Ein CEO teilt seine Erfahrungen als Stellensuchender in den sozialen Netzwerken – und trifft damit einen Nerv.
Am 10. April 2024 kann Markus Schmid aufatmen. Nach knapp zwölf Monaten Jobsuche unterschreibt der frühere CEO den Vertrag für eine neue Stelle. Die Zeit war aufreibend, mit vielen Auf und Abs und Unsicherheit. Nun bleiben ihm knapp zwei Monate bis zum Stellenantritt. Und die will er geniessen.
Doch bevor er sich dem Fischen und anderen Hobbys widmet, schreibt er seine Erfahrungen als Stellensuchender in einem Linkedin-Post nieder. «Um diese schwierige Zeit nochmals Revue passieren zu lassen und für mich abzuschliessen», wie er im Gespräch mit der NZZ sagt.
Was danach geschieht, erstaunt Schmid. «Ich bekomme Nachrichten von wildfremden Menschen, die mich zum Gespräch treffen wollen.» Mehr als 180 000 Personen hätten seinen Post angeschaut, 1900 hätten darauf reagiert. Dabei sei er bis vor kurzem kein intensiver Nutzer dieses Netzwerks gewesen mit entsprechend wenigen Kontakten. Schmid heisst eigentlich anders; seinen richtigen Namen möchte er aber nicht in der Zeitung lesen, da es ihm um die Sache geht und nicht um seine Person.
Die Zahl der Kommentare – bis jetzt 370 an der Zahl – nimmt auch nach drei Wochen weiter zu, und er erhält zudem viele persönliche Nachrichten. Oft sind es Dankesbekundungen «für die Ehrlichkeit und Authentizität». Oder zustimmende Worte von Personen, die angeben, das Gleiche erlebt zu haben.
«Die emotionale Komponente total unterschätzt»
Offensichtlich hat Schmid mit seinen «7 Gedanken» zu seiner Zeit als Stellensuchender einen Nerv getroffen. Aber was genau spricht die Leute so an?
Sicher ist, dass der Manager kein Blatt vor den Mund nimmt, sei es mit Blick auf Personalabteilungen, Headhunter, die Regionalen Arbeitsvermittlungszentren (RAV) oder auch auf sich selber.
Er habe sich die Suche nach einer neuen Stelle einfacher vorgestellt und die emotionale Komponente dieser Zeit total unterschätzt, heisst es da etwa. «Nach 30 Jahren erfolgreicher Arbeit merkt man plötzlich, dass niemand auf einen wartet und Absagen zum Alltag gehören.» Auf die damit verbundene Achterbahnfahrt der Gefühle müsse man sich gut einstellen.
«Je grösser die Firma, desto unprofessioneller der Bewerbungsprozess»
Schmid spricht jedoch nicht nur über Gefühle. Er gewährt auch einen konkreten Einblick in seine Erlebnisse. Vor allem die HR-Abteilungen von Grossfirmen erhalten schlechte Bewertungen: «Es mag überraschen, aber je grösser das Unternehmen, bei dem ich mich bewarb, desto respektloser und unprofessioneller war der Bewerbungsprozess.» Dass man nicht einmal eine Absage auf eine Bewerbung erhalte, sei noch das geringste Problem gewesen. Die Verfahren seien komplex und digital, wodurch der persönliche Kontakt zu den Bewerbern verlorengehe.
Das «krönende Erlebnis» sei für ihn gewesen, als bei einer Firma ein Interview mit dem Verwaltungsratspräsidenten angestanden sei, typischerweise einer der letzten Schritte im Bewerbungsprozess. Sein Gesprächspartner sei schlicht nicht aufgetaucht und habe ihm nachher mitteilen lassen, dass er es sich doch anders überlegt habe.
