Die Mailänder steigen im grossen Stil ein. Vieles spricht für den Beginn eines Übernahmeversuchs, die Spekulation darauf wirkt lohnend. Doch die deutsche Politik hat frühere Offerten abgelehnt und begreift den Schritt als feindlich.
Geschätzte Leserin, geschätzter Leser
Der Markt glaubt bereits an die Übernahme der Commerzbank durch Unicredit, liegen die Aktien der Coba heute doch in der Spitze mit rund 20% im Plus.
Die zweitgrösste Bank Italiens hat sich heimlich und quasi über Nacht mit rund 9% an der Nummer Zwei in Deutschland beteiligt. Dafür nutzten die Mailänder überraschend das von Investmentbanken orchestrierte beschleunigte Bookbuilding-Verfahren des deutschen Staats, der gestern nach Handelsschluss rund 4,5% seiner Anteile zuteilte, und kauften weitere Aktien am Markt. Unicredit zahlte 702 Mio. € für das gesamte Paket an den Bund, 13.20 € pro Aktie – ein Aufschlag von 60 Cent je Papier. Damit haben die Italiener alle anderen Bieter ausgestochen.
In einer Ad-hoc-Mitteilung legte Unicredit heute früh nach: Bei Bedarf werde man bei den Aufsichtsbehörden Genehmigungsanträge für eine mögliche Überschreitung der 9,9-%-Marke an der Commerzbank einreichen. Ein klares Signal, dass Unicredit weitere Aktienkäufe vorbereitet – und wahrer Zündstoff für die Commerzbank-Aktien.
Aus Frankfurt kamen dagegen eher leise Töne. «Wir haben die heutige Mitteilung der Unicredit zur Beteiligung an der Commerzbank zur Kenntnis genommen», steht in einer ersten Stellungnahme, die nur wenige Zeilen umfasst.
Berliner Politik sieht sich von Unicredit-Chef düpiert
Unicredit-Chef Andrea Orcel hat mit seinem Kauf der angebotenen Commerzbank-Aktien Politik und Bank vollständig überrumpelt, heisst es aus dem Umfeld des Bundesfinanzministeriums. Die Frankfurter Grossbank hat Insidern zufolge erst am Mittwochvormittag von der Transaktion erfahren. Der Bundesregierung erging es ebenso. «Das ist in Berlin völlig unerwartet eingeschlagen», sagte eine mit dem Vorgang vertraute Person.
Ganz anders in Rom: Die italienische Ministerpräsidentin Giorgia Meloni wurde laut einer ihr nahestehenden Person in den vergangenen Tagen im Voraus über den Plan von Unicredit-CEO Orcel informiert, schreibt die Nachrichtenagentur Bloomberg. Die römische Regierungschefin wurde also nicht überrumpelt wie Bundeskanzler Olaf Scholz und Bundesfinanzminister Christian Lindner.
Widerstand gegen die Übernahmepläne könnte es nun aus Berlin geben. «Unicredit wollte immer wieder das Aktienpaket des Bundes von 16,5% kaufen. Das wurde seitens der Bundesregierung stets abgelehnt», heisst es aus dem Umfeld des Bundesfinanzministeriums. Manch Regierungspolitiker fühle sich nun düpiert.
Die deutsche Bundesregierung gehe davon aus, dass Unicredit die Commerzbank komplett übernehmen will. Den Einstieg trotz der vorherigen Absagen Berlins werteten Regierungspolitiker als «unfreundliche Aktion».
Eine systemrelevante Bank gegen den Willen der Regierung zu schlucken, dürfte allerdings durchaus herausfordernd werden. Die Bundesregierung wollte die am Mittwoch abgegebenen Aktien ganz bewusst breit in den Markt verkaufen – und eben nicht an eine andere Grossbank.
Das als aggressiv empfundene Vorgehen von Unicredit-Chef Orcel dürfte Folgen haben für die Reaktion der deutschen Regierung. «Ich halte es mit dieser Vorgeschichte für naheliegend, dass der Bund Stopp sagt und die verbleibenden 12% erst einmal nicht weiter reduziert», hiess es aus dem Umfeld des Ministeriums weiter. Die restlichen 12% der Commerzbank-Anteile im Besitz des Staates kann der Bund ohnehin frühestens in 90 Tage auf den Markt werfen. Der Insider geht jedoch davon aus, dass es auch danach unter diesen Umständen zu keinem Verkauf kommen dürfte.
Öffentlich äusserten sich Koalitionspolitiker allenfalls gemässigt, aber dennoch deutlich. «Der Bund bleibe auch nach dem ersten Verkaufsschritt größter Einzelaktionär der Commerzbank, sagte der finanzpolitische Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion, Michael Schrodi, dem «Handelsblatt». «Eine Übernahme durch die Unicredit anzunehmen, ist daher aktuell nicht angezeigt.»
Das Behalten des 12-%-Pakets scheint vorerst das stärkste Mittel der Bundesregierung, um die Übernahme zu erschweren. Verdi-Gewerkschaftssekretär und Commerzbank-Aufsichtsrat Stefan Wittmann forderte die Regierung bereits auf, dieses Mittel einzusetzen. «Der Bund muss jetzt klare Kante zeigen und seine verbliebene Beteiligung von 12% nutzen, um eine schädliche Übernahme der Commerzbank zu verhindern.» Man werde sich mit «mit allen Mitteln» wehren, sagte Wittmann dem «Handelsblatt».
Die Finanzaufsicht BaFin dürfte kaum Ansatzpunkte finden, das Überschreiten der 10-%-Schwelle durch die von der Europäischen Zentralbank in Frankfurt beaufsichtigte Unicredit zu unterbinden.
