Vergangene Woche publizierte die ETH ihren Abschlussbericht zum Fall des freigestellten Forschers. Jetzt reagieren die Angestellten des Professors – mit einem scharfen Protestschreiben an die Hochschule.
Die Affäre um den britischen ETH-Professor Tom Crowther schwelt weiter. Die ETH Zürich hätte eigentlich einen Schlussstrich unter den komplexen Fall ihres Umweltwissenschafters ziehen wollen, der die Hochschule nach Vorwürfen wegen persönlichen Fehlverhaltens und wegen mutmasslicher Verstösse gegen Compliance-Regeln Ende 2024 verlassen musste. Am vergangenen Freitag publizierte die Hochschule den Abschlussbericht ihrer Abklärungen dazu. Die Medienstelle teilte gleichentags mit, dass damit «erstmals ein gesamtheitliches Bild» zur Causa Crowther bestehe.
Der ETH-Bericht enthält viele anonyme Anschuldigungen, die von der ETH sodann bestätigt, entkräftet oder «zumindest zum Teil» für zutreffend befunden wurden. Nach Einschätzung der Hochschule haben der junge Professor und sein Team wiederholt im Graubereich operiert. In ihrer Conclusio hält die ETH fest: Crowthers Forschertrieb scheine ihn dazu gebracht zu haben, Regeln zu missachten sowie manchmal professionelle Distanz zu seinen Mitarbeitenden vermissen zu lassen.
Jetzt zeigt sich: Diese Darstellung wird ETH-intern heftig kritisiert. Mehrere Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des freigestellten Professors haben sich am Montag in einem detaillierten Schreiben an die oberste Personalchefin Julia Dannath und an den ETH-Vizepräsidenten für Finanzen gewandt. Übermittelt wurde die Replik von Emily Clark, der Managerin von Crowthers Forschungsgruppe. Am Donnerstag wurde das Dokument online publiziert.
Verhörmethoden
Clark betont, dass der Brief von Mitarbeitenden aller Stufen geschrieben worden sei, also von Doktoranden, Postdoktoranden und Teamleitern der Forschungsgruppe. Man wolle zum Ausdruck bringen, warum man die monatelangen Abklärungen der ETH als schädlich empfunden habe, schreibt die Amerikanerin in einer E-Mail an Dannath und den Finanzchef der ETH.
Die Managerin und ihre Mitstreiter sind von den Konsequenzen dieser Abklärungen direkt betroffen: Die Forschungsgruppe wird aufgelöst. Die Wissenschafter des Teams müssen sich einen neuen Betreuer suchen. Viele Mitarbeitende werden ihre Stelle verlieren, so auch Clark, deren Vertrag im Juni ausläuft.
Doch ihre Kritik zielt auf etwas anderes ab. Die Absender des Schreibens werfen der ETH vor, eine unsaubere und fehlerhafte Untersuchung durchgeführt zu haben. Sie haben diesen Prozess selbst miterlebt, als sie im vergangenen Jahr im Auftrag der ETH von einer Zürcher Anwaltskanzlei befragt wurden.
Die Lab-Mitarbeitenden finden klare Worte. Die Untersuchung der Juristen sei weder fair noch neutral gewesen. Im Gegenteil: «It created an environment of intimidation, bias, and factual distortion», schreiben die Wissenschafter. Die Befragungen seien einschüchternd und voreingenommen gewesen, Fakten seien von den Anwälten verzerrt worden.
Die Abklärungen veranlasst hatte Dannath, nach dem sich drei frühere Mitarbeitende von Crowther im Sommer 2024 bei der ETH-Vizepräsidentin über den Professor beschwert hatten. Der Mann und die beiden Frauen haben die ETH schon vor Jahren verlassen. Ihr Vorwurf: Crowther habe sie sexuell belästigt. Die Tamedia-Zeitungen berichteten Ende August darüber, allerdings ohne Details zu nennen: Der Professor hatte sich gegen Tamedia gewehrt und vor Gericht eine superprovisorische Verfügung erwirkt. Die ETH ihrerseits hatte sich in dem Tamedia-Artikel öffentlich schockiert gezeigt über die Anschuldigungen gegen Crowther.
