In Sri Lanka wurden Zehntausende zum Verschwinden gebracht – gerade in der blutigen Endphase des Bürgerkriegs 2009. Die Verwandten haben sich organisiert und fordern Aufklärung. Ob die Täter von der neuen Regierung endlich zur Verantwortung gezogen werden, ist fraglich.
Vorsichtig tragen mehrere Arbeiter mit Pickeln in Kokkuthoduvai die Erde ab. Sie werden dabei von Vertretern der archäologischen Abteilung der Regierung, Polizisten der Spurensicherung und einem Amtsrichter beobachtet. Gesichert wird die überdachte Grabungsstätte im Nordosten von Sri Lanka durch mehrere Polizisten. Das Gebiet an der Küste war während des jahrzehntelangen Bürgerkriegs mit den Tamil Tigers mehrmals heftig umkämpft. Ein paar Kilometer weiter ist das Land auch fünfzehn Jahre nach Ende des Krieges noch immer vermint.
Auch Vallipuram Niranchan verfolgt die Exhumierung der Toten in dem Massengrab. «Die Familien kämpfen seit fünfzehn Jahren dafür, die Wahrheit zu erfahren», sagt der Anwalt, der mehrere Angehörige von Verschwundenen vertritt. «Sie können die Sterberituale nicht durchführen, ohne Sterbeurkunde können sie den Besitz nicht aufteilen, eine erneute Heirat ist nicht möglich. Die Regierung muss auf diese Fragen antworten. Aber sie hat kein Interesse daran.»
In der Nähe des Massengrabs von Kokkuthoduvai befinden sich mehrere Kasernen der Armee, der Marine und einer Spezialeinheit der Polizei. Die ersten Leichen wurden im Juni 2023 beim Verlegen von Wasserleitungen entdeckt. Zweimal wurden die Grabungen seither eingestellt – angeblich aus Geldmangel. Vierzig Leichen wurden im vergangenen Jahr gefunden, in der dritten Phase wurden bis Mitte Juli weitere zwölf Leichen freigelegt. Mehrere wiesen Schusswunden auf.
Sri Lanka hat eine lange Geschichte des Verschwindenlassens
Gemäss dem Gerichtsmediziner wurden die Leichen zwischen 1994 und 1996 vergraben. Uniformen und Ausweise der Liberation Tigers of Tamil Eelam (LTTE) deuten darauf hin, dass hier Kämpfer der separatistischen Guerilla erschossen und in eine Grube geworfen wurden. Gewaltsames Verschwindenlassen hat eine lange Geschichte in Sri Lanka. Amnesty International schätzte 2017, dass seit den achtziger Jahren 60 000 bis 100 000 Menschen in geheime Gefängnisse verschleppt, gefoltert und meist auch getötet wurden.
Ein Bericht des Uno-Hochkommissariats für Menschenrechte forderte die Regierung im Mai auf, das gewaltsame Verschwindenlassen durch die Sicherheitskräfte und bewaffnete Gruppen anzuerkennen und eine öffentliche Entschuldigung auszusprechen: «Die Regierung Sri Lankas muss sinnvolle Massnahmen ergreifen, um das Schicksal und den Verbleib von Zehntausenden von Menschen, die im Laufe der Jahrzehnte gewaltsam verschwunden sind, zu klären und die Verantwortlichen zur Rechenschaft zu ziehen.»
Viele Angehörige warten seit fünfzehn Jahren auf Aufklärung
Wie viele Angehörige wartet Easwary Maria Suresh seit fünfzehn Jahren auf Aufklärung. Die heute 51-Jährige war im Alter von 17 Jahren den Tamil Tigers beigetreten. Sie stand immer wieder an der Front und wurde mehrmals verwundet. Bei den LTTE verliebte sie sich Ende der neunziger Jahre in den fünf Jahre jüngeren Mariathas Maria Suresh. Die beiden heirateten im Jahr 2000 mit Erlaubnis der Guerillaführung. Drei Söhne brachte Easwary 2001, 2004 und im Januar 2009 zur Welt.
Am 17. März 2009 – zwei Monate vor Ende des Kriegs, als heftige Kämpfe tobten – besuchte Mariathas seine Familie, um seinen jüngsten Sohn zu sehen. Am nächsten Morgen wurde Easwary von den Tigers informiert, ihr Mann sei verhaftet worden. Fischer aus dem Dorf erzählten, ihr Mann sei nackt und gefesselt auf ein Schiff der Marine gebracht worden. Am nächsten Tag beobachtete ein Cousin, wie er von Soldaten aus einem Lager gebracht wurde. Das war das letzte Mal, dass er gesehen wurde.
