Mit Aktien, Indexfonds und Sitzfleisch lässt sich ein Vermögen aufbauen. Professor Erwin Heri sagt, welche Regeln dabei zu beachten sind – und in welchen Rollen er für die Säule 3a und den Bitcoin sieht.
Das Jahr 2002 ist schon eine Weile her. Damals trat die Schweiz der Uno bei, ein 20-jähriger Gymnasiast namens Simon Ammann wurde in Salt Lake City Doppelolympiasieger im Skispringen, und die neue Fluggesellschaft Swiss nahm den Betrieb auf. Die Börse kämpfte damals mit den Folgen des New-Economy-Crashs und den Terroranschlägen in New York am 11. September 2001. Der Swiss-Market-Index (SMI) verlor 2002 rund 28 Prozent an Wert.
Inmitten dieses sehr schwierigen Börsenumfelds formulierte der Basler Finanzprofessor Erwin Heri in seinem Buch «Die acht Gebote der Geldanlage» einige Grundregeln für Privatinvestoren. Smartphones gab es damals genauso wenig wie die Digitalwährung Bitcoin, die Anlagemöglichkeiten in der Säule 3a waren bescheiden, und die Auswahl an Indexfonds und Exchange-Traded Funds (ETF) war deutlich kleiner als heute.
Auch wenn sich Sparern und Anlegern seitdem einige neue Möglichkeiten eröffnet haben, sind Heris Grundregeln im Wesentlichen heute noch gültig. Im Gespräch wirft der Finanzprofessor, der in der Zwischenzeit die Video-Ausbildungsplattform Fintool gegründet hat und viele Jahre in der Anlagepraxis tätig war, aus heutiger Sicht einen Blick auf seine acht Gebote der Geldanlage.
Erstes Gebot: «Investieren Sie»
Dieser erste Grundsatz gilt auch heute noch. Schweizerinnen und Schweizer lassen viel Geld auf ihren Bankkonten brachliegen. Laut der Schweizerischen Nationalbank (SNB) beträgt das Volumen von Bankeinlagen und Bargeldreserven von Privathaushalten bei Banken in der Schweiz 930 Milliarden Franken.
«Da wird einiges liegen gelassen. Über lange Jahre brachliegendes Geld bedeutet verpasste Chancen», sagt Heri. Er plädiert dafür, bewusst für das Alter zu sparen – am besten mit Aktien. Dabei verweist er auf eine Studie der Bank Pictet, laut der Aktien im Zeitraum 1926 bis 2023 einen durchschnittlichen Ertrag von 5,6 Prozent pro Jahr erzielt haben – und zwar nach Abzug der Inflation. Obligationen brachten im selben Zeitraum 2 Prozent pro Jahr.
Viele Schweizerinnen und Schweizer halten laut Heri eher wenig Aktien, auch wenn sie einen langen Anlagehorizont haben. Mit pauschalen Aussagen, die Leute legten zu wenig Geld in Aktien an, solle man trotzdem vorsichtig sein.
Schliesslich gehe es vor allem darum, Geld zielgerichtet anzulegen. Jeder habe finanzielle Verpflichtungen. «Will man beispielsweise in zwei Jahren eine neue Küche kaufen und hat 20 000 Franken zur Verfügung, so wird er mit diesen Geldern hoffentlich anders umgehen, als wenn man diese Verpflichtung nicht hätte», sagt Heri. Da das Geld in diesem Fall in zwei Jahren benötigt werde, seien Aktien aufgrund ihres hohen kurzfristigen Risikos nicht das Richtige.
Wenn man aber die kurzfristigen Verpflichtungen finanziell abgedeckt hat, bleiben nur noch langfristige Ziele übrig – und um diese zu erreichen, kann man relativ aggressiv investieren. Wenn dieselbe Person also mit den 20 000 Franken die Rente in 20 Jahren aufbessern will, ist es empfehlenswert, den grössten Teil in Aktien zu investieren.
Zweites Gebot: «Trachten Sie nicht nach kurzfristigem Gewinn»
«Gier ist ein schlechter Ratgeber», sagt Heri zu seinem zweiten Gebot. Rendite wird an der Börse vor allem mit Sitzfleisch erzielt. Der Finanzprofessor plädiert dafür, die Geldanlage strategisch zu betreiben. Lege man langfristig an und ziehe die Strategie durch, so arbeite die Zeit für den Anleger und unterstütze den Aufbau von Vermögen, sagt Heri.