Schmids Erfahrung scheint kein Ausreisser zu sein. Dies jedenfalls legen die Reaktionen auf seinen Beitrag nahe. Mehrere Personen betonen in ihren Kommentaren, Ähnliches erfahren zu haben. So etwa Peter H., der schreibt, das Unternehmen, bei dem er sich beworben habe (eine grosse Schweizer Genossenschaft), habe ihm in einer pauschalen Absage explizit geschrieben, er solle gar nicht erst nachfragen, weshalb er die Stelle nicht bekommen habe: «Nachfragen zu den Gründen, welche zu der Nichtberücksichtigung für diese Stelle geführt haben, werden nicht beantwortet.»
Schmid kann diese Respektlosigkeit gegenüber Bewerbern nicht nachvollziehen. Dabei scheint den Firmen oftmals nicht bewusst zu sein, dass ein schlechter Umgang mit Bewerbern schnell zum Eigentor wird. Wer heute nicht passt, könnte morgen für eine andere Aufgabe eine geeignete Kandidatin sein. Doch jemand, dessen Bewerbung unbeantwortet im Nirgendwo gelandet ist, wird kaum motiviert sein, sich ein zweites Mal beim gleichen Unternehmen zu bewerben.
«Alle sprechen von Fachkräftemangel und betonen, wie wichtig es ist, sich als attraktive Arbeitgeber zu präsentieren. Und dann gehen sie so mit Leuten um, die bei ihnen arbeiten wollen.»
Darüber, warum die HR-Abteilungen so unfreundlich und arrogant agieren, kann Schmid nur spekulieren. Es sei wohl anstrengend, einem Kandidaten abzusagen, meint er. Human Resources sähen sich lieber am Nabel wichtiger Entwicklungen, anstatt mit gesundem Menschenverstand und guter Kinderstube die nüchterne Arbeit einer Personalabteilung gut und effizient zu erledigen.
Personalfachleute, so seine Erfahrung, spüren, dass sie an einem Machthebel sitzen. «Sie sind die Torwächter, an denen man vorbeikommen muss.» Diese Position locke wohl Menschen an, denen das Machtgefälle passe und die darüber teilweise ihre Funktion und Rolle verkennten.
Seine Erfahrungen mit KMU seien in der Regel besser gewesen: Diese hätten zeitnah geantwortet und sich auch nicht gescheut, für eine Absage zum Telefon zu greifen: «Pragmatisch, persönlich und funktional.»
Für Headhunter plötzlich unsichtbar
Auch die Erfahrung mit Headhuntern bezeichnet Schmid als lehrreich. Viele Bewerber hätten falsche Vorstellungen und meinten, es genüge, das eigene Dossier bei einigen Executive-Search-Firmen zu hinterlegen, und dann laufe die Jobsuche von alleine. «Headhunter sind von Firmen mandatiert, nicht von Stellensuchenden. Wenn sie kein Mandat haben, dann haben sie keines.» Er rate deshalb allen, die auf Jobsuche seien, sich nicht ausschliesslich auf diese Firmen zu verlassen.
Dies umso mehr, wenn man – wie er selber – seinen bisherigen Job kündige, bevor man auf Stellensuche gehe: «Während des ganzen Jahres, in dem ich auf Jobsuche war, bin ich kein einziges Mal von einem Headhunter kontaktiert worden, während das vorher regelmässig der Fall war.» Für Schmid ist das unverständlich. Scheinbar verschwinde man ausgerechnet dann vom Radar der Headhunter, wenn man bereit für eine neue Stelle sei. Man habe doch den Vorteil, sofort starten zu können, aber das werde auf dem Arbeitsmarkt wohl nicht als attraktiv wahrgenommen.
Schmids Fazit: «Von den achtzehn Executive-Search-Firmen, mit denen ich in Kontakt war, kann ich nur zwei empfehlen.» Keine von diesen beiden habe ihm einen neuen Job vermittelt, aber die Personen dort hätten sich für ihn eingesetzt. Einer, indem er nach einer Absage auf Schmids Wunsch hin explizit nochmals nachgefragt habe, woran es gelegen habe.
