Trumps Zollpolitik erschüttert selbst den als krisensicher geltenden Pharmasektor. Arzneimittel wurden bislang von US-Handelsrestriktionen verschont, doch das könnte sich bald ändern. Was das für Big Pharma bedeutet.
Wer auf Pharma als defensive Beimischung im Portfolio setzte, lag in diesem Jahr goldrichtig – zumindest bis zum 2. April. An diesem Tag sandte US-Präsident Donald Trump mit seinem weltweiten Zoll-Rundumschlag eine Schockwelle durch die globalen Finanzmärkte, der sich am Ende selbst der als krisenresistent geltende Pharmasektor nicht entziehen konnte.
Die Aktien europäischer Pharmakonzerne haben seit letzter Woche – nahezu im Gleichschritt – ihre Jahresgewinne vollständig eingebüsst. Auch bei den Titeln von Roche, die zuvor über 20% zugelegt und zu den Top-Performern gezählt hatten, sind die Kursgewinne inzwischen komplett dahin.
Trump hat die Pharmabranche bisher verschont. Die am 2. April angekündigten allgemeinen Importzölle von 10% auf Waren aus allen Ländern gelten seit dem 5. April. Die länderspezifischen Zölle, die am gestrigen Mittwoch zunächst in Kraft traten, wurden am Abend überraschend für neunzig Tage ausgesetzt, wie Donald Trump auf der Plattform Truth Social mitteilte. Die Ausnahme ist China, für das Land erhöhte der US-Präsident die Zölle auf insgesamt 125%. Ob damit auch Zölle auf Pharmaimporte fürs Erste vom Tisch sind, ist unklar.
Dass diese bisher vom Zollregime ausgenommen sind, hilft Pharmaaktien kaum. Im Gegenteil: Es erschwert die Einschätzung der Lage zusätzlich und erhöht – zumindest kurzfristig – die Unsicherheit. «Momentan wissen wir eigentlich gar nichts», sagt Vontobel-Analyst und Pharmaexperte Stefan Schneider. Zu viele Details seien derzeit noch offen. Dazu gehöre, ob allfällige Zölle auf den Herstellungspreis der Produkte anfallen würden oder auf den konzerninternen Transferpreis.
Auch bei Berenberg bekundet man Mühe, die Entwicklungen in der Pharmaindustrie einzuschätzen. Mit den Worten «Knowing the unknowable in pharma» leiten die Analysten der Hamburger Privatbank eine kurze Research-Note zu Trumps Zollplänen ein – und spielen damit auf die diffuse Lage in der Pharmabranche an. Ganz nach dem Motto: Wie soll man etwas wissen, das sich eigentlich gar nicht wissen lässt?
Niemand weiss, ob und unter welchen Bedingungen die USA Zölle auf Pharmaprodukte verhängen werden. Trump sagte während eines Flugs in der Präsidentenmaschine Air Force One vergangene Woche gegenüber Journalisten, dass er sich die Pharmaindustrie anschaue und in naher Zukunft eine Ankündigung machen werde. Er fügte hinzu, dass die Zölle in der Pharmaindustrie ein Ausmass annehmen werden, «dass man noch nie zuvor gesehen hat».
In einer Rede vor dem National Republican Congressional Committee bekräftigte Trump am Dienstagabend seine Aussagen, blieb jedoch erneut vage. Die Zölle, so Trump, sollen Pharmahersteller dazu bewegen, ihre Produktion in die USA zurück zu verlagern. Die Aktien von Roche und Novartis reagierten am Mittwoch mit weiteren Verlusten.
Trump: «We’re gonna tariff our pharmaceuticals … we’re going to be announcing very shortly a major tariff on pharmaceuticals.» pic.twitter.com/AzewiYDoHC
— Aaron Rupar (@atrupar) April 9, 2025
US-Gesundheitsbehörde im Visier von DOGE und Elon Musk
Was dem Sentiment im Pharmasektor zudem wenig hilft, sind die Entwicklungen bei der US-Gesundheitsbehörde FDA. Diese steht derzeit vor erheblichen Herausforderungen aufgrund umfangreicher Stellenkürzungen und organisatorischer Umstrukturierungen. Unter der Leitung des neuen Gesundheitsministers Robert F. Kennedy Jr. wurden gemäss einem Bericht von Reuters rund 3’500 FDA-Mitarbeiter entlassen, was etwa 20% der Belegschaft entspricht.
Die Massnahmen sind Teil der Bestrebungen, die Bundesbehörden zu verschlanken und effizienter zu gestalten. Die neu gegründete Abteilung zur Verbesserung der Effizienz im US-Verwaltungsapparat (Department of Government Efficiency, DOGE), geleitet von Elon Musk, spielt hierbei eine zentrale Rolle. Das Problem: Die Entlassungen betreffen kritische Bereiche der FDA wie Arzneimittelzulassung und Inspektionswesen.
Die Pharmaindustrie befürchtet daher Verzögerungen bei der Marktzulassung neuer Medikamente. Experten sehen ein Risiko, dass die Fähigkeit der FDA eingeschränkt werden könnte, beschleunigte Zulassungsverfahren durchzuführen. Diese kommen bei Medikamenten mit hohem ungedecktem medizinischem Bedarf zum Einsatz.
Thomas Heimann, Analyst bei der auf Healthcare-Anlagen spezialisierten Investmentfirma HBM Partners, befürchtet durch die Wirren bei der FDA im schlimmsten Fall einen Exodus von Mitarbeitenden. «Das sind gut ausgebildete Leute, die auch in der Privatwirtschaft unterkommen würden». Immerhin sieht er beim neuen FDA-Chef Marty Makary Anzeichen einer wissenschaftsfreundlichen Haltung.
Die Analysten von Berenberg indes sehen in der Entlassungswelle nicht nur Schlechtes. So hätte die Belegschaft der Behörde während der Pandemie ausserordentlich stark zugenommen. Bezüglich möglicher Verzögerungen bei FDA-Zulassungen gebe es «keinen konkreten Grund zur Sorge», da die Arbeitsplätze der Arzneimittelprüfer wahrscheinlich erhalten bleiben würden.
Sind Roche und Novartis für Zölle gewappnet?
Trotz der Ungewissheit darüber, wie mögliche US-Zölle auf Pharmaprodukte umgesetzt würden, stellt sich die Frage, wie gut europäische Pharmariesen wie Roche und Novartis darauf vorbereitet sind. Es ist kein Geheimnis, dass der US-Markt für Big Pharma der mit Abstand wichtigste und profitabelste Absatzmarkt ist. In keiner anderen Region lassen sich derart hohe Preise durchsetzen. Während die Medikamentenpreise in Europa vergleichsweise stark reguliert sind, herrscht in den USA grundsätzlich ein freier Markt.
Einen ersten Eindruck dazu, wie stark europäische Pharmakonzerne von Zöllen betroffen wären, liefert ein Blick auf ihr US-Geschäft. Gemäss Schätzungen von Bank of America (BofA) erzielen europäische Pharmakonzerne zwischen 40 und 60% des Umsatzes in den USA, wogegen sie dort lediglich 20 bis 40% der Produktionskapazität angesiedelt haben. Die Analysten der US-Grossbank betonen indes, dass es sich in letzterem Fall um grobe Schätzungen handle. Die Angaben basieren auf der Zahl der bekannten Produktionsstandorte nicht aber auf deren tatsächlicher Kapazität oder Grösse.
