Die amerikanische Staatspleite scheint vorerst abgewendet zu sein, die Schulden dürften in den nächsten zwei Jahren bei begrenztem Ausgabenwachstum zunehmen. Das mag beruhigen, rettet die Nation aber langfristig nicht vor dem fiskalpolitischen Abgrund.
Wenn es um das Schuldenmachen geht, sind sich in Amerika die ausgabefreudigen Demokraten und auch die angeblich konservativen Republikaner einig. Wen wird es also überraschen, dass sie sich am Pfingstsamstag doch noch auf einen Kompromiss in Bezug auf die Anhebung der Schuldenobergrenze des amerikanischen Bundesstaates geeinigt haben? Dem drohte in den nächsten Tagen das Geld auszugehen, weil die bisher geltende Vorgabe des Kongresses die öffentlichen Verbindlichkeiten bei gut 31 Billionen Dollar gedeckelt hatte.
Einigung in einem 90-minütigen Telefongespräch
Tatsächlich haben die Unterhändler des Weissen Hauses und der Republikaner am späten Samstag eine vorläufige Einigung erzielt, um die Schuldenobergrenze der Vereinigten Staaten anzuheben und auf diese Weise einen Zahlungsausfall abzuwenden, der die Finanzmärkte und die Weltwirtschaft zu erschüttern drohte. Präsident Joe Biden und der Sprecher des Repräsentantenhauses, Kevin McCarthy, besiegelten die Einigung in einem 90-minütigen Telefongespräch. Nun müssen sie das Rahmenabkommen, das nach wochenlangen erbitterten Diskussionen erzielt wurde, gegen den Widerstand der Hardliner in beiden Parteien zur endgültigen Verabschiedung durch den Gesetzgebungsprozess bringen.
McCarthy sagte, er werde am Sonntag erneut mit Biden sprechen und den Gesetzentwurf für eine parlamentarische Abstimmung am Mittwoch vorbereiten. «Wir haben noch eine Menge Arbeit vor uns, aber ich glaube, dass dies eine grundsätzliche Einigung ist, welche des amerikanischen Volks würdig ist», erklärte er vor Reportern im Capitol gewohnt pathetisch. Faktisch ist der Spielraum für administrative Lapsus gering, denn das Prozedere muss gemäss Angaben von Finanzministerin Janet Yellen bis zum 5. Juni abgeschlossen sein. Sonst droht der historische Zahlungsausfall doch noch einzutreten, der die amerikanischen Treasuries unbeliebt machen und die Refinanzierungskosten des Staates im schlimmsten Fall noch weiter in die Höhe treiben könnte.
Nach Einigung – die Renditen könnten anziehen
Erst vor kurzem warnte die Rating-Agentur Fitch angesichts der Verunsicherung vor einer Belastung der Kreditwürdigkeit, nachdem die Kosten für die öffentlichen Staatsschulden in den vergangenen Monaten aufgrund der Leitzinserhöhungen der Zentralbank Fed schon deutlich angezogen hatten. Selbst nach der Einigung dürften die Renditen amerikanischer Staatspapiere eher nach oben als nach unten tendieren, da die Inflationsrisiken angesichts des jüngst wieder gestiegenen und vom Fed stark beachteten Preisindexes der persönlichen Konsumausgaben noch lange nicht besiegt sind. Zudem muss die Finanzministerin in nächster Zeit nach dem Ende der «ausserordentlichen Massnahmen» wegen aufgestauten Finanzierungsbedarfs viele Schuldpapiere auf den Markt werfen.
Das nun vereinbarte Abkommen beinhaltet dem Vernehmen nach eine zweijährige Erhöhung der Schuldengrenze und eine zweijährige Vereinbarung über die Mittelverwendung, welche die Ausgaben für Nicht-Verteidigungszwecke etwa auf dem heutigen Niveau hält. Es wird keine Arbeitsanforderungen für Medicaid-Empfänger geben, dagegen sollen Beihilfen für den Kauf von Nahrungsmitteln im Rahmen des sogenannten SNAP (Supplemental Nutrition Assistance Program) bis zum Alter von 54 Jahren zeitlich begrenzt werden. Das ist eine Massnahme, auf die die Republikaner im Repräsentantenhaus ebenso gedrängt hatten wie auf die Rückforderung nicht ausgegebener Covid-19-Hilfsgelder. Zudem soll die geplante Budgeterhöhung für die Steuerbehörde verringert werden, mit der der Steuervollzug intensiviert und die technologische Ausstattung verbessert werden soll.