Der andere, weil er ihm bei einer Bewerbung, mit der er nichts zu tun hatte, Tipps für das letzte Gespräch mit dem Verwaltungsrat gab. Beide hätten direkt nichts von ihrem Engagement ihm gegenüber bekommen, sagt Schmid. «Für mich ist allerdings klar, auf wen ich zurückgreifen werde, wenn ich selber wieder mal eine Stelle zu besetzen habe.»
Blumen für das RAV
Nicht alle von Schmids Erfahrungen waren negativ. Den Austausch mit dem RAV etwa beschreibt er als positiv. «Entgegen dem, was man landläufig hört, war meine RAV-Kontaktperson ausgezeichnet.» Auch der Standortbestimmungskurs für oberste Kader, den er habe besuchen müssen, habe sich als hilfreich erwiesen. Die intensive Beschäftigung mit sich selber, mit den eigenen Stärken, Schwächen und Zielen, und das Feedback von Personen in ähnlichen Situationen sei sehr wertvoll gewesen.
Aussortiert des Alters wegen?
Ein grosses Fragezeichen hinterlässt beim 55-jährigen Schmid das Thema Alter. Obwohl keine der Absagen mit seinem Alter begründet worden sei, habe er doch das Gefühl, öfters bereits bei der ersten, womöglich durch einen Computer vorgenommenen Sichtung aussortiert worden zu sein – mutmasslich wegen seines Alters. Dieses ist ja in Schweizer Lebensläufen mit den Angaben zu Schulen einfach zu eruieren, selbst wenn das Geburtsdatum nicht angegeben wird.
«Bei einigen Ausschreibungen dachte ich mir: Die Person, die sie suchen – das bin genau ich.» Und dann sei er nicht einmal in die erste Runde gekommen. «Es gibt ein komisches, von Vorurteilen geprägtes Verhältnis zu Erfahrung und zu einem gewissen Alter.»
Schwierig sei zudem gewesen, sich auf Stellen zu bewerben, die keinen weiteren Karriereschritt nach oben bedeuteten, etwa wenn bei der neuen Firma die Zahl der Mitarbeitenden oder der Umsatz geringer ist als im früheren Job. Das Modell der Bogenkarriere werde zwar in Fachkreisen gelobt, weil es älteren Arbeitnehmenden und speziell auch Führungskräften erlaube, vor ihrer Pensionierung einen Gang zurückzuschalten, sagt Schmid.
In der Realität werde einem jedoch nicht abgenommen, dass man auch mit weniger zufrieden sei. Oder man werde verdächtigt, eine ruhige Kugel schieben zu wollen. «Ich musste mich argumentativ extrem gut vorbereiten, um glaubwürdig darzulegen, weshalb ich auch mit ‹kleineren Brötchen› zufrieden bin und trotzdem vorhabe, mich voll zu engagieren.»
Aufgefallen ist ihm auch die Schönfärberei in den professionellen Netzwerken wie Linkedin. Berufliche Unterbrüche würden dort oft als stimulierende Phasen der Selbstfindung dargestellt und verklärt. «Aber eine solche Zeit ist nicht schön, es ist schwierig. Da sollte man ehrlicher sein.»
Persönliche Einblicke
Wichtig ist Schmid auch die Erkenntnis, dass es sich lohnt, stets auch ein Leben neben dem Beruf zu führen: «Das geschäftliche Netzwerk löst sich nach dem letzten Arbeitstag in kurzer Zeit auf.» Er habe Leute gesehen, die nur die Karriere gehabt hätten, keine Familie, keine Freunde, keine Hobbys. «Wenn du dann den Job verlierst, wird es wirklich schwierig, und du bist brutal einsam.» Seine Botschaft sei deshalb: «Behaltet neben eurem Beruf noch etwas anderes, einen Fussballklub zum Beispiel oder die Politik. Das ist neben der Familie das Netzwerk, das einen in solchen Situationen emotional trägt.»