Der aus Galizien stammende Ivan Franko (1856–1916) war ein enthusiastischer ukrainischer Patriot. Zu Lebzeiten erschienen von ihm nicht weniger als 220 Bücher und Broschüren. Seine auf Ukrainisch verfasste Lyrik schlägt den Bogen von der Tradition zur Moderne.
Ivan Franko alterte früh – in seinem Werk und in seinem Leben. Bereits als junger Autor wurde er mit sozialkritischen Erzählungen berühmt. Er gilt heute als herausragende Figur in der ukrainischen Literaturgeschichte, obwohl er bereits 1916 im Alter von sechzig Jahren an einer Polyarthritis starb. Zuvor hatte er an einer Lähmung der Hände und unter Halluzinationen gelitten. Seine Feinde, von denen er im heimatlichen Galizien nicht wenige hatte, mutmassten hämisch, er sei an Syphilis erkrankt. Franko selbst phantasierte, dass seine Hände von politischen Gegnern mit einem Hammer zertrümmert würden, damit er nicht mehr schreiben könne.
Franko vertrat sowohl politisch als auch literarisch eine widersprüchliche Position. Er bezeichnete sich zwar als Sozialist, bekämpfte aber mit Verve den Marxismus. Frankos besonderen Ärger hatte schon das «Kommunistische Manifest» erregt, weil dort behauptet wird, die Arbeiter hätten kein Vaterland. Franko wollte im Gegenteil eine ukrainische Nation aufbauen, in der sich die Klassen annähern.
Unlösbares Dilemma
In der Literatur bekämpfte Ivan Franko zwar die Modernisten, schrieb aber selbst Gedichte, die sich stark an dekadenten Schreibweisen orientierten. Letztlich befand sich Franko in einem unlösbaren Zielkonflikt: Einerseits wollte er als ein neuer «Moses» (so der Titel eines seiner berühmtesten Poeme) sein ukrainisches Volk aus der österreichischen und russischen Gefangenschaft herausführen. Dazu musste er einen volksnahen und verständlichen Stil pflegen. Andererseits nahm er den Bildungsauftrag ernst, den er sich selbst und seinem Volk verordnet hatte, und reagierte deshalb in seinem Werk feinfühlig auf die neusten künstlerischen Strömungen.
Franko war polyglott: Neben seiner Muttersprache Ukrainisch beherrschte er das Russische, Deutsche und Polnische perfekt. In seinen Texten wechselte er je nach Publikum von einer Sprache in die andere. Obwohl er in anderen Sprachen viel bessere Erfolgsaussichten auf literarischen Ruhm gehabt hätte, entschied sich Franko bewusst für das Ukrainische und engagierte sich für die Rechte der Ukrainer im österreichischen Galizien.
Den Preis, den er zahlte, war hoch. Als junger Mann sass er drei Mal mehrere Monate im Gefängnis. Eine anvisierte akademische Karriere in Lwiw scheiterte an seinem «politischen Vorleben», wie die Behörden freimütig bekannten. Zeit seines Lebens musste er sich mit journalistischen Arbeiten über Wasser halten und starb verarmt in einem Lwiwer Militärlazarett.
Übersetzerisches Glanzstück
Ivan Frankos literarisches Werk ist bis heute nur punktuell auf Deutsch greifbar. Die Slawistin Christine Fischer legt nun mit einer klug getroffenen Auswahl von Frankos Sonetten eine übersetzerische Meisterleistung vor.
In den düsteren «Herbstgedanken» aus dem Jahr 1882 folgt der 26-jährige Dichter der Mode des Fin de Siècle und bezeichnet sich als «alten» und «welken» Mann. Bald schon zeigt sich aber Frankos Innovationskraft. In einem programmatischen Sonett aus dem Jahr 1889 hebt er die unterschiedlichen Ziele des Sonetts in der Weltliteratur hervor: Dante, Petrarca und Shakespeare besingen die Schönheit, Theodor Körner das Schwert, Franko selbst aber will das «Sonett ganz neu erschaffen» – und es in einen «Pflug» für die Aussaat, eine «Sichel» für die Ernte und eine «Forke» für das Ausmisten verwandeln.
Christine Fischer gelingt es, sowohl Frankos lyrische Klänge als auch seine polemische Pointen in ein kristallklares Deutsch zu fassen.
Ivan Franko: Sonette. Aus dem Ukrainischen von Christine Fischer. Thelem-Verlag, Dresden 2024. 166 S., Fr. 29.90.