Der frühere brasilianische Stürmerstar Robinho hat eine Frau missbraucht und muss neun Jahre ins Gefängnis. Doch nicht nur der Fussball fällt negativ auf, zu oft präsentiert sich die Sportwelt als rückständig und verkrustet.
Am vergangenen Mittwoch sprach das höchste brasilianische Gericht ein Urteil mit Signalwirkung. Robinho, früherer brasilianischer Stürmerstar, muss neun Jahre ins Gefängnis. Der 40-Jährige war bereits 2017 in Italien verurteilt worden. Das Gericht sah es als erwiesen an, dass der damalige Milan-Spieler 2013 eine Frau vergewaltigt hat. Die 23-Jährige war stark alkoholisiert, als sie von einer Gruppe um den Fussballer in der Garderobe eines Mailänder Nachtklubs missbraucht wurde.
Im Januar 2022 wurde das Urteil rechtskräftig. Doch Robinho entzog sich der Strafe, indem er das Land verliess. Die brasilianische Verfassung verbietet die Auslieferung von Staatsangehörigen. Verschiedene Vereine in der Türkei und in Brasilien sahen kein Problem darin, ihn nach der Tat zu beschäftigen. Nach dem Rücktritt 2020 lebte er unbehelligt auf einem Luxusanwesen am Meer im Gliedstaat São Paulo. Bis er am Donnerstagabend von der Polizei abgeholt wurde. Das ist die gute Nachricht.
Die schlechte ist, dass Robinho nach Dani Alves bereits der zweite brasilianische Nationalspieler innert weniger Wochen ist, der wegen Vergewaltigung Schlagzeilen macht. Alves wurde kürzlich in Barcelona zu viereinhalb Jahren Haft verurteilt, auch er hat in einem Nachtklub eine Frau missbraucht. Die Fälle werfen ein Schlaglicht auf eine Kaste von Superstars, die sich nimmt, was sie will, und sich für unantastbar hält. Männer, die mit Millionen gefüttert und zu Halbgöttern stilisiert wurden.
Was ist nur los im Fussball? Oder ist das Problem noch viel grösser? Betrifft es nicht weite Teile des Leistungssports?
Frauen fehlen im Fussball
Tatsächlich machten in den letzten Jahren immer wieder skandalöse Vorgänge auch im Inneren des Sportsystems Schlagzeilen. In den sogenannten Magglingen-Protokollen berichteten 2020 Kunstturnerinnen von einem systematischen psychischen Missbrauch im Leistungssportzentrum des Schweizerischen Turnverbands. Daraufhin wurde eine Meldestelle für Missbrauch geschaffen. Rund 400 Meldungen sind 2023 bei Swiss Sport Integrity eingegangen. Die Berichte deckten sich mit zahlreichen weiteren im Ausland, verschiedene Sportarten waren und sind weiter betroffen.
Nun ist der Spitzensport nicht per se ein kriminelles Milieu. Doch er hat ein Problem mit einer gewissen Rückständigkeit, mit einem Mangel an Entwicklungswille und fehlender Modernisierung. Allzu oft wird er von Strukturen geprägt, die Übergriff und Missbrauch begünstigen. Dazu gehört, dass er stark hierarchisch organisiert ist, zwischen Trainern sowie Funktionären und Athletinnen und Athleten herrscht ein grosses Machtgefälle. In dieser Kultur sind junge Sportler und Sportlerinnen verwundbar. Sie sind abhängig von der Gunst der Ausbilder, die Gefahr des Machtmissbrauchs besteht latent.
Tatjana Haenni, früher Direktorin Frauenfussball im schweizerischen Verband, heute Chefin der amerikanischen Frauenfussball-Profiliga, sagte im Januar in der NZZ: «Wo Machtverhältnisse bestehen und es keine geschützten Meldeverfahren und Kontrollmechanismen gibt, wird dies leider immer wieder von Einzelnen missbraucht.»
Als weiterer Risikofaktor kommt hinzu, dass in kompetitiven Milieus, wie es der Sport definitionsgemäss ist, die Gefahr eines Übergriffs erhöht ist. Durch das Streben nach Höchstleistungen entsteht eine Kultur, die keine Schwäche zulässt. Wer erfolgreich sein will, muss lernen auszuhalten. «Da musst du durch», heisst es dann gerne, oder «Was dich nicht umbringt, macht dich stärker». Der geilste Siech ist derjenige, der es sich am härtesten gibt. Diese Glorifizierung von Stärke erschwert es, Verletzungen jeder Art zu zeigen und anzuprangern.
Fussballstars, die Frauen missbrauchen, mögen auf den ersten Blick nichts mit dieser Art von Übergriffen zu tun haben. Doch gerade der Männerfussball ist ein standhaftes Bollwerk, wenn es um Reformen geht. Auf gesellschaftliche Entwicklungen reagiert er höchstens verzögert. Zwar zeigt er gerne Regenbogenflagge, aktive schwule Fussballer lassen sich aber auch nach jahrzehntelangen Diskussionen an einer Hand abzählen. Die Verbände geben sich aufgeschlossen, schmücken sich mit Schlagworten wie «Respect» und «No discrimination», gleichzeitig ist der Fussball eines der raren Milieus, die Frauen fast gänzlich ausschliessen. Nicht (mehr) als Athletinnen, aber auf fast allen Positionen, die Einfluss versprechen.
Der populärste Sport der Welt ist fest in der Hand von Männern, die den eigenen Zirkel begünstigen. In den Führungsgremien von Verbänden und Vereinen sitzen überwiegend ältere Herren mit einem traditionellen Rollenverständnis und grossem Machtbewusstsein. Tatjana Haenni kennt die Verbände von innen. Sie war sowohl in der Fifa wie dem Schweizerischen Fussballverband verantwortlich für den Frauenfussball. Sie sagt: «Die Fussballverbände haben derart viel Macht, sie sind fast unantastbar. Die Strukturen sind starr, und diejenigen, die am Ruder sind, sind nicht an einer Modernisierung interessiert.»
Diese Zustände wollte Sportministerin Viola Amherd aufbrechen. Doch als sie 2022 eine fixe Frauenquote für Sportvereine und Verbände forderte, musste sie bald zurückrudern. Wer nicht mindestens 40 Prozent Frauen im Vorstand hat, hätte laut Amherds ursprünglichen Plänen mit der Streichung von Bundesgeldern rechnen müssen. Angesichts der tiefen Frauenvertretung heute war das schlicht unrealistisch. Nun müssen die Verbände aufzeigen, welche Massnahmen sie treffen, um eine gleichmässigere Geschlechtervertretung zu erreichen.
Ganz ohne Frau ist bis heute das oberste Gremium des Schweizerischen Fussballverbandes, der Zentralvorstand, ausgekommen. Zwar wurde nun – von einem Männergremium – entschieden, zwei neue Sitze zu schaffen, die von Frauen besetzt werden sollen. Allerdings müssen sie laut Profil «unabhängig» sein und dürfen «in keiner Verbindung zu einer Abteilung oder einem Klub des SFV stehen». Dass die Vorgabe eine ganze Reihe Expertinnen ausschliesst, finden Exponentinnen wie Haenni unverständlich, weil man bewusst auf das Know-how vieler Fachfrauen verzichtet.
Das Bild in den Fussballklubs der obersten Schweizer League ist das gleiche: Heliane Canepa, die mit ihrem Mann den FC Zürich führt, und die Amerikanerin Stacy Johns bei den Grasshoppers sind die einzigen Frauen, die operativ tätig sind. Weibliche CEO, Sportchefinnen, Schiedsrichterinnen, Trainerinnen – Fehlanzeige.
Unsere Präsidentin Stacy Johns mit einer Message an die GC-Fans 🔵⚪#gc #zürich #traditionsclub pic.twitter.com/jLZGdZ6BoZ
— Grasshopper Club Zürich (@gc_zuerich) January 18, 2024
Als bei Union Berlin in der Bundesliga kurz mit Marie-Louise Eta erstmals eine Frau Co-Trainerin wurde, berichteten die Medien so fasziniert, als hätte man eine neue Tiefseefischart entdeckt. Sexistische Entgleisungen blieben nicht aus. Der Spielerberater Maik Barthel schrieb auf X: «Ein Co-Trainer muss ja auch mal in die Kabine der Mannschaft. Bitte nicht noch den deutschen Fussball der Lächerlichkeit preisgeben.» Geradezu programmiert sind sexistische Anfeindungen, wenn eine Frau ein Fussballspiel kommentiert. Frauen mit Stimme – lieber nicht.
Denn Frauen führen im Fussball entweder dienstbare Jobs im Hintergrund als Physiotherapeutinnen oder in der Administration aus – oder sie treten als sexualisierte Spielerfrauen in Erscheinung. Damit werden längst überholte Rollenbilder reproduziert: Entweder sind sie treue Unterstützerinnen oder gefährliche Verführerinnen.
Zeichen der Hoffnung
Die Absenz von Frauen, gerade im Fussball, und der oftmals sexistische Umgang mit ihnen führen nicht zwangsläufig zu Übergriffen. Doch der Machismo, der den Sport durchdringt, ist der Boden, auf dem Missbrauch stattfindet. Die Kultur der dummen Sprüche, der Tätscheleien schafft nicht nur ein Klima, in dem sich Frauen nicht wohlfühlen, sie befördert auch Grenzüberschreitungen.
Doch es gibt auch ermutigende Signale. Als der spanische Verbandspräsident Luis Rubiales im letzten Sommer ungefragt die Spielerin Jenni Hermoso küsste, fegte ihn ein Sturm der Entrüstung aus dem Amt. Vergewaltiger wie Robinho oder Alves werden heute zur Rechenschaft gezogen. Fussballer und Offizielle, die Schwule verhöhnen, wie kürzlich in Wien, werden gesperrt und aus dem Nationalteam ausgeschlossen. Zwar muss die Beschwerdestelle von Swiss Sport Integrity mehrere hundert Fälle pro Jahr entgegennehmen. Aber es gibt zumindest einen Ort, an den sich Sportler und Sportlerinnen wenden können.
Der Sport bewegt sich langsam. Doch er bewegt sich.