Die Idee eines Jahresabos für 365 Franken lehnen im Parlament auch viele Linke ab. Doch für einen Kompromiss war die SP nicht zu haben.
«Für alle statt für wenige!» Die SP legt ihren Slogan inzwischen überraschend Konsequent aus. Sie fordert, ÖV-Abonnemente für alle Stadtzürcher zu vergünstigen. Statt 809 Franken soll das Jahresabo fürs Stadtgebiet künftig nur noch 365 Franken kosten. Und zwar nicht nur für wenige Menschen in bescheidenen Verhältnissen, sondern auch für Multimillionäre vom Zürichberg.
Die SP verkauft das als Mittelstands- und Klimapolitik. In einer Medienmitteilung, die sie am Mittwoch zusammen mit dem Verein «Umverkehr» verschickt hat, beklagt sie die steigende finanzielle Belastung für die Stadtbevölkerung. Die Mieten und Krankenkassenprämien hätten sich in den letzten 25 Jahren fast verdoppelt. Die allgemeine Teuerung, die steigenden Energiepreise und die Verteuerung der ÖV-Abos hätten die Situation noch weiter verschlimmert.
Umso mehr brauche es nun eine Entlastung. Und diese könne sich die Stadt «problemlos leisten», die letzte Jahresrechnung habe sie gerade mit einem Überschuss von 500 Millionen Franken abgeschlossen. Die Idee soll aber auch den öffentlichen Verkehr fördern. Kostet das Abo weniger, wird es attraktiver, so die Rechnung.
SP und «Umverkehr» haben ihre Forderung vor einem Jahr als Volksinitiative eingereicht. Nicht nur Erwachsene hätte damit Anspruch auf eine Vergünstigung, sondern auch Kinder und Jugendliche. Diese sollen künftig noch 185 Franken pro Jahr bezahlen statt der heutigen 586 Franken, sie würden von der Stadt also einen Beitrag von 401 Franken erhalten. Der Betrag soll nicht nur für Abos des Zürcher Verkehrsverbunds verwendet werden können, sondern auch für den Kauf eines GA.
Am Mittwochabend debattierte der Gemeinderat über die Idee. Diese hatte allerdings einen schweren Stand, die Initianten konnten weder den rot-grün dominierten Stadtrat überzeugen noch alle Parlamentskollegen auf der linken Seite. Es wäre zwar ein Kompromiss möglich gewesen, doch diesen wollten die Initianten am Ende nicht eingehen.
SVP: «Ein Zückerchen für die eigene Klientel»
Die Kritik kam im Ratssaal aus allen Lagern: Carla Reinhard von der GLP kam zum Schluss, dass die Sache zwar sehr viel koste, aber dem öV kaum etwas bringe. Martina Zürcher von der FDP befand, dass der öV schneller und besser werden müsse, wenn man die Leute zum Umstieg bewegen wolle.
Die SVP warf der linken Seite Klientelpolitik vor: «Sie wollen ihren Wählern doch einfach ein Zückerchen geben vor den anstehenden Wahlen», meinte Derek Richter. Etwas weniger harsch klang es bei der AL. Michael Schmid sagte, die Umverteilung sei viel zu wenig zielgerichtet: «Auch jene, die sich die überhöhten Mieten und teuren Restaurants in der Stadt leisten können, würden profitieren.»
Auch dem Stadtrat geht die Sache zu weit. In seiner Weisung zur Initiative spricht er von einem «sozialpolitisch unerwünschten Giesskannenprinzip». Für viele Stadtzürcher Haushalte stellten die heutigen Preise der ÖV-Abos keine massgebliche Belastung dar, zumal der mittlere Monatslohn in der Stadt über 8000 Franken beträgt.
Die Stadt macht sich auch Sorgen über die unverhältnismässig hohen Kosten, welche die Initiative zur Folge hätte. Sie rechnet mit jährlichen Zusatzkosten von 140 bis 183 Millionen Franken. Aus Sicht des Stadtrates wäre es sinnvoller, dieses Geld in den Ausbau und die Verbesserung der ÖV-Infrastruktur zu investieren.
Die Initiative wird aus der Sicht des Stadtrats auch nicht zur Erreichung des Netto-Null-Ziels beitragen, wie dies den Initianten vorschwebe. Erfahrungen aus anderen europäischen Städten mit ähnlichen Massnahmen zeigten zwar, dass man damit den öV fördere, aber nur weil viele Fussgänger und Velofahrer umsteigen. Eine Verlagerung vom motorisierten Individualverkehr hin zum öffentlichen Verkehr bleibe hingegen aus.
Die SP und Teile der Grünen hielten dagegen: Severin Meier (SP) nannte die Initiative «eine der wichtigsten Antworten dieser Legislatur auf den Kaufkraftverlust des Mittelstandes». Die hohen Überschüsse, welche die Stadt generiere, sollten der Bevölkerung zugutekommen.
Die Bürgerlichen machten sich jeweils für Steuersenkungen stark, doch von diesen profitierten Topverdiener überproportional. Von der Vergünstigung des öffentlichen Verkehrs hätten dagegen alle gleich viel. Und gerade Familien würden davon profitieren. Eltern mit zwei Kindern kämen auf eine jährliche Einsparung von 1690 Franken, rechnete Meier vor. Hingegen brächte auch eine üppige Steuersenkung von 6 Prozentpunkten einer Mittelstandsfamilie nur eine Einsparung von wenigen hundert Franken im Jahr.
AL: «Wir wären zu einem Kompromiss bereit gewesen»
Der Grüne Markus Knauss entgegnete, dass eben auch von der ÖV-Vergünstigung nicht alle profitierten. Zum Beispiel gerade jene nicht, die heute schon ökologisch vorbildlich nur mit dem Velo unterwegs seien. Knauss sowie einige weitere Grüne und Mitglieder der AL machten sich stattdessen für einen Gegenvorschlag stark, den der Stadtrat ausgearbeitet hatte.
Dieser zielte darauf ab, einkommensschwache Personen zu entlasten. Jene sollten einkommensabhängig abgestufte Vergünstigungen für den öV erhalten. Die Stadt rechnete damit, dass der Gegenvorschlag gut 35 Millionen Franken pro Jahr kosten würde.
Der SP war das aber zu wenig. Sie war nicht bereit, ihre Initiative zurückzuziehen. Micheal Schmid von der AL bedauerte dies: «Wir wären zu Kompromissen bereit gewesen, auch zu weitergehenden. Doch die SP hat sich offensichtlich entschieden, hoch zu pokern.» Am Ende schoss die SP zusammen mit den Bürgerlichen den Gegenvorschlag ab. Die Mehrheit des Rats lehnte auch die Initiative ab.
Damit wird die SP ihre Initiative im September an die Urne bringen können. Wenige Monate vor den Parlamentswahlen.