Wie André Simonazzi brechen immer wieder gesunde Männer und Frauen scheinbar grundlos zusammen und sterben. Was hinter solchen Tragödien steckt und wie man als Beobachter eines solchen Ereignisses am besten hilft.
Die Nachricht von André Simonazzis unerwartetem Tod hat viele aufgeschreckt. Laut Bundeskanzlei ist der Vizekanzler auf einer Wanderung zusammengebrochen und verstorben. Mehr ist offiziell nicht bekannt. Simonazzi war erst 55 Jahre alt. Er ist somit «mitten aus dem Leben» gerissen worden.
Für die Angehörigen ist ein solcher Todesfall brutal wie ein Faustschlag ins Gesicht. Wer den Verstorbenen nicht persönlich gekannt hat, fragt sich unweigerlich: Könnte so etwas auch meinen Liebsten passieren? Auch mir?
Die Antwort ist ein klares Ja, wie der Kardiologe Christian Schmied vom Universitätsspital Zürich und der Klinik Hirslanden sagt. Denn ein solcher Sekundentod oder plötzlicher Tod, wie das Phänomen auch genannt wird, wenn gesunde Menschen einfach so zusammenbrechen und innerhalb weniger Minuten sterben, lasse sich nicht zu 100 Prozent verhindern. Auch mit einer gesunden Lebensführung und regelmässigen medizinischen Checks nicht.
Schmied muss es wissen. Schliesslich hat er sich auf die Prävention des plötzlichen Herztods spezialisiert, vor allem bei Sportlern. In seinem Berufsalltag hat er immer wieder mit Menschen zu tun, die einen plötzlichen Herztod überlebt haben, wie man im Ärztejargon sagt. Schmieds Fazit: «Aus medizinischer Sicht ist ein solcher Tod bei einem über 50-jährigen Mann keine Seltenheit.»
Das hängt auch damit zusammen, dass es viele Ursachen und Faktoren gibt, die einen Menschen wie aus heiterem Himmel sterben lassen – ohne dass dabei Gewalt im Spiel wäre. Nicht selten gibt es vor dem tragischen Ereignis auch keinerlei objektive Hinweise auf den bevorstehenden Tod. Viele Betroffene äussern auch kurz vor dem tragischen Ereignis keine Beschwerden. Sie sterben einfach, wie aus dem Nichts heraus. Dort, wo sie sich gerade befinden.
Stehen oder gehen sie, fallen sie einfach zu Boden. Im Sitzen versinken sie im Sessel. Im Bett wirkt der Sekundentod dagegen völlig unspektakulär. Der Mensch ist dann am Morgen einfach tot. Und in der Todesanzeige steht, der Verstorbene sei friedlich eingeschlafen.
«Man taucht einfach weg, ohne gross Schmerzen zu haben», weiss Schmied aus Berichten von Patienten, die den Sekundentod überlebt haben. Er gilt deshalb gemeinhin als angenehmer Tod. «Wenn ich einmal sterben muss, dann am liebsten so», hört man immer wieder.
Der Sekundentod kann Menschen jeden Alters treffen. Das Risiko steigt allerdings mit zunehmendem Alter stark an (vgl. Grafik). Auch Erkrankungen wie Diabetes oder Bluthochdruck sowie Lebensstilfaktoren wie das Rauchen oder ein Bewegungsmangel lassen das individuelle Risiko ansteigen.
Was im Einzelfall den plötzlichen Tod ausgelöst hat, lässt sich nur mithilfe einer Autopsie nachweisen. Aus der Statistik weiss man aber, dass es häufigere und seltenere Ursachen gibt. Demnach liegt das Problem in 80 Prozent der Fälle im Herzen. In den restlichen 20 Prozent der Fälle bricht die Person meist wegen eines Problems im Hirn oder in den Lungen zusammen (vgl. untenstehende Tabelle).
Wo der Sekundentod seinen Ursprung hat
Im Herz (80 Prozent der Fälle)
a) Herzinfarkt wegen verstopfter, eingerissener oder verkrampfter Herzkranzarterien (65 Prozent)
b) andere strukturelle Herzprobleme wie angeborene Herzmuskelerkrankungen, Herzklappenprobleme, eine Herzmuskelentzündung, Einblutung in den Herzbeutel, Einriss der Aorta (10 Prozent)
c) elektrische Herzprobleme (5 Prozent)
Ausserhalb vom Herz (20 Prozent der Fälle)
Darunter fallen: Hirnblutung, Vergiftung, Lungenembolie, Obstruktion der Luftwege
Was bei allen Ursachen gleich ist: Es kommt zum akuten Herz-Kreislauf-Versagen. Dadurch wird die Sauerstoffzufuhr zu den lebenswichtigen Organen von einer Sekunde auf die andere unterbrochen. Ein solcher Sauerstoffmangel wird in der Regel nur ein paar Minuten lang toleriert. Danach kommt es zu irreversiblen Schäden an den Körperzellen, und der Mensch stirbt.
Zuvor verliert die Person das Bewusstsein. «Das ist nach zehn bis zwanzig Sekunden der Fall», sagt Schmied. Steht der Mensch in diesem Moment auf den Füssen, fällt er wie ein gefällter Baum zu Boden. Das hat man beim dänischen Fussballer Christian Eriksen eindrücklich gesehen. Dieser ist 2021 an der Fussball-Europameisterschaft vor laufenden TV-Kameras zusammengebrochen – ohne dass er vor dem Aufprall noch reflexartig seinen Kopf mit den Armen hätte schützen können, wie Schmied sagt.
«Hinter den allermeisten Fällen von Sekundentod steckt eine fatale Herzrhythmusstörung, die meist durch einen Herzinfarkt ausgelöst wird», sagt der Zürcher Kardiologe. Besonders gefürchtet ist das Kammerflimmern. Statt mit 60 bis 100 Schlägen pro Minute zu schlagen, flimmert das Herz in einer Frequenz von über 500 – und steht damit funktionell still. Das heisst, das Organ pumpt kein Blut mehr in den Kreislauf. Ohne sofortige Wiederbelebungsmassnahmen stirbt der Mensch innert weniger Minuten.
Wie erkennt man einen plötzlichen Herztod?
- Eine Person fällt plötzlich zu Boden oder sinkt im Stuhl zusammen
- Sie ist nicht mehr ansprechbar und reagiert nicht auf Schmerzreize (Bewusstlosigkeit)
- Sie atmet nicht mehr (Atemstillstand)
- Sie hat keinen spürbaren Puls mehr (Herzstillstand)
Der ursächliche Herzinfarkt werde in 60 bis 80 Prozent der Fälle durch eine sogenannte Plaque-Ruptur verursacht. Dabei bricht in einer Herzkranzarterie die durch Ablagerungen veränderte Gefässwand auf. Das sei für den Körper wie eine offene Wunde, erklärt der Arzt. Diese Wunde versuche der Organismus mit Blutplättchen und gerinnungsfördernden Eiweissen zu verschliessen: «Dadurch wird das Blutgefäss auf einen Schlag komplett verschlossen, und es bildet sich ein Herzinfarkt.»
Laut Schmied kann man die Plaque-Ruptur in der Autopsie sehen – oder mithilfe einer Katheteruntersuchung, wenn der Patient das akute Ereignis überlebt hat.
Ein plötzlicher Herztod kommt meist bei Personen mit Veränderungen am Herzen vor. Am häufigsten sind die Herzkranzarterien durch Ablagerungen eingeengt. Eine solche koronare Herzkrankheit kann über Jahrzehnte keine Beschwerden verursachen. Deshalb wissen viele Personen bis zum akuten Ereignis nichts davon.
In etwa 10 bis 15 Prozent der Fälle von plötzlichem Herztod lassen sich am Herzen keine sichtbaren Auffälligkeiten erkennen. Das Organ kann aber trotzdem funktionelle Probleme aufweisen, etwa was die elektrische Erregung des Herzmuskels betrifft, die dem mechanischen Pumpvorgang vorausgeht. Mit neueren Untersuchungstechniken lassen sich solche elektrischen Probleme nachweisen. Sie gehen teilweise mit Veränderungen in den Ionenkanälen der Herzmuskelzellen einher. Diese Störungen können ebenfalls zu fatalen Herzrhythmusstörungen führen.
Wie Plaque-Rupturen werden auch Herzrhythmusstörungen durch körperlichen und seelischen Stress begünstigt. Dabei spielen Hormone wie Cortisol, Melatonin und Adrenalin eine Rolle, aber auch Nervenimpulse. Solche Faktoren dürften ein wichtiger Grund sein, weshalb die meisten Sekundentodesfälle nicht in der Nacht, sondern am Tag passieren. Besonders heikel sind gemäss Studien die Morgenstunden zwischen sieben und elf Uhr.
In der Schweiz kommt es jedes Jahr bei etwa 8000 Menschen zu einem plötzlichen Herztod. Weniger als 5 Prozent der Betroffenen überleben den Kreislaufstillstand ohne neurologische Langzeitschäden. Die schlechte Prognose hat auch damit zu tun, dass die Rettungsdienste die Patienten nur selten rechtzeitig erreichen, also innerhalb der kritischen Zeitspanne von drei bis fünf Minuten nach dem Ereignis.
Deshalb sind alle gefordert, die bei einer Person einen Herzstillstand beobachten. Neben der raschen Alarmierung der Sanitätsdienste muss sofort mit der lebensrettenden Herzmassage begonnen werden (Reanimation). Damit wird die mechanische Pumpfunktion des Herzens imitiert. Ebenso wichtig wie die Herzmassage ist die Defibrillation. Denn nur so lässt sich das Kammerflimmern beenden und der Tod der Person abwenden.
Was tun bei einem plötzlichen Herztod?
- Rettungsdienst alarmieren (über Notrufnummer 144)
- Herzmassage durchführen (120 Mal pro Minute)
- Defibrillator holen lassen
- Wenn der Defibrillator da ist: Herzmassage kurz unterbrechen und Schock auslösen, falls angezeigt (alle 2 Minuten wiederholen)
Weil der Defibrillator beim plötzlichen Herztod so wichtig ist, gibt es die lebensrettenden Geräte inzwischen an vielen öffentlichen Plätzen wie Flughäfen, Bahnhöfen, Sportstadien oder Museen. Auch viele Unternehmungen haben Defibrillatoren angeschafft.
«Die Verfügbarkeit von Defibrillatoren hat die Überlebenschancen beim plötzlichen Herztod massiv erhöht», sagt Christian Schmied. Das zeigten verschiedene Studien. Deshalb hat man in der Stadt Zürich auch die Polizei mit Defibrillatoren ausgerüstet. Denn sie sei oftmals vor der Sanität bei einer zusammengebrochenen Person.
Auch bei geführten Wanderungen mit Senioren könne man sich überlegen, einen Defibrillator mitzunehmen, sagt der Arzt. Die Geräte seien inzwischen für gut 2000 Franken zu haben und klein genug, um sie in einer Tasche oder einem Rucksack mittragen zu können. Anders als mit den oft in Reiseapotheken enthaltenen Pflastern und Desinfektionsmitteln könne man damit im Ernstfall tatsächlich Leben retten.
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