Es wäre zwar etwas voreilig, aus diesen Zahlen eindeutige Schlüsse zu ziehen – etwa darüber, ob die Produktion in den USA ausreichen würde, um mögliche Zölle auszugleichen. Denn weder ist klar, wie genau solche Zölle angewendet würden, noch ist bekannt, ob die US-Produktion nicht auch andere Märkte beliefert. Trotzdem fällt auf, dass das Verhältnis zwischen US-Umsatz und den dortigen Kapazitäten bei Novartis im Branchenvergleich am günstigsten erscheint.
Mehr dazu will Novartis jedoch nicht verraten. Auf Anfrage teilt der Konzern lediglich mit, dass man über «eine widerstandsfähige weltweite Produktions- und Lieferkette» verfüge. Zudem sei man bestrebt, mit den US-Behörden und dem amerikanischen Kongress konstruktiv zusammenzuarbeiten. Auf Fragen zu den konkreten Auswirkungen möglicher Zölle geht Novartis nicht ein.
Mangels verlässlicher Daten verzichten die BofA-Analysten auf eine Schätzung zu den Produktionskapazitäten von Roche in den USA. Die Medienstelle betont jedoch auf Anfrage, dass man in den USA die gesamte Wertschöpfungskette im Bereich Pharma und Diagnostik abdecke. Man verfüge in der Pharmasparte über vier US-Standorte, die sich auf Forschung und Entwicklung, Produktion und Vertrieb konzentrieren. In der Diagnostik seien sieben Standorte auf Forschung und Entwicklung sowie Fertigung spezialisiert. Aber: Man erwäge auch weitere Investitionen in den USA. Über Produktions- und Exportvolumen auf Länderbasis gibt Roche keine Auskunft.
Wovor Pharma zittern könnte
Trotz der vielen Unwägbarkeiten lassen sich einige Risiken grob skizzieren. Ein Problem: Pharma war in der Vergangenheit bei Handelsstreitigkeiten weitgehend von Zöllen ausgenommen. Die Branche ist daher nicht auf Handelsbarrieren vorbereitet. «Die Herstellungs- und Lieferketten sind komplex und global, wobei die Materialien aus verschiedenen Ländern kommen, unabhängig vom Standort», schreiben die Analysten von BofA.
Produktionskapazitäten lassen sich nicht von heute auf morgen aufbauen. Neue Anlagen und Lieferketten in den USA müssen von der FDA genehmigt werden. «Nach der Übernahme einer bestehenden Fabrik vergehen in der Regel zwei bis drei Jahre, bis sie umgerüstet ist und die Produktion anlaufen kann», sagt Vontobel-Analyst Schneider. Offen sei allerdings, ob in diesem Umfeld überhaupt geeignete Standorte und qualifiziertes Personal zur Verfügung stehen. Der Bau einer komplett neuen Anlage würde bis zu fünf Jahre in Anspruch nehmen. «Die Pharmaindustrie wäre aufgrund ihrer Grösse jedoch in der Lage, solche Produktionsverlagerungen vorzunehmen», wendet HBM-Experte Heimann ein.
Ein weiteres Risiko betrifft das Thema Verrechnungspreise (Transfer Pricing). Wenn ein Pharmakonzern ein Medikament in Land A entwickelt, in Land B produziert und in Land C verkauft, ist es gängige Praxis, durch interne Preisgestaltung Gewinne in Länder mit niedrigeren Steuersätzen zu verlagern – zum Vorteil des Gesamtkonzerns. Die USA könnten diese Praxis im Zollstreit zum Thema machen. Wie stark die einzelnen Pharmakonzerne diesem Risiko ausgesetzt sind, lässt sich allerdings kaum beziffern.
Was für Pharma spricht
Trotz aller Unsicherheiten rund um Trumps Zollpläne gibt es Gründe zur Annahme, dass die Pharmaindustrie am Ende vergleichsweise glimpflich davonkommen könnte. Zunächst könnte die Tatsache helfen, dass sich die USA mit Zöllen auf Pharmaprodukte massiv selber schaden würden. Aufgrund steuerlicher Vorteile und einer starken Life-Science-Infrastruktur ist das EU-Mitglied Irland für US-Konzerne wie Pfizer, Johnson & Johnson, Merck, Bristol Myers Squibb oder Eli Lilly ein wichtiger Produktionsstandort – auch für den Export in die USA.
