Der amerikanische Vizepräsident ist mit Frau und Kindern nach Indien gereist. Premierminister Modi konnte sich über einige schöne Fotos freuen, doch der Zeitplan für die Handelsgespräche bleibt ambitioniert.
Indien bleibt nach dem Besuch des amerikanischen Vizepräsidenten J. D. Vance optimistisch, einen raschen Abschluss der Handelsgespräche mit den USA erreichen zu können. Die indische Regierung will bis Juli ein Interimsabkommen abschliessen, um den Zöllen von 27 Prozent zu entgehen. Diese hat Donald Trump Anfang April auf Importe aus Indien angedroht. Nach einem Treffen von Premierminister Narendra Modi mit Vance sprachen beide Seiten am Montag von «bedeutenden Fortschritten» bei den Verhandlungen.
Vance’ Besuch hatte eine starke persönliche Note. So reiste der Vizepräsident in Begleitung seiner indischstämmigen Frau Usha und der drei Kinder Ewan, Vivek und Mirabel an. Bei der Ankunft am Flughafen in Delhi sowie später beim Besuch eines Tempels und eines Markts für Kunsthandwerk trugen die Kinder traditionelle indische Kleidung. Nach einem Abendessen in Modis Residenz reiste die Familie am Dienstag weiter zum Sightseeing in Jaipur und Agra.
Mit den Fotos mit Vance’ Familie konnte Modi einmal mehr seine Nähe zur Trump-Regierung demonstrieren. Der indische Premierminister hofft im Handelskonflikt davon zu profitieren, dass er schon frühzeitig das persönliche Gespräch mit Trump gesucht hat. So war Modi im Februar als einer der ersten ausländischen Staatsführer nach Trumps Rückkehr ins Weisse Haus nach Washington gereist und hatte zugesagt, sich für den Abbau der Handelshemmnisse einzusetzen.
Seither verhandeln beide Seiten unter Hochdruck über ein bilaterales Handelsabkommen. Diese Woche soll dafür eine indische Delegation unter der Leitung der Finanzministerin Nirmala Sitharaman nach Washington reisen. Zwar räumt Indien den Gesprächen hohe Priorität ein, doch steht ein Durchbruch noch aus. Es erscheint ambitioniert, eine Einigung vor Ablauf der 90-Tage-Frist am 8. Juli zu erreichen, die Trump für das Inkrafttreten der neuen Zölle gesetzt hat.
Indiens Handelsbilanz mit den USA ist stark unausgeglichen
Als Trump Anfang April die Zölle verkündete, war das für Indien ein Schock. In der Presse tröstete man sich damit, dass es die Nachbarn noch schlimmer getroffen hatte. So betrugen die von Trump verhängten Zölle für Pakistan 29 Prozent, für Bangladesh 37 Prozent und für Sri Lanka gar 44 Prozent. Vor diesem Hintergrund sahen manche indische Ökonomen die Abgaben von 27 Prozent gar als komparativen Wettbewerbsvorteil und äusserten die Hoffnung, zusätzliche Fabriken aus anderen Ländern Asiens anziehen zu können.
Sollten die Zölle im Juli wie angedroht kommen, würde das Indien dennoch hart treffen. Die USA sind bei einem Handelsvolumen von mehr als 190 Milliarden Dollar Indiens wichtigster Handelspartner. Die Handelsbilanz ist stark unausgeglichen, da Indien weitaus mehr Waren in die USA exportiert, als es von dort importiert. Zudem erhebt Indien deutlich höhere Zölle auf Importe als die USA. Washington dringt daher schon lange auf eine Öffnung der Märkte.
Gerade im Agrarbereich ist eine Abkehr von der protektionistischen Handelspolitik aber schwierig. Indien bemüht sich zwar seit Jahren, den Industriesektor zu stärken, und baut auch den Dienstleistungsbereich aus, dennoch sind nach wie vor 46 Prozent der Arbeitskräfte in der Landwirtschaft beschäftigt. Reformen in diesem Bereich sind heikel. In Delhi ist die Erinnerung an die Bauernproteste von 2020/21 noch frisch. Damals war Modi gezwungen, eine umstrittene Gesetzesreform zurückzuziehen.
Indien sieht Trumps Migrationspolitik mit Sorge
Vor diesem Hintergrund ist eine Öffnung der indischen Märkte für amerikanische Agrarprodukte für Modi politisch kaum durchsetzbar. Auch in anderen Bereichen dürfte eine Einigung kompliziert werden. Modi rühmt sich zwar gerne seines engen persönlichen Verhältnisses zu Trump. Kommentatoren in Indien sind aber skeptisch, dass dies reicht, um die Differenzen zu überbrücken – nicht zuletzt in der für Indien wichtigen Frage der Arbeits- und Studentenvisa.
Von den 200 000 H-1B-Arbeitsvisen für Fachkräfte gingen im letzten Jahr 70 Prozent an Inderinnen und Inder, doch will Trump deren Vergabe reduzieren. In der indischen Presse wurde zudem mit Sorge registriert, dass die Zahl der F-1-Studentenvisa für Inder im Februar um 30 Prozent gesunken ist. Dieser Rückgang ist deutlich stärker als etwa jener bei den Chinesen. Auch bei der Annullierung von Studentenvisa sind indische Studierende überdurchschnittlich stark betroffen.
In Indien ist unvergessen, wie Trump im Februar Hunderte irregulär eingereiste indische Migranten in Hand- und Fussfesseln in die Heimat deportieren liess. Ob Modi die Migrationsfrage bei dem Treffen mit Vance zur Sprache gebracht hat, liessen die Inder am Montag offen. Stattdessen wirkten beide Seiten bemüht, ein möglichst harmonisches Bild abzugeben. Doch trotz den freundlichen Szenen mit Vance’ Familie ist unübersehbar, dass die kommenden Wochen von Modi einige schwierige Entscheidungen verlangen werden, will er die Handelsgespräche rechtzeitig vor Inkrafttreten der Zölle abschliessen.