Nach der als Formalität betrachteten Prüfung durch die Finanzaufsicht könnte Unicredit weitere Aktien am Markt kaufen. Ab dem Erreichen von 30% müsste die Bank ein Übernahmeangebot an die anderen Commerzbank-Aktionäre abgeben. Sollte es weiterhin keine Einigung mit der Bundesregierung geben, erwartet der Berliner Insider jedoch «maximale Störfeuer»: von den Gewerkschaften, der Regierung und auch aus der Commerzbank selbst. Die Dienstleistungsgewerkschaft Verdi hat Bundesfinanzminister Lindner bereits am Mittwoch aufgefordert, die Übernahme zu verhindern. «Bundesfinanzminister Christian Lindner muss jetzt ein klares Bekenntnis zum Standort Deutschland abgeben und sich der drohenden Übernahme der Commerzbank durch die Unicredit entgegenstellen», sagte Verdi-Chef Frank Werneke.
Kurios wirkt, dass die Commerzbank quasi mit dem Start des Bookbuildings der Finanzagentur Dienstagabend verkündete, ihr CEO Manfred Knof wolle seinen bis Ende 2025 laufenden Vertrag nicht verlängern. Die Personalie habe jedoch nichts mit Verkauf des Aktienpakets zu tun, wird im Umfeld des Finanzministeriums versichert.
Grosser Rivale für die Deutsche Bank könnte entstehen
Die Mailänder hatte auch vor Jahren schon mehrfach Interesse bekundet, die Commerzbank zu übernehmen. Zuletzt gab es Anfang 2022 Pläne, die man aber wegen des russischen Angriffs auf die Ukraine auf Eis legte. Mit der Commerzbank, in der die Dresdner Bank aufgegangen ist, sowie der Hypovereinsbank würden künftig drei der vormals vier grössten privaten Banken Deutschlands bei der Unicredit gebündelt.
Die Deutsche Bank leidet bereits unter der Übernahmefantasie: Der Aktienkurs gab am Mittwoch nach, denn die Nummer Eins in Deutschland würde einen grösseren Rivalen bekommen.
Die Konsolidierung am europäischen Bankenmarkt ist lange überfällig. Der deutsche Markt ist besonders zersplittert, das Privatkundengeschäft wird von den Sparkassen und Genossenschaftsbanken dominiert.
Die Synergien der beiden Bankhäuser liegen jedenfalls auf der Hand: Bei der Hypovereinsbank und der Commerzbank gibt es diverse Überschneidungen, weitere Filialschliessungen wären die Folge. Die Analysten von Keefe, Bruyette & Woods (KBW) halten eine vollständige Übernahme aus Unicredit-Sicht für «finanziell und strategisch sinnvoll». Unicredit habe derzeit etwa 6,5 Mrd. € in der Kriegskasse. Dazu seien beide Kredithäuser gross im Geschäft mit Firmenkunden, Polen sei neben Deutschland ebenfalls ein gemeinsamer Markt und das Banking-Geschäft zunehmend von Skaleneffekten geprägt. Ihr Kursziel für Unicredit liegt bei 50 €.
Für Unicredit wäre die Übernahme eine weitere Diversifizierung zum Heimatmarkt Italien und würde mehr Wachstum in Deutschland nach sich ziehen. Derzeit erzielen die Mailänder fast die Hälfte ihres Ertrages in ihrem Heimatland. Durch die Abhängigkeit von der italienischen Wirtschaft und durch ein grosses Portfolio an italienischen Staatsanleihen ist das Überleben der Bank stark an das Wohl und Wehe des hochverschuldeten Heimatstaats geknüpft.
Für die Finanzmarktstabilität in Europa droht durch den Deal allerdings ein Rückschlag. Die Commerzbank-Rettung in der Finanzkrise hat gezeigt, dass Banken kaum fallengelassen werden können, wenn sie in Existenznot geraten. Dann ist Steuergeld nötig. Für das fusionierte Institut aus Unicredit und Commerzbank wären die aufzubringenden Staatsgelder erheblich grösser.
Unicredit erhält die Commerzbank-Aktien relativ günstig. Die Aktien der Commerzbank sind trotz des Kurssprungs vom Mittwoch mit einem Kurs-Buchwert-Verhältnis von nur 0,6 bewertet. Die Bank ist also an der Börse weit weniger als ihr Eigenkapital wert. Das kann auf ein Schnäppchen hindeuten, aber auch auf eine mangelnde Ertragskraft. Der Wert einer Bank ist für Aussenstehende noch schwieriger zu beurteilen als bei vielen anderen Unternehmen, die Risiken im Kredit- und Derivatebuch sind für Externe kaum erkennbar.
Schaut man sich die Directors‘ Dealings an, also die Eigengeschäfte der Vorstände und Aufsichtsräte, fällt auf: Vorstandschef Knof legte Mitte Mai noch rund 161’000 € seines privaten Vermögens in Commerzbank-Aktien zu einem Kurs von 14.62 € an. Folgt man nun der Theorie, dass solche Insider besser über ihr eigenes Unternehmen Bescheid wissen als der Markt, sollte dieses Kursniveau aus Sicht des Insiders günstig sein, ohne bei diesem Gedankenspiel andere Umstände zu berücksichtigen. Ende Mai schlossen die Commerzbank-Aktien dann mit 15.74 € auf einem Mehrjahreshoch. Das Rekordhoch aus dem Jahr 2000 von 236.75 € liegt dagegen meilenweit entfernt davon.
Die Übernahmepläne der Unicredit haben das Potenzial, den Aktienkurs der Commerzbank weiter in die Höhe zu treiben. Es sind jedoch gute Nerven erforderlich, denn wegen des Widerstands der Berliner Politik dürfte der angestrebte Kauf alles andere als glatt verlaufen.
Freundlich grüsst im Namen von Mr Market
Ulrich W. Hanke