Seither ist Easwary auf der Suche nach ihrem Mann. Sie fragte beim Internationalen Komitee vom Roten Kreuz (IKRK) nach, auf Polizeiposten, bei katholischen Priestern und bei der Menschenrechtskommission. Sie schrieb einen Brief an den Präsidenten, gab der Kommission für Verschwundene Auskunft, wandte sich an das Regierungsbüro für verschwundene Personen – ohne je Antwort zu erhalten.
Nach acht Jahren erfolgloser Suche schloss sie sich protestierenden Familienangehörigen an. Aus der losen Gruppe wurde die Vereinigung der Verwandten der gewaltsam Verschwundenen, die in jedem der acht Distrikte in den mehrheitlich tamilischen Gebieten im Norden und Osten des Landes, wo sich die meisten Kämpfe während des Bürgerkriegs abgespielt haben, einen Verband hat. Inzwischen steht Easwary dem Verband des Distrikts Mullaitivu an der Ostküste vor.
Zusätzlich zur Aufgabe, die Familie allein zu ernähren, kamen die Kosten für die aufwendige Suche. Easwary führt einen kleinen Laden mit Fruchtsäften. Eine angebotene Entschädigung der Regierung lehnte sie trotz ihrer finanziellen Not ab: «Sie sollen uns sagen, was mit all den Leuten passiert ist, die verhaftet wurden oder die sich nach dem Krieg ergeben haben. Sie sollen uns sagen, wann, warum und wie etwas passiert ist, damit wir die Sterberituale durchführen können.»
20 000 Menschen haben Angehörige verloren
Sivananthan Jenita ist Präsidentin des Verbands im Distrikt Vavuniya. Dort hat die Vereinigung 614 Mitglieder, insgesamt sind es etwa 20 000. «Alle Mitglieder haben mindestens ein Familienmitglied, das verschwunden ist», sagt die 47-Jährige. Jenitas Mann war Busfahrer und hatte einen eigenen Bus. Er verschwand am 18. Mai 2008: «Zeugen sagten mir, er sei um zwei Uhr nachmittags in Maharambaikulam nördlich von Vavuniya in einem Tuktuk entführt worden.»
Auch sie fragte bei der Polizei, der Menschenrechtskommission und dem IKRK nach. Acht Tage nach der Entführung gab ihr der Dorfvorsteher eine Telefonnummer: «Er sagte, ich solle dort anrufen, falls ich meinen Mann zurückhaben wolle.» Der Angerufene, der sich Seylan nannte, behauptete, ihr Mann habe die LTTE unterstützt, aber gegen ein Lösegeld von 5 Millionen Rupien werde er freigelassen, andernfalls werde er umgebracht. Entführungen, um Lösegeld zu erpressen, gab es damals in Sri Lanka fast täglich.
«Ich antwortete, ich hätte kein Geld, nur den Bus, den könnten sie haben. Er fragte, wie viel Geld ich bis am nächsten Mittag auftreiben könnte.» Jenita verkaufte ihren Goldschmuck, bat Verwandte um Geld und brachte so 550 000 Rupien zusammen. Nach einer komplizierten Geldübergabe wurde sie angewiesen, ihren Mann im Büro des Dorfvorstehers abzuholen. Doch dort war niemand: «Ich wartete mehrere Stunden und ging am Abend weinend nach Hause.» Erst als der Dorfvorsteher später behauptete, von nichts zu wissen, realisierte sie, dass auch das Geld verloren war.
Der Regierung sind die Proteste der Angehörigen unangenehm
2017 trat sie zusammen mit anderen Frauen in einen Hungerstreik und schloss sich der neugegründeten Vereinigung an. Die Regierung reagiert mit zunehmendem Druck auf die Proteste. Als Jenita im Januar während eines Besuchs des Präsidenten in Vavuniya demonstrierte, wurde sie geschlagen und musste acht Tage in Untersuchungshaft verbringen. Seither gibt es einmal pro Monat Gerichtsverhandlungen. Auch Besuche und Anrufe der Kriminalpolizei haben sich intensiviert.
Im Frühjahr hielt die Vereinigung von Verwandten in einer Broschüre fest, sie hätten jegliches Vertrauen in die staatlichen Organe Sri Lankas verloren. Sie zweifeln daran, dass der am 21. September neu gewählte Präsident Anura Kumara Dissanayake für Gerechtigkeit sorgen wird. Während des Wahlkampfs sagte er, die Angehörigen seien mehr daran interessiert, die Wahrheit zu erfahren, als daran, die Täter zur Verantwortung zu ziehen.
Immerhin hielt das Gericht in Mullaitivu Ende September fest, die Behörden müssten die Namen auf den Ausweisen und Nummern der LTTE-Erkennungsmarken bis am 12. Dezember an das Gericht übermitteln. Die Angehörigen hoffen nun auf Druck der internationalen Gemeinschaft, damit die neue Regierung endlich für Wahrheit und Gerechtigkeit sorgen wird.