Die Kantonsregierung wollte ihre neue Ämterverteilung abschliessen, nachdem sie Dittli das Finanzdepartement entzogen hatte. Doch Dittli verliess die Sitzung vorzeitig – und war später nicht erreichbar.
Fast kein Tag vergeht ohne Neues in der Affäre um die Mitte-Politikerin Valérie Dittli. So auch nicht der Mittwoch, an dem traditionell die Waadtländer Regierung tagt. Erneut ist der Staatsrat daran gescheitert, seine neue Ämterverteilung abzuschliessen. Denn erneut fehlte die am Freitag weitgehend entmachtete Ex-Finanzvorsteherin Dittli – diesmal, weil sie die Sitzung vorzeitig verliess, wie ihre Sprecherin bestätigte.
Damit weitet sich die Affäre Dittli, die längst eine Regierungskrise ist, zunehmend zu einem institutionellen Problem aus. Die Waadtländer Regierung ist derart blockiert, dass sie sich nicht einmal auf die Ressortverteilung einigen kann. Die Mehrheit, wenn nicht alle anderen sechs Regierungsräte, stellt sich gegen Dittli – ohne sie loswerden zu können. Denn in der Waadt gibt es kein Amtsenthebungsverfahren, im Gegensatz etwa zum Kanton Genf.
Die Neuorganisation ist nötig geworden, weil die Regierung am Freitag Dittli das Finanzdepartement entzogen hat. Ein Untersuchungsbericht war zum Schluss gekommen, dass die Regierungsrätin illegalerweise die Annullierung von Steuerbescheiden reicher Steuerzahler verlangt hatte. Ausserdem soll sie möglicherweise das Amtsgeheimnis verletzt haben. Dittli bestreitet die Vorwürfe weitgehend.
Dittli verantwortet noch Landwirtschaft und Weinbau
Seit Freitag ist Dittli somit nur noch Regierungsrätin für Landwirtschaft und Weinbau. Ausserdem unterstehen ihr die Statistikbehörde und das Büro für Nachhaltigkeit und Klima. Die Verantwortung für Finanzen und Steuern übernahm übergangsweise der FDP-Regierungsrat Frédéric Borloz, ab Juni liegt sie bei der FDP-Regierungspräsidentin Christelle Luisier.
Nun geht es darum, welche Zuständigkeiten Luisier im Gegenzug abgibt. Dazu äusserte sich die Staatskanzlei am Mittwoch in einer knappen Medienmitteilung: Wegen Dittlis Abwesenheit habe die Reorganisierung nicht abgeschlossen werden können. Allerdings nehme der Staatsrat zur Kenntnis, dass Luisiers Departement für Institutionen, Ländliches und Sport «redimensioniert» werden müsse.
Die grosse Frage scheint zu sein, ob Dittli tatsächlich Zuständigkeiten von Luisier angeboten wurden – und wenn ja, welche. Denkbar wäre auch eine grössere Rochade unter den sieben Regierungsräten. So oder so ist Dittli offensichtlich mit dem Angebot ihrer Kollegen nicht einverstanden.
Die Staatskanzlei schrieb in ihrer Mitteilung, die Diskussionen zur Umorganisation würden zu einem späteren Zeitpunkt wieder aufgenommen. Allerdings dauern sie nach NZZ-Informationen schon mindestens eineinhalb Wochen an, ohne Ergebnis.
Am Montag vor einer Woche hatte ein Arzt Dittli krankgeschrieben. Deshalb konnte die Regierung nach eigenen Angaben die Ressortverteilung nicht abschliessen. Sie tagte mindestens einmal ohne die angeschlagene Regierungsrätin, bevor sie am Freitag an einer denkwürdigen Medienkonferenz Dittlis weitgehende Entmachtung bekanntgab.
Dittli ist nicht erreichbar für Rücktrittsfrage
Dass Dittli bei der Regierungssitzung am Mittwoch nicht nur gefehlt hatte, wie es im Communiqué der Staatskanzlei hiess, sondern dass sie die Sitzung vorzeitig verlassen hatte, berichtete zunächst die in der Affäre gut informierte Genfer Zeitung «Le Temps». Laut dem Artikel hatte Dittli die Sitzung nach «bewegten Diskussionen» verlassen. Danach sei sie von mehreren Personen «den Tränen nah» gesehen worden.
Dittlis Sprecherin verschickte am Mittwoch lediglich eine knappe Stellungnahme: Dittli wünsche sich für die Reorganisierung der Departemente, dass «der Rechtsrahmen, insbesondere das Gesetz über die Organisation des Staatsrats, respektiert» werde. Was damit konkret gemeint ist, blieb unklar. Die Nachfrage, ob Dittli weiterhin einen Rücktritt ausschliesst, konnte ihre Sprecherin am Mittwochabend nicht beantworten – Dittli war für sie nicht erreichbar.
Der Druck auf Dittli nimmt seit ihrer Entmachtung fast täglich zu. Die Junge SP Waadt war bisher die einzige Parteiorganisation, die öffentlich Dittlis Rücktritt verlangte. Am Dienstag beschloss das Kantonsparlament einstimmig, bei zwei Enthaltungen, seine Aufsichtskommission mit einer weiteren Untersuchung zu beauftragen. Dittlis Mitte-Partei hat keinen Kantonsparlamentarier in der Waadt.
Das Untersuchungsgremium soll demnächst eingesetzt werden und dann auch seinen genauen Auftrag erhalten. Es soll nach dem von Dittli und der restlichen Regierung bestellten ersten Untersuchungsbericht weitere Fragen klären, und zwar bis Dezember. Bleibt Dittli also weiter Regierungsrätin, schwebt diese Untersuchung monatelang wie ein Damoklesschwert über ihr.