Der einstige Dominator Red Bull verliert in der Formel 1 immer mehr an Terrain. Der einstige technische Vorsprung der Equipe ist zwar dahin – trotzdem schwindet die Hoffnung auf einen anderen Weltmeister als Max Verstappen.
Die WM-Rangliste der Formel 1 sieht nach dem Ende der Sommerpause aus wie immer. Max Verstappen, der Weltmeister der vergangenen drei Saisons, führt 78 Punkte vor Lando Norris im McLaren. Noch stehen zehn Rennen aus, die Hoffnung auf einen anderen Weltmeister als Verstappen schwindet. Noch glauben manche in der Szene an die Wende, in dieser Saison ist schon viel scheinbar Unmögliches passiert.
Das Red-Bull-Team hat aber die Übermacht verloren, Verstappen ist vor dem Grossen Preis der Niederlande am Sonntag seit vier Rennen ohne Sieg. Das nährt die Spannung in der Königsklasse. Momentan scheint jeder jeden schlagen zu können, und ein Ranking, das nur die letzten sieben Grands Prix umfasst, zeigt, dass Red Bull die Vormachtstellung einzubüssen droht. In der kurzfristigen Wertung führt Verstappen nur einen Punkt vor Lewis Hamilton, einen weiteren Zähler zurück liegt die McLaren-Hoffnung Oscar Piastri. Verstappens One-Man-Show ist vorbei, es gibt keinen eindeutigen Favoriten mehr, das einzig Beständige ist die Ungewissheit.
Red Bulls Teamchef Christian Horner stellt sich auf ungemütliche Zeiten ein. Er sagt: «Vier Teams liegen Kopf an Kopf. Ich fürchte, das wird in den nächsten anderthalb Jahren so weitergehen.» Erst dann wird es wegen eines neuen Motoren-Reglements zu einer grundsätzlichen Neuordnung kommen.
Heute entscheidet nicht mehr die Technik über den Sieg
Vor zwei Jahren hat Red Bull seinerseits von einem neuen Reglement profitiert, das die Luftströmungen unter dem Auto regelt. Seit dem Inkrafttreten 2022 gewann Verstappen zwei Drittel aller Rennen und 19 von 22 im letzten Jahr. Das war Ausdruck einer technischen Überlegenheit auf Basis der Konstruktionen von Adrian Newey, dem erfolgreichsten Designer der Formel 1. Der Brite hat allerdings im Frühjahr gekündigt bei Red Bull. Die Probleme bei Red Bull lassen sich aber nicht mit diesem Abgang allein erklären.
Das Team ist nicht wesentlich schlechter geworden, die Konkurrenz aber besser – auch, weil sie reichlich Nachholbedarf hatte. Vor allem stösst die jetzige Fahrzeuggeneration an ihr technisches Limit, es wird bei dem weitgehend ausgereizten Reglement immer schwieriger, während der Saison Verbesserungen zu erreichen. Diese Upgrades bringen nur kleine Leistungsfortschritte, erfordern aber einen immensen personellen und finanziellen Aufwand. So gleichen sich alle Fahrer an; Tagesform, Strecke und das Wetter sorgen für den Unterschied bei der Leistung.
Das Auto von Red Bull ist zwar schnell, aber auch launisch. Verstappen mag mit einem aus der Balance geratenen Modell dank seinem Fahrgefühl noch klarkommen. Der Teamkollege Sergio Perez hingegen leidet am schwierig zu fahrenden Wagen. Ein starker zweiter Fahrer aber ist wichtig für den Gewinn der lukrativen Konstrukteurs-Weltmeisterschaft, dort ist Red Bulls Vorsprung auf 42 Zähler gegenüber McLaren geschmolzen.
Das Hauptproblem, unter dem der Red-Bull-Rennwagen leidet, ist das Betriebsfenster – das ist dann, wenn im Rennen Fahrwerk, Motor, Chassis und Reifen optimal harmonieren. «Doch das Fenster, in dem unser Auto funktioniert, ist kleiner geworden», sagt der Teamchef Horner. Der Wagen ist schwer abzustimmen, perfekte Rennen sind seltener geworden. In Summe bedeutet das: Red Bulls Unbesiegbarkeit ist weg.
Verstappens Topform übertüncht die technischen Probleme
Zuständig für das Auto ist der technische Direktor Pierre Waché. Der Franzose gesteht, der RB 20 habe die in ihn gesetzten Erwartungen nicht wirklich erfüllt: «Wir dachten sogar, dass uns die Konkurrenz schon früher einholen würde», sagt Waché. Was auch daran liege, dass die Gegner seit zwei Jahren die bei Red Bull funktionierenden Ideen kopieren und neu kombinieren würden.
Nun gehe es andersherum, sagt Waché – Red Bull will sich an den anderen orientieren, um die technischen Grenzen selbst weiter hinauszuschieben. Auch Verstappens Bestform hat paradoxerweise dazu beigetragen, dass die Probleme mit dem jetzigen Fahrzeug nicht gleich erkannt worden sind. «Ein so aussergewöhnlicher Fahrer filtert viele Probleme weg», sagt Waché.
Verstappen klagte jüngst, dass es für ihn momentan nur um Schadensbegrenzung gehe. Ihm hilft allerdings, dass sich angesichts der hohen Leistungsdichte seine Verfolger gegenseitig die Punkte wegnehmen. Aus der Verzweiflung heraus soll es am ersten Septemberwochenende in Monza zu einer ungewöhnlichen Kehrtwende kommen. Red Bull baut seinen Rennwagen zurück, mischt bewährte alte Komponenten mit neuen Teilen, damit das Auto ein Allrounder wird und nicht jene «Zicke» bleibt, die der Red-Bull-Berater Helmut Marko erkannt haben will.
Auch hinter den Kulissen finden Umbauarbeiten statt, der inzwischen bei Aston Martin hoch gehandelte Newey bleibt nicht der einzige Abgang. Das Red-Bull-Urgestein Jonathan Wheatley, zuletzt Teammanager, hat sich für ein grosszügigeres Salär und eine führende Rolle bei Sauber-Audi entschieden, wo er unter dem neuen Chef Mattia Binotto das operative Geschäft leiten wird. Nachbesetzt werden soll sein Job nun intern. Red Bull ist ein Rennstall auf der Suche nach dem besten Kompromiss.