Unter normalen Umständen wäre die starke Präsenz vieler US-Pharmakonzerne in Irland Grund genug, dass US-Zölle gar nicht erst eingeführt würden. Gegenüber The Market gaben sich zuletzt denn auch Vertreter der Schweizer Pharmabranche aus diesem Grund gelassen. Doch wie sich zuletzt immer mehr gezeigt hat, schreckt Donald Trump auch vor massiven Kollateralschäden für das eigene Land nicht zurück. Deshalb sollte man sich in dieser Hinsicht nicht in falscher Sicherheit wiegen. Zudem hält es Pharmaspezialist Schneider für realistisch, dass Trump Irland beim Thema Verrechnungspreise ins Visier nimmt, zumal durch diese Praxis derzeit noch grosse Teile der Konzerngewinne in Irland und nicht in den USA versteuert werden.
Was indes hilft, ist die hohe Profitabilität von Big Pharma. Kaum eine Branche verfügt über derart hohe Bruttomargen. Sowohl bei Roche als auch bei Novartis belief sich diese 2024 auf rund 75%. «Für Unternehmen mit hochmargigen Produkten ist es in der Regel einfacher, die negativen Auswirkungen von Zöllen aufzufangen», sagt Heimann.
Nach Einschätzung der BofA-Analysten mildern die hohen Bruttomargen europäischer Pharmakonzerne die Auswirkungen möglicher Zölle auf die Herstellungskosten – und damit auf das operative Ergebnis. Zudem seien die Unternehmen in der Lage, steigende Kosten langfristig über höhere Arzneimittelpreise an die Kunden weiterzugeben. «Die Preissetzungsmacht war schon immer gross in der Pharmaindustrie. Das dürfte bei allfälligen Zöllen helfen», sagt auch Schneider. Diesen Vorteil verdanke die Branche dem Patentschutz und der Tatsache, dass sie lebensnotwendige Medikamente herstellt, so der Vontobel-Experte.
Allerdings gibt es im Hinblick auf Preiserhöhungen eine wichtige Einschränkung. «Wenn Pharmaunternehmen die Preise stärker als die Inflation anheben, kann die US-Regierung eine sogenannte Penalty Tax (Strafsteuer) verhängen», erklärt Schneider. Der Spielraum für Preisanpassungen sei daher nicht unbegrenzt. Der Analyst hat zudem den Eindruck, dass die Branche zunehmend darüber nachdenkt, Einsparungen an anderer Stelle vorzunehmen, etwa im Marketing oder im Bereich Forschung und Entwicklung. Klar sei jedoch in jedem Fall: «Die Marge zu opfern, ist für Big Pharma bisher kein Thema.»
Roche und Novartis sind gewappnet
Was bedeutet das für die Aktien von Roche und Novartis? Aus Sicht von The Market werden die Titel auch bei möglichen US-Zöllen ihre defensive Qualität behalten. Natürlich wären Importzölle auf Pharmaprodukte keine gute Nachricht. Sie würden den Druck auf die Aktien und die Unsicherheit mindestens kurzfristig verstärken. Die Liefer- und Produktionsketten sind komplex, was eine genaue Risikoabschätzung erschwert.
Doch kaum eine andere Branche kann dank ihrer hohen Profitabilität und der starken Preissetzungsmacht höhere Zölle besser verkraften als die Pharmaindustrie. Wenn Donald Trump mit seinen Zöllen die ganze Welt gleichermassen in Brand setzt, dürften es Pharma-Titel wie Roche und Novartis sein, die als defensive Aktien gesucht werden. Die jüngsten Kursrückschläge, dürften sich im Rückblick als Einstiegschance entpuppen.