Noch sind nicht alle Hürden überwunden
Insgesamt entspricht die erste grössere Vereinbarung zwischen dem Weissen Haus und der neuen republikanischen Mehrheit im Repräsentantenhaus dem, was die Spatzen schon seit Tagen von den Dächern pfiffen. Allerdings hat sie längst noch nicht alle politischen Hürden vor der Zustimmung im Kongress überwunden. Während sich progressive Demokraten nur schwer mit Bidens Entscheidung, überhaupt mit den Republikanern zu verhandeln, anfreunden können, hatten einige Republikaner im Vorfeld deutlich stärkere Ausgabenkürzungen gefordert. Auch wenn nicht gänzlich ausgeschlossen zu sein scheint, dass eine Handvoll erzkonservativer Abgeordneter noch versuchen könnten, McCarthy zu entthronen, dürfte der gefundene Konsens in den nächsten Tagen wohl von beiden Parteien mit den notwendigen Mehrheiten beschlossen werden.
Allerdings ist es erneut ein kurzfristiger, fauler Kompromiss. Denn die vorgeschlagene Einigung wird den langfristig verhängnisvollen finanzpolitischen Kurs der Nation nicht wesentlich zum Guten verbessern. Seit der Finanzkrise nehmen die Staatsschulden rasant zu, und nach der Covid-Pandemie scheinen Staatsausgaben sowie die Budgetdefizite ausser Kontrolle geraten zu sein. Unter langfristigen Aspekten jedenfalls wird die Einigung die überbordenden Staatsausgaben nur geringfügig eindämmen, da sie sich nur auf etwa ein Drittel des Bundeshaushalts bezieht, während die im Trend steigenden Kosten für obligatorische Aufwendungen wie die Sozialversicherung und Medicare sowie die Schuldzinsen unangetastet bleiben.
Kürzungen und höhere Steuereinnahmen: Beides ist nötig
Die Republikaner konnten die geforderten Ausgabenkürzungen nicht wirklich durchsetzen, während die Demokraten bei der Diskussion über Steuererhöhungen offensichtlich keinen Fuss auf den Boden bringen können – obwohl beides gleichzeitig nötig wäre. Glaubt man zum Beispiel den Analysen des Public Policy Center der Wirtschafts-Denkfabrik The Conference Board, müssten die Vereinigten Staaten die Staatsschulden im Verhältnis zur Wirtschaftsleistung in den nächsten Jahren von derzeit etwa 120 auf 70 Prozent verringern, statt sie weiter zu erhöhen. Denn hohe Schulden beeinträchtigen das Wirtschaftswachstum, weil ihre Kosten den Haushalt belasten, die Mittel für andere Prioritäten verdrängen, die Investitionstätigkeit hemmen und den Lebensstandard untergraben.
Die gegenwärtige Kombination aus hoher Inflation, steigenden Zinssätzen und einer bereits überhöhten Verschuldung wirke wie ein Brandbeschleuniger, der die Nation schnell in eine Wirtschaftskrise führen könne, argumentieren die Fachleute der Institution. Sie plädieren für die Rückkehr zu einer verantwortungsvollen Geld- und Finanzpolitik, in deren Rahmen die Defizite in Schach gehalten, künstliche Stimulierungsmassnahmen vermieden, Regulierungsmassnahmen verringert und Ausgaben nur für Programme erhöht werden sollten, falls sie Produktivität und Wachstum steigern könnten. Nur so liesse sich die Übernachfrage eindämmen, der Preisauftrieb zähmen, der Zinsauftrieb dämpfen und so weiter. In diesem Rahmen müsste das Ausgabenwachstum begrenzt werden, vor allem auch indem das teure Gesundheits- und Sozialversicherungswesen strukturell saniert und der Aufwand gesenkt würde. Zudem sollte eine Steuerreform zu vereinfachten Verfahren und höheren Steuereinnahmen führen.
Selbst der Internationale Währungsfonds warnt
Simulationen zeigen, wie eine systematische Senkung der Staatsausgaben um 5 Prozent und eine permanente Steuererhöhung um knapp 2 Prozent die amerikanische Staatsverschuldung in den nächsten dreissig Jahren unter halbwegs realistischen Annahmen auf 70 Prozent des Bruttoinlandprodukts senken könnte. Die Verbindlichkeiten des Staates dürfen in den nächsten Jahrzehnten einfach nicht so schnell zunehmen, wie die Wirtschaft wächst. Selbst der Internationale Währungsfonds warnt in seiner gerade veröffentlichten Analyse der wirtschaftlichen Rahmenbedingungen in den USA vor einem anhaltenden Inflationsproblem sowie vor den Risiken der fiskalpolitischen Ungleichgewichte und schlägt einen ähnlichen Lösungsweg vor wie die Fachleute des Conference Board. Allerdings werden hehre Vorschläge dieser Art vorerst wohl weiter von populistischen parteipolitischen Strömungen überlagert – vor allem auch im Vorfeld der Präsidentschaftswahlen im kommenden Jahr.