Dann machten sich die Anwälte der Kanzlei ans Werk. Im Herbst 2024 wurden alle Mitarbeitenden des Professors befragt. In Einzelinterviews, einer nach dem anderen.
Suggestive Fragen
Für Clark und die anderen Unterstützer des Protestschreibens steht fest: Diese Abklärungen waren darauf angelegt, die Anschuldigungen gegen ihren Vorgesetzten zu bestätigen, anstatt, wie von der Hochschule angekündigt, die Fakten zu klären. Die Fragen der Anwälte seien sehr suggestiv gewesen. Man sei unter Druck gesetzt worden, die gewünschten Antworten zu liefern. Die Juristen hätten das Narrativ der Tamedia-Zeitungen übernommen.
Laut dem Tamedia-Artikel von Ende August hatten der ETH in den vergangenen Jahren nicht drei, sondern acht Personen unter anderem von «Annäherungen» von Crowther berichtet, «die für einen Vorgesetzten nicht adäquat seien». Sie seien von der Hochschule nicht ernst genommen worden, schrieben die beiden Reporter damals.
Diese These steht auf tönernen Füssen. Die Tamedia-Journalisten haben sich in ihrem jüngsten Crowther-Artikel vom vergangenen Freitag selbst davon verabschiedet. Doch in den Fragen der Anwälte an die Lab-Mitarbeitenden wurde diese Behauptung immer wieder als Tatsache präsentiert: Acht Personen hätten sich bei der ETH über unangebrachte Annäherungen von Professor Crowther beschwert. Im Befragungsprotokoll von Emily Clark ist gar von mehr als acht Personen die Rede. Das Dokument liegt der NZZ vor.
Irreführende Darstellung
Die Crowther-Mitarbeiter kritisieren auch die Kernbotschaft des Abschlussberichts der ETH. Sie werfen der Hochschule vor, positive Statements über ihren freigestellten Chef kleinzuhalten oder gar wegzulassen. Stattdessen stütze sich der ETH-Report viel zu sehr auf anonyme Anschuldigungen von früheren Angestellten.
Ausserdem seien Belege, die Crowther entlasteten, systematisch ignoriert worden. Zum Beispiel beim Vorwurf einer früheren Praktikantin, Crowther habe sie an einer Weihnachtsfeier der Abteilung geküsst und danach versucht, ihr zu einer Doktorarbeit in seiner Forschungsgruppe zu verhelfen. Nach dem – von Crowther und von Augenzeugen bestrittenen – Kuss an der Party habe sie es abgelehnt, ihre Dissertation unter Professor Crowther zu realisieren. Der Sachverhalt wird im ETH-Bericht so beschrieben, als habe Crowther seine Macht zu missbrauchen versucht.
Diese Darstellung ist tatsächlich irreführend. Eine Doktorarbeit bei dem britischen Professor stand gar nicht zur Debatte. Die Ex-Praktikantin, die Jahre danach schwere Vorwürfe gegen Crowther erheben sollte, hätte in einer anderen ETH-Gruppe doktoriert. Sie wäre dort von einer anderen Wissenschafterin betreut worden. Das Projekt kam wegen fehlender Finanzierung nicht zustande.
Dazu steht nichts im Abschlussbericht der ETH. Dabei hatte Clark dem Teamleiter der Anwaltskanzlei bereits im Herbst eine Korrespondenz zwischen ihr und der früheren Praktikantin von Ende 2021 zukommen lassen, die deren spätere Version als falsch entlarvt. Die E-Mails liegen der NZZ vor. Der Report der ETH hingegen hält lediglich fest, dass man über Informationen verfüge, die den Aussagen der Frau und den anderen früheren Mitarbeitenden zum Teil widersprechen würden. Die drei Belastungszeugen seien befreundet gewesen mit dem Professor, schreibt die Hochschule in ihrem Bericht. Das zeigten Whatsapp-Nachrichten und weitere schriftliche Statements.
