Seit 1932 hat die Fifa ihren Sitz in Zürich. Das könnte sich nun ändern. Eine geplante Statutenänderung gibt Hinweise darauf.
Der Gaza-Konflikt erreicht auch den Weltfussballverband. Am Fifa-Kongress, der am Freitag in Bangkok stattfinden wird, wollen Funktionäre des palästinensischen Verbandes PFA das Wort ergreifen. Unterstützt von Algerien, dem Irak, Jordanien, Syrien und Jemen fordert die PFA Sanktionen gegen Israel. Die israelischen Vertreter wehren sich vehement gegen das sportpolitische Ansinnen, der Aussenminister Israel Katz bezeichnete den PFA-Präsidenten Dschibril Radschub jüngst als «Terroristen im Anzug».
Es zeichnet sich in Bangkok also eine hitzige Diskussion über ein Thema ab, das die Fifa eigentlich nur sehr indirekt betrifft. Womöglich kommt das der Führungsriege um den Präsidenten Gianni Infantino gar nicht ungelegen: Unmittelbar vor der Diskussion über den PFA-Antrag sieht die Tagesordnung eine Statutenänderung vor, welche fast untergehen könnte – ungeachtet der möglicherweise gravierenden Konsequenzen.
«Der Sitz der Fifa ist in Zürich (Schweiz)», heisst es bis dato in den Statuten. Ausserdem ist dort bereits im ersten Absatz festgehalten, dass der Weltfussballverband im Handelsregister des Kantons Zürich registriert ist. Sind mindestens 75 Prozent der anwesenden Delegierten einverstanden, werden die beiden Bezüge zur Schweiz per sofort gestrichen.
Tochterfirmen und Niederlassungen in aller Welt
Unter Infantino ist die Zentrale auf dem Zürichberg zunehmend irrelevant geworden. Der Präsident lebte mit seiner Familie zeitweise in Doha. 2021 eröffnete die Fifa eine Niederlassung in Paris, 2023 eine weitere in Singapur. Tochterfirmen existieren auch in Moskau, Sydney, Mexiko-Stadt, Wilmington (USA) und Victoria (Kanada).
Besonders weitreichend sind derzeitige Job-Verlagerungen nach Miami. Dort sollen ab August die Rechtsabteilung, die interne Revision und das Risikomanagement des Weltfussballverbandes angesiedelt sein. Die Unzufriedenheit über diesen Entscheid ist in der Belegschaft erheblich. Um sie dennoch zum Umzug zu motivieren, schrieb die damalige Generalsekretärin Fatma Samoura den Angestellten im vergangenen Herbst, in Miami werde die Vision fortgesetzt, «den Fussball wirklich global zu machen». Sie verabschiedete sich unmittelbar danach.
Fifa-Sprecher bestreitet Umzugspläne
Kaum jemand wäre noch überrascht, sollte die Fifa früher oder später Zürich verlassen, wo sie seit 1932 ihren Hauptsitz hat. Die geplante Statutenänderung, über welche zuerst die «Süddeutsche Zeitung» berichtet hat, wirkt wie eine vorbereitende Massnahme. Ergänzt werden soll im Regelwerk des Verbandes zwar an weniger prominenter Stelle eine Übergangsbestimmung, in welcher Zürich als Fifa-Sitz bestätigt wird. Diese Formulierung kann jedoch vom Kongress jederzeit gestrichen werden.
Ein Fifa-Sprecher bestreitet derweil Umzugspläne. Die Statuten würden aktualisiert, um klarzustellen und zu bestätigen, dass der Kongress als ultimativer Entscheidungsträger den Verbandssitz bestimme, sagt er. Es werde auch festgehalten, dass sich der Hauptsitz der Organisation in Zürich befinde, solange der Kongress nichts anderes entscheide.
Dass dem Kongress die Entscheidungshoheit in der Standortfrage derart explizit zugeschrieben wird, ist brisant. Denn an der Vollversammlung werden Beschlussvorlagen, wenn sie von der Fifa-Spitze unterstützt werden, in aller Regel mit grossen Mehrheiten angenommen.
Kaum jemand möchte einen Konflikt mit der Zentrale riskieren
Mit Zustimmungsraten, welche sonst aus kommunistischen Regimen bekannt sind, winken die Vertreter der 211 Mitgliedsverbände durch, was immer ihnen an Ideen oder Projekten präsentiert wird. Kaum jemand möchte einen Konflikt mit der Zentrale riskieren, zu gross sind die Abhängigkeiten. Auch europäische Vertreter, welche sich jüngst gelegentlich im Vorfeld von Entscheiden kritisch geäussert hatten, schwenkten an den Abstimmungen auf Linie ein.
Das könnte Infantino, dessen innere Distanz zur Schweizer Heimat kein Geheimnis ist, ein raffiniertes Manöver ermöglichen. Er müsste einen neuen Hauptsitz nicht selber ins Gespräch bringen. Denkbar wäre, dass ein nationaler Verband einen entsprechenden Antrag stellt, damit dieser am Kongress zur Abstimmung kommt. Aussergewöhnlich günstige steuerliche Bedingungen wären ein naheliegendes Argument, das eingebracht werden könnte.
Ein solches Vorgehen wäre kein Novum. Einst sympathisierte Infantino mit der Idee, die WM alle zwei Jahre auszutragen, doppelt so häufig wie bisher. Er exponierte sich jedoch nicht mit dem umstrittenen Ansinnen. Stattdessen forderte der saudiarabische Verbandspräsident Yasser Almisehal an einem Kongress, eine entsprechende Reform zu prüfen. Infantino konnte öffentlich beteuern, er habe mit dem Antrag des Funktionärs nichts zu tun.
Ähnlich ist es auch jetzt, bei der symbolträchtigen Streichung von Zürich aus den ersten Absätzen der Fifa-Statuten: Offiziell entstand die Idee in einer Arbeitsgruppe. Am 17. April wurde sie vom interimistischen Generalsekretär Mattias Grafström in einem Schreiben an die Mitgliedsverbände publik gemacht.
Wenn er will, wird Infantino am Ende des Prozesses sagen können, seinetwegen wäre die jüngste Episode der schleichenden Entfremdung zwischen Fifa und Limmatstadt nicht notwendig gewesen. Aber er beuge sich dem Mehrheitswillen.