst. Dafür fehle die gesetzliche Grundlage, entschied die Justiz. Auch in Baden müssen deswegen nun drei ähnliche Anlagen abmontiert werden.
Überwachen, blitzen, büssen – seit Jahren sorgt die Verkehrsüberwachung für politische und juristische Streitereien. Vor einem Jahr traf es den Kanton Solothurn, der sein Polizeigesetz nicht zuletzt aus diesem Grund erst kürzlich revidiert hatte. In einem vielbeachteten Urteil hob das Bundesgericht die Bestimmung zur AVF auf – unter anderem, weil der Anwendungsbereich zu offen und der Datenschutz mangelhaft formuliert war.
Bemerkenswert war die Eindringlichkeit, mit der das Bundesgericht vor übermässiger Überwachung warnt: Im Unterschied zur Arbeit durch eine Polizeistreife «ermögliche das System die massenhafte und praktisch unbegrenzte Erhebung und Auswertung von Daten», heisst es in dem Entscheid. Die höchsten Richter bezeichnen die automatisierte Fahrzeugfahndung deshalb als schweren «Eingriff in das Recht auf informationelle Selbstbestimmung».
In Bern wurden Tausende zu Unrecht gebüsst
Der Entscheid bringt das Dilemma auf den Punkt: Die Technik wird immer besser, so dass der Verkehr engmaschiger und präziser kontrolliert werden kann. Doch in den kantonalen Polizeigesetzen sind solche Möglichkeiten oft gar nicht vorgesehen. Zudem ist höchst umstritten, wie viel Überwachung überhaupt wünschenswert ist – und wo Eingriffe in die Rechte der Betroffenen unverhältnismässig werden. Verbote und Kontrollen dürfen jedenfalls kein Selbstzweck sein.
So wurde kürzlich ein Autofahrer im Kanton Glarus freigesprochen, nachdem er auf einer Strasse, auf der wegen einer Baustelle Tempo 50 galt, mit 80 km/h geblitzt worden war. Publik gemacht hat den Fall die Zeitung «Südostschweiz». Das Obergericht begründete seinen Entscheid damit, die Tempo-Tafel sei nicht nur ungültig und kaum sichtbar gewesen. Es handle sich ganz generell um eine «sinnentleerte Massnahme», solange auf einer Baustelle nicht gearbeitet werde. Pikant: Von dem Urteil könnten Hunderte anderer Automobilisten profitieren, die ebenfalls geblitzt wurden. Nun muss das Bundesgericht entscheiden.
In der Stadt Bern erhielten 6000 Automobilisten ihr Geld zurück, nachdem sie zu Unrecht gebüsst worden waren. Denn so ausgefeilt die Radargeräte sind – unfehlbar ist die Technik nicht. Der Kantonspolizei sowie einem Vertreter der Gerätelieferantin war aufgefallen, dass bei einer neuen Generation von Radargeräten überdurchschnittlich viele Tempoüberschreitungen verzeichnet wurden. Bei den Abklärungen stellte sich heraus, dass die Programmierung der Blitzer fehlerhaft war. Die Polizei informierte die fälschlicherweise gebüssten Automobilisten in diesem Fall von sich aus.
Im Alltag rüsten die Polizeikorps aber weiter auf. Gegenwärtig sind in der Schweiz 1105 geeichte «Geschwindigkeitsmessmittel für amtliche Messungen», so heissen die Blitzer amtlich, im Einsatz. Dies teilt das Eidgenössische Institut für Metrologie (Metas) auf Anfrage der NZZ mit. 2019 waren es noch 1017. Das Metas ist unter anderem für die Eichung der Radarmessgeräte zuständig.
Gleichzeitig werden die Radarfallen immer raffinierter. So können Autofahrer im Kanton Zug neu auch in der Kurve geblitzt werden. «Der Zuger Polizei geht es nicht darum, sich eine weitere Einnahmequelle zu erschliessen», erklärte der Mediensprecher Frank Kleiner in der «Zuger Zeitung». Die neuen semistationären Geschwindigkeitsmessanlagen würden wie bis anhin dafür eingesetzt, dass die Geschwindigkeitsbegrenzungen beziehungsweise die gesetzlichen Vorgaben eingehalten würden.
Während Temposündern das Leben immer schwerergemacht wird, kommen Automobilisten, die am Steuer telefonieren, heute meistens ungeschoren davon. Dies, obwohl es sich um ein Massendelikt handelt. So gaben in einer Umfrage des TCS vierzig Prozent der befragten Lenker zu, dass sie auf der Strasse zum Smartphone greifen. Dabei ist Ablenkung und Unaufmerksamkeit die häufigste Unfallursache. Offenbar schätzen Autofahrer die Wahrscheinlichkeit als gering ein, beim Telefonieren während der Fahrt erwischt zu werden und eine Busse von hundert Franken zu zahlen.
Deutsches Bundesland will neues System einführen
Doch bald dürfte es einfacher werden, Handy-Sünder zu erwischen. Eine neu entwickelte Blitzer-Technologie erkennt, ob ein Automobilist sein Handy bedient. Die Monocam genannte Technologie wird auf einer Brücke platziert und überwacht von dort den Verkehr in Echtzeit. Eine auf künstlicher Intelligenz basierende Software achtet dabei auf Objekte in der Hand sowie eine entsprechende Körperhaltung der Person am Steuer. Sobald die Kamera einen Smartphone-Sünder erkennt, macht sie ein Foto. Danach müssen geschulte Polizisten die Bilder auswerten.
Das in den Niederlanden entwickelte System wird seit einigen Monaten in den Städten Mainz und Trier getestet. Noch in diesem Jahr will Rheinland-Pfalz solche Geräte auf dem Gebiet des ganzen Bundeslandes einsetzen. Allerdings muss dafür erst eine gesetzliche Grundlage geschaffen werden. Auch in der Schweiz gibt es keine entsprechenden Bestimmungen. Bisher hat deshalb auch kein Polizeikorps angekündigt, entsprechende Versuche in der Praxis durchzuführen. In den Niederlanden ist das System bereits im Regelbetrieb im Einsatz. Wenn es sich auch in Deutschland bewährt, dürfte das Interesse in der Schweiz bald zunehmen.