Dies zeigt auch die Pictet-Studie: Laut dieser haben Investoren, die ihr ursprüngliches Engagement bei Schweizer Aktien mindestens 14 Jahre lang behalten haben, seit dem Jahr 1926 keinen Verlust auf ihren Anlagen erlitten.
Drittes Gebot: «Versuchen Sie nicht, den ‹richtigen Moment› zu erwischen – es gibt ihn nicht»
Viele Anleger träumen davon, Aktien dann zu kaufen, wenn die Kurse auf einem Tiefpunkt liegen, und sie wieder zu verkaufen, wenn sie einen Höchststand erreicht haben. Eine solche Strategie ist als «market timing» bekannt.
Heri rät Privatanlegern davon ab. Ein kurzfristiges Ein- und Aussteigen an der Börse schade im Normalfall der Rendite. Lege man mit Geduld, langfristig und diversifiziert an, so sei der Einstiegszeitpunkt für ein Aktienengagement hingegen fast ohne Bedeutung.
Als gut geeignet für den langfristigen Vermögensaufbau sieht Heri Sparpläne auf Anlagefonds oder ETF. In der Schweiz sei die Auswahl an solchen Plänen aber immer noch begrenzt und die Gebühren meistens zu hoch. Die besten Sparpläne in der Schweiz seien Säule-3a-Wertschriftenprodukte, die zu 100 Prozent in Aktien investierten, sagt Heri. Gerade für junge Leute seien sie sehr zu empfehlen, auch weil sie in vielen Fällen die Dividenden reinvestierten und steuerlich vorteilhaft seien.
Viertes Gebot: «Versuchen Sie nicht, den ‹richtigen Titel› zu finden – es gibt ihn nicht»
Dieses Gebot zielt darauf ab, dass man bei der Geldanlage die Risiken unbedingt streuen sollte. So hat ein Aktienportfolio, das nur aus wenigen Titeln besteht, höhere Anlagerisiken als ein breit diversifiziertes. Laut Heri werden diese Risiken im Allgemeinen nicht durch höhere Erträge belohnt.
Historisch gesehen habe man mit Aktien gegenüber Obligationen eine Risikoprämie von 2,5 bis 4 Prozent. Diese Risikoprämie gelte aber nur für diversifizierte Portfolios – das zeige auch die Wissenschaft. Die Risiken von Einzeltiteln zeigten sich etwa an den Aktien der Swissair oder der Credit Suisse, mit denen Anleger massive Verluste verbuchten.
«Ein echtes Problem» sind laut Heri in diesem Zusammenhang schlecht diversifizierte Schweizer Aktienindizes wie der SMI, bei dem die drei Titel Roche, Novartis und Nestlé zusammen auf ein Gewicht von mehr als 50 Prozent kommen. Anleger hätten hier übermässige Einzeltitelrisiken. Folglich solle man, wenn man im Schweizer Aktienmarkt investiere, mindestens zwei Indexfonds kaufen: einen auf den SMI oder den Swiss-Performance-Index (SPI) und einen, dem ein Index mit kleinen und mittelgrossen Unternehmen zugrunde liegt, zum Beispiel den SPI Extra.
Kein Problem sieht Heri, wenn Schweizer Anleger ein Übergewicht am heimischen Aktienmarkt haben. Erstens gebe es sehr gute Unternehmen in der Schweiz, welche selber grösstenteils international diversifiziert seien. Zudem habe man kein Währungsrisiko. In den vergangenen Jahren hat sich der Franken systematisch aufgewertet – eine Entwicklung, die sich laut Heri fortsetzen dürfte, weil die Schweiz traditionell tiefere Inflationsraten habe als andere Länder.
Das Währungsrisiko abzusichern, das man mit Anlagen im Ausland eingeht, kostet hingegen Rendite. Zwar heisse es oft, bei Aktien sei dies nicht nötig, sagt Heri. «Anleger sollten sich aber bewusst sein, dass es die Schwankungen im Portfolio deutlich erhöht, wenn es Währungsrisiken enthält.» Bei Engagements in ausländischen Märkten könne man oft auch die Quellensteuer nicht zurückfordern oder bekomme nur einen Teil davon zurück.
Bei der Aufteilung der Gelder auf verschiedene Anlageklassen wie Aktien, Obligationen, Immobilienanlagen oder Gold müssten derweil wieder die individuellen finanziellen Verpflichtungen des Anlegers berücksichtigt werden. Dies bedeute, dass man unter Umständen mehrere Depots habe: eines zum Beispiel für die geplante neue Küche, eines für den baldigen Ersatz des Autos, eines für die längerfristige Amortisation der Immobilie, eines für die zukünftige Rentenaufbesserung usw. Jedes dieser Depots habe dann eine unterschiedliche Mittelallokation, damit die Ziele nicht miteinander vermischt werden.
Fünftes Gebot: «Versuchen Sie nicht, mehr zu wissen als der Markt, denn der Markt weiss viel»
Laut Heri ist davon auszugehen, dass jeder Kurs an den Aktienmärkten die für seine Entwicklung relevanten und öffentlich zugänglichen Informationen bereits enthält. Somit weiss die Börse im Zweifelsfall mehr als Anlageberater, Banker oder Finanzjournalisten. Der Finanzprofessor ist generell skeptisch gegenüber «heissen Anlagetipps».
Folglich empfiehlt er Privatanlegern vor allem Indexfonds und ETF. Solche Anlageprodukte bilden die Entwicklung von Börsenindizes ab und gehen keine Wetten ein, dass sich bestimmte Titel besser entwickeln als andere. Zudem sind solche Produkte im Allgemeinen günstiger als aktiv verwaltete – und niedrige Gebühren sind für Heri beim langfristigen Vermögensaufbau mitentscheidend.
Für besonders geeignet hält der Finanzexperte Indexfonds oder ETF, welche die Dividenden oder Zinsen nicht an die Anleger ausschütten, sondern sie gleich wieder investieren. Im Fachjargon heisst dies «thesaurieren».
Sechstes Gebot: «Seien Sie diszipliniert»
Heri empfiehlt, selbst oder mit einem Berater die individuellen Verpflichtungsstrukturen sowie deren Anlagedauer festzulegen und anschliessend die Mittelallokationen zu definieren – also den Anteil des Vermögens, der zum Beispiel in Aktien und Aktienprodukte investiert werden kann. Entscheidend ist dann, an dieser Quote festzuhalten.
So kann der Zinseszinseffekt seine volle Wirkung entfalten. Dieser entsteht dadurch, dass die Erträge aus einer Anlage direkt wieder investiert werden und so wiederum Erträge generieren. Ein Hin und Her sowie viele Transaktionen verursachen zudem Kosten, welche die Nettorendite reduzieren.
Siebtes Gebot: «Haben Sie Spass, aber – strategy first»
«Nicht zuletzt sollte die Geldanlage auch Freude bereiten», findet Heri. Zwar sollte der Grossteil des Portfolios aus Indexprodukten bestehen, aber es gebe auch andere, exotischere Bereiche, die man für sich entdecken könne. Mit einem klar definierten – im Zweifelsfall eher kleineren – Teil des Portfolios könne man Wetten eingehen.
Heri schliesst hier die Welt der Digitalwährungen mit ein. In vielen der vergangenen Jahre hätten Anleger mit Bitcoin-Investitionen ausserordentlich gute Renditen erzielt – wenn auch in manchen Jahren katastrophal schlechte. Bitcoin-Käufe seien für ihn Spekulation. Ähnlich wie bei Gold beruhe die Entwicklung des Bitcoin-Preises auf Kursphantasie. Man wisse schliesslich nicht, was der fundamentale Wert des Bitcoins sei.
Achtes Gebot: «Trauen Sie keinem»
Für eine erfolgreiche Vermögensanlage braucht es laut Heri auch eine angemessene Portion Skepsis. An den Finanzmärkten wimmelt es von Anbietern, die übertrieben hohe Renditen oder garantierte Gewinne versprechen und einfach nur versuchen, vom fehlenden Finanz-Know-how der Leute zu profitieren. Es ist und bleibt eine Tatsache, dass sich höhere Renditen nur mit grösseren Risiken erzielen lassen – und gerade bei unseriösen Anbietern ist unter Umständen der Totalverlust nicht weit.
Auch bei Anlageberatern rät er zur Vorsicht. Viele seien gar keine Berater, sondern müssten Produkte verkaufen. Ein Teil des Geschäftsmodells der Banken ist laut Heri die Intransparenz. Dagegen helfe Anlegern nur, ihr Finanzwissen zu verbessern, um sich auf Augenhöhe mit den Beratern zu begeben. In den vergangenen Jahren habe auch der Markteintritt von günstigen Smartphone- und Neobanken die Situation verbessert.
Am Ende sei Geldanlage ganz einfach, sagt der Finanzprofessor. Wer diese Regeln aus dem Jahr 2002 befolge, sei auch heute noch auf einem guten Weg, sein Vermögen deutlich zu vergrössern. Dazu brauche es aber vor allem Geduld. «Anleger sollten folglich nicht auf irgendwelche Gurus hören und aufhören zu träumen.»