Mit DDR-Vergleichen und einer schrillen Rücktrittsforderung an die Verteidigungsministerin bringt sich die Partei ins Gespräch. Die Mitte-Partei reagiert empört.
Der Januar gilt als Monat der Mässigung, zumindest was den Konsum alkoholischer Getränke angeht. In der Politik ist von dieser neuen Freude an der Nüchternheit bis jetzt wenig zu spüren. Die SVP jedenfalls fällt im «Dry January» noch mehr als sonst mit rhetorischer Überdrehtheit und nassforschen Angriffen auf.
Ueli Maurer wittert eine «Stasi 2.0» in Deutschland
«Wir nähern uns, wenn wir in Richtung Norden blicken, einem totalitären Regime», prophezeit der ehemalige Bundesrat Ueli Maurer in einem Text, der zuerst in der «Schweizerzeit» erschienen ist und am Samstag als ganzseitiges Inserat in der NZZ nachgedruckt wurde.
Mit dem «Norden» meint Maurer Deutschland. Dort, so glaubt Maurer, stehe es mit der Meinungsfreiheit ähnlich schlecht wie einst in Erich Honeckers DDR. Leute, die abweichende Meinungen äusserten, fürchteten Repressalien, es gebe Überwachungen und Verbotsdrohungen, etwa gegen die AfD. «Eigentlich müsste man mit Blick auf Deutschland von Stasi 2.0 sprechen», schreibt der Altbundesrat, als ob «im Norden» wieder massenweise Regierungskritiker ausspioniert, eingesperrt und in Schauprozessen abgeurteilt würden. «Wehren wir diesen Anfängen bei uns!»
In der Schweiz, also «bei uns», steht es nach Ansicht der SVP ebenfalls nicht gut. Aber trotz verengter Meinungskorridore wagt es die Partei offensichtlich immer noch, ihre Meinung ziemlich laut kundzutun. Zum Beispiel über Verteidigungsministerin Viola Amherd (Mitte), die der SVP viel zu Nato-freundlich ist und auch sonst alles falsch macht.
Botschaft aus dem Hotel Bad Horn: «Abtreten, Frau Amherd!»
«Frau Amherd beschäftigt sich lieber mit Gender-Themen in der Armee als mit der Ausrüstung», heisst es in einer Mitteilung, welche die SVP am Samstag verbreitet hat. «Sie lässt Waffen, die für die Schweiz bestellt wurden, an die Ukraine liefern. Das sind die falschen Prioritäten, Frau Bundesrätin!». Die Departementsvorsteherin sei massgeblich verantwortlich dafür, dass die innere und äussere Sicherheit der Schweiz gefährdet sei. Deshalb: «Abtreten, Frau Amherd!»
Die Rücktrittsforderung wurde an der Kadertagung der Partei im Thurgauer Hotel Bad Horn am Bodensee erhoben. Alt Bundesrat Christoph Blocher war dort ebenso zu Gast wie Armeechef Thomas Süssli, der sich neben anderen Spitzenbeamten aus dem Sicherheitsbereich in einer seltsamen Rolle wiederfand – als Kritiker und Buhmann. In einer Rede kritisierte Süssli, die Armee sei heute nicht glaubwürdig genug, um die Schweiz zu verteidigen. Gleichzeitig musste er sich von der SVP anhören, die Armee sei «schlecht geführt» und seine politische Vorgesetzte Amherd ein «Sicherheitsrisiko».
Die Armee hat tatsächlich viele Probleme, etwa mit milliardenteuren Projekten, die nicht vorankommen. Dass das allein Viola Amherd und ihrem Armeechef Süssli angelastet werden kann, darf jedoch bezweifelt werden. Süssli ist aus den Reihen der SVP auch schon mit Rücktrittsforderungen konfrontiert worden. Dies wohl auch, weil er wie Amherd eine stärkere internationale Vernetzung anstrebt.
«Comedy late night» am frühen Nachmittag, spottet Mitte-Politiker
In Amherds Partei hat der Angriff der SVP erwartungsgemäss für zahlreiche Reaktionen gesorgt. Angefangen beim Mitte-Präsidenten Gerhard Pfister, der auf X spottet, SVP-Magistrat Ueli Maurer habe es in seiner Zeit als Verteidigungsminister nicht einmal geschafft, «einen Kampfjet beim Volk durchzubringen». Andere Politikerinnen und Politiker ziehen Vergleiche mit Trump, Bolsonaro und Orban.
«Hauptsache, etwas randalieren», schreibt die Nationalrätin Nicole Barandun. «Die Bullies vom Pausenhof halt.» Der Mitte-Fraktionschef Philipp Matthias Bregy fragt die SVP, ob sie schon am frühen Nachmittag «Comedy late night» betreibe. Die Mitte sah sich auf X gar veranlasst, den «haltlosen Angriff» auf die Verteidigungsministerin zu verurteilen: «Der SVP geht es offensichtlich nur um eigene Aufmerksamkeit statt um die Interessen des Landes.»
Was die Aufmerksamkeit betrifft, hat sich das Gepolter für die SVP zweifellos gelohnt. Die Rücktrittsforderungen haben zahlreiche Medienberichte provoziert. Auch Ueli Maurers Warnungen vor einer «Stasi 2.0» sind nicht ungehört verhallt. Die Tamedia-Zeitungen schreiben von einem «dramatischen Appell». So kann man derartige Pamphlete und Verharmlosungen von Diktaturen auch nennen.