Ein internationales Team von Forschenden hat in 68 Ländern den Ruf von Wissenschaftern ausgewertet. Die Schweiz platziert sich im unteren Mittelfeld. Nun mehr Vertrauen in Forschung zu fordern, wäre falsch. Auch Wissenschaft braucht Skepsis.
Ereignisse brauchen oft nur Sekunden, um zu einer Nachricht zu werden, zu der jeder sofort eine Meinung hat. Streit und Diskussion sind Alltag. Gesellschaftliches Zusammenleben aber ist nur möglich, solange es Bereiche der Wirklichkeit gibt, die als unstrittig gelten. Indem sie Fakten erarbeitet, ist Wissenschaft das einzige Werkzeug, das eine kleinste gemeinsame Wirklichkeit garantiert. Das macht sie für einen sinnvollen Diskurs überlebenswichtig.
Umso wichtiger ist eine in den vergangenen Jahren häufig gestellte Frage: Steckt die Wissenschaft in einer Vertrauenskrise? In einer neuen Studie unter Leitung von Viktoria Cologna an der ETH Zürich und Niels G. Mede an der Universität Zürich, veröffentlicht in «Nature Human Behaviour», hat ein internationales Team von 241 Forschenden 71 922 Menschen in 68 Ländern innerhalb von zehn Monaten befragt. Dasselbe Befragungsinstitut, derselbe Fragebogen, eine vorangestellte Definition, was unter Wissenschaft zu verstehen sei. Zwar haben vergleichende Befragungen immer Schwächen, die vorliegende Studie aber hat sich um ein möglichst sicheres Fundament bemüht.
Vertrauenskrise? «Nein», heisst es von den Autoren. Zwar gibt es keinen globalen Vergleich zum Stand vor der Pandemie, heute aber sei das Vertrauen in Wissenschