160 eingeladene Delegationen, so viele Spitzenpolitiker wie wohl noch nie, aber ein grosser Abwesender: Die Schweiz organisiert eine Konferenz der Superlative. Die wichtigsten Fragen und Antworten zum Treffen vom Juni.
Es tönte nach einem Coup: Im Januar kündigte Bundespräsidentin Viola Amherd einen grossen Friedensgipfel an, als der ukrainische Präsident Wolodimir Selenski Bern besuchte. Längst sind die Erwartungen bescheidener. Auf Deutsch ist noch von einer «hochrangigen Konferenz zum Frieden in der Ukraine» die Rede. Doch die Vorbereitungen für das Treffen, das am 15. und 16. Juni in der Innerschweiz stattfindet, laufen auf Hochtouren. Noch nicht alle Fragen lassen sich beantworten. Eine Übersicht über die wichtigsten Punkte.
Was ist das Ziel der Friedenskonferenz?
Die Schweiz organisiert die Konferenz auf Wunsch der Ukraine. Das Ziel ist es, einen möglichen Friedensprozess anzustossen. Die eingeladenen Staaten sollen über Schritte in diese Richtung diskutieren. Kiew schwebte zunächst vor, die ukrainische Friedensformel möglichst breit abzustützen. Der 10-Punkte-Katalog von Präsident Wolodimir Selenski sieht unter anderem den Abzug der russischen Truppen und die Rückgabe eroberter Territorien sowie die Errichtung eines Sondertribunals vor. Das ist gegenwärtig eine Illusion.
Inzwischen ist denn auch klar, dass auf dem Bürgenstock vorderhand bloss einzelne Punkte des ukrainischen Friedensplans ein Thema sein dürften, etwa der Schutz der Atomanlagen. Für Bundespräsidentin Viola Amherd wäre es schon ein Erfolg, wenn in einzelnen Bereichen eine Einigung der Konferenzteilnehmer gelingt.
Was wird auf dem Bürgenstock konkret diskutiert?
Das Departement für auswärtige Angelegenheiten (EDA) ist mit der Ukraine dabei, das Programm zu erarbeiten. Es soll sowohl einen Austausch im Plenum mit allen Delegationsleitern wie auch spezifische Diskussionen in kleineren Formaten geben. Der Fokus soll auf Themen liegen, von denen eine Vielzahl von Staaten betroffen sind, darunter die nukleare Sicherheit, die freie Schifffahrt, die Ernährungssicherheit und humanitäre Aspekte. Diese Punkte sind wichtig, weil es um das Kernkraftwerk Saporischja immer wieder zu Kämpfen gekommen ist. Die Ukraine spielt weltweit zudem im Getreideexport eine wichtige Rolle und ist auf sichere Transportwege angewiesen.
Wer nimmt an der Konferenz teil?
Die Schweiz hat über 160 Delegationen auf höchster Ebene eingeladen, aus allen Kontinenten. Darunter sind neben Staaten auch die EU, die Uno und religiöse Vertreter wie der Vatikan. Mit den zahlreichen Einladungen streben die Schweiz und die Ukraine ein möglichst breites Teilnehmerfeld auf höchster Ebene an.
Eine offizielle Liste liegt noch nicht vor. Das EDA hat auf der Plattform X aber immer wieder Zusagen von Staaten geteilt – und diese damit bestätigt. Auch der ukrainische Präsident Wolodimir Selenski nannte auf X wiederholt Teilnehmerstaaten. Rund 80 Länder haben gemäss dem EDA bis jetzt zugesagt.
Zahlreiche internationale Spitzenpolitiker wie der französische Präsident Emmanuel Macron, der deutsche Bundeskanzler Olaf Scholz oder die EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen wollen auf den Bürgenstock kommen. Auch etliche Staaten aus Südamerika, dem Nahen Osten und Afrika sollen dabei sein. Indiens Premierminister Narendra Modi hat die Teilnahme seines Landes ebenfalls bestätigt. Ob er selber anreist, liess er offen.
Unklar ist auch, ob – und wenn ja, in welcher Form – China teilnimmt. Von Peking sind unterschiedliche Signale gekommen. Als Letztes liess es verlauten, es brauche eine Friedenskonferenz, die von Russland und der Ukraine anerkannt werde. Ins selbe Horn stiess ein anderes gewichtiges Schwellenland, Brasilien, das die Schweiz stark umworben hatte. Südafrika, auf das Moskau Druck machte, hat offenkundig bereits abgesagt.
Gut möglich ist, dass sich eine Eigendynamik entwickelt, wenn immer mehr Länder zusagen. Welcher Staat am Ende auf welcher Stufe teilnimmt, wird erst kurz vor der Konferenz klar sein. Das gilt auch für den amerikanischen Präsidenten Joe Biden. Jüngst berichtete die Agentur Bloomberg, dass dieser wegen eines Wahlkampftermins vom Gipfel der G-7-Staaten in Italien direkt in die USA zurückfliegen solle. Washington hat aber klargemacht, dass es die Konferenz unterstützt.
Was ist mit Russland?