Als Entlastung Crowthers will die ETH das allerdings nicht verstanden wissen. Für die Hochschule ist klar: Die Anschuldigungen der Ex-Mitarbeitenden passen ins Gesamtbild, wonach sich der Professor «zumindest manchmal» unangebracht verhalten habe. Die ETH beruft sich dabei auf «Aussagen von gegenwärtigen Angestellten». Diese Argumentation wiederum können Clark und die anderen Autoren des Protestbriefs überhaupt nicht nachvollziehen. Auch dafür wird die Hochschule in dem Schreiben deutlich kritisiert.
Die Sache mit Crowthers Schwester
Der ETH-Bericht enthält weitere Vorwürfe gegen Crowther, aber auch gegen Emily Clark und weitere Mitarbeitende der Forschungsgruppe. Mehrere dieser Punkte bleiben in dem Text unbestritten – die beschuldigten Personen erfuhren erst davon, als der Report am vergangenen Freitag bereits publiziert war.
So soll Tom Crowther 2017 versucht haben, seine Schwester anzustellen. Die ETH bestätigt diesen Vorwurf in ihrem Bericht. Der Professor hingegen bestreitet ihn und verweist gegenüber der NZZ auf E-Mails mit der ETH-Abteilung Beratung Professorinnen und Professoren aus jener Zeit. In dieser Korrespondenz schreibt Crowther ganz zu Beginn: «I do not want her to work in my group.» Er hatte sich lediglich erkundigt, ob seine Schwester für ein bestimmtes Projekt vorübergehend in einer anderen Forschungsgruppe unterkommen könnte.
Der Grund: Die Geschwister hatten ein Stipendium erhalten, für das sie sich vor Crowthers Zeit an der ETH gemeinsam beworben hatten. Später habe seine Schwester ihm gezeigt, wie man Social-Media-Accounts einrichte und Posts aufsetze, sagt Crowther gegenüber der NZZ. Die ETH wirft dem Professor vor, interne Regeln umgangen zu haben.
Compliance-Verstösse werden auch Emily Clark vorgehalten. Die Managerin soll Mitarbeitende der Forschungsgruppe explizit angewiesen haben, Beraterverträge aufzusetzen, um eine ordentliche Anstellung zu vermeiden und Prinzipien des Arbeitsrechts zu umgehen. Gegenüber der NZZ bestreitet Clark diese Darstellung. In ihrer Befragung im Oktober hatte sie der Anwaltskanzlei dargelegt, dass das Crowther-Lab projektweise mit Spezialisten zusammenarbeite, auch im Ausland. Das ist kein ungewöhnlicher Vorgang in der Wissenschaft. Auch dazu steht nichts im Abschlussbericht der ETH.
«Der Fall ist abgeschlossen»
Dafür wirft die Hochschule ihrem britischen Professor vor, ETH-Räumlichkeiten mehreren Mitarbeitenden eines Spin-offs zur Verfügung gestellt zu haben, ohne dafür die entsprechende Bewilligung eingeholt zu haben. E-Mails zwischen Clark und der Abteilung Guest-Management der ETH deuten indes in eine andere Richtung. Der NZZ liegen zudem Bestätigungen für Gastaufenthalte von mehreren Mitarbeitenden dieses Spin-offs vor, ausgestellt von der Abteilung HR Operations der ETH Zürich.
All das wirft Fragen auf. Aber die Hochschule will keine beantworten. «Aus Sicht der ETH Zürich ist der Fall mit der Publikation der Abklärungen abgeschlossen», teilte sie am Mittwoch auf Anfrage der NZZ mit. Emily Clark hat derweil eine Umfrage unter 44 Mitarbeitenden der Forschungsgruppe durchgeführt. Bis Donnerstagabend haben 33 geantwortet. Alle unterstützen den Brief und finden, dass die ETH auf die Kritik des Crowther-Lab reagieren solle.