Bis anhin hat die Schweiz Russland nicht formell eingeladen. Aussenminister Ignazio Cassis hat im Januar am Rande einer Sitzung des Uno-Sicherheitsrats in New York aber dem Aussenminister Sergei Lawrow signalisiert, man lade Russland ein, am Friedensprozess teilzunehmen. Moskau hat jedoch mehrfach verlauten lassen, dass es von der Konferenz wenig hält und nicht an eine Teilnahme denkt. Russische Medien diffamieren das Treffen und den Bundesrat seit Wochen.
Cassis hat stets betont, dass es ohne Russland keinen Frieden geben könne. Die Schweiz will mit der Konferenz im besten Fall einen Friedensprozess anstossen. Sie sei überzeugt, dass Moskau im Verlaufe dieses Prozesses einbezogen werden müsse, schreibt das EDA. Im Departement gibt es Überlegungen, Russland doch noch formell einzuladen. Damit müsste aber auch die Ukraine einverstanden sein.
Weshalb ist eine Teilnahme Chinas wichtig?
China ist einer der engsten Partner Russlands. Es liefert zivil und militärisch verwendbare Güter, die Moskau für den Krieg dringend benötigt. Zudem ist es der wichtigste Handelspartner Russlands. Peking kommt denn auch eine wichtige Rolle zu. Nimmt es in irgendeiner Form teil, dürfte es einfacher werden, sich auf Kompromisse zu einigen, die auch für Russland akzeptabel sind. Die Schweiz hat sich deshalb stark bemüht, das Reich der Mitte zu einer Teilnahme zu bewegen. Aussenminister Ignazio Cassis reiste dafür im Februar eigens nach China. Auch Botschafter Gabriel Lüchinger, der die Task-Force für die Konferenz leitet, sprach wiederholt mit Abgesandten Pekings.
Was kostet die Konferenz?
Gemäss dem EDA sind die Kosten noch nicht klar. Am stärksten ins Gewicht fällt die Sicherheit. Der Kanton Nidwalden rechnet allein dafür mit Ausgaben von 5 bis 10 Millionen Franken. Zur Unterstützung hat der Bundesrat einen subsidiären Einsatz der Armee bewilligt. Bis zu 4000 Soldatinnen sollen die zivilen Behörden unterstützen.
Je mehr Staaten auf höchster Ebene teilnehmen, desto höher dürften der Aufwand und die Kosten werden. Auf Wunsch der Ukraine hat die Schweiz möglichst viele Länder eingeladen, darunter auch Kleinstaaten. Reisen zahlreiche Staats- und Regierungschefs an, wird die Organisation ein logistischer Kraftakt, namentlich für das Protokoll des EDA.
Welche Erfolgschancen hat die Konferenz?
Das hängt von den Erwartungen und den Teilnehmern ab. Bundespräsidentin Viola Amherd liess über den «Blick» verlauten, dass die Konferenz bereits gelungen ist, weil viele Staaten zugesagt haben. Am Ende zählt jedoch der Inhalt. Eine Einigung in den Themenbereichen wie der nuklearen Sicherheit oder der Ernährungssicherheit ist möglich. Ob es für mehr reicht, bleibt eine andere Frage. Mit Russland sitzt eine Kriegspartei nicht am Tisch. Ohne Moskau aber kann es keinen Friedensprozess geben.
Was verspricht sich die Schweiz von der Organisation?
Die Schweiz übernimmt immer wieder die Rolle der Gastgeberin von internationalen Konferenzen. Es handelt sich um ein Instrument der Guten Dienste. Beim Treffen auf dem Bürgenstock spielt Bern nicht nur die Rolle des Hoteliers, sondern bestimmt mit Kiew auch die inhaltliche Agenda mit. Mit der Ausrichtung der Konferenz leiste die Schweiz einen wichtigen Beitrag für mehr Sicherheit und Stabilität in Europa, schreibt das EDA. Sie unterstütze die Ukraine auf einem Weg zu einem dauerhaften und gerechten Frieden. Die Schweiz hat im Januar am Rande des WEF bereits das Treffen der Berater zur nationalen Sicherheit zur Ukraine organisiert.
Für die Schweiz ist die Konferenz eine Chance, ihr internationales Profil zu schärfen. Nach dem Beginn des russischen Angriffs stand sie immer wieder in der Kritik, sie tue für die Ukraine zu wenig. Bei den westlichen Partnern war der Ärger gross, dass Bern ihnen die Weitergabe von Kriegsmaterial aus Schweizer Produktion verweigerte. Auch die angeblich zu langsame und passive Rolle bei den Sanktionen und der Konfiskation russischer Vermögen gab zu reden.
Die Schweiz kann auf dem Bürgenstock nun ihre Fähigkeit demonstrieren, einen derartigen Grossanlass gut über die Bühne zu bringen. Die Teilnahme von zahlreichen Spitzenpolitikern wird international zu einem grossen Medienecho führen. Die Schweiz darf mit guter PR und schönen Bildern rechnen. Ob die Konferenz längerfristig etwas bringt, steht dagegen auf einem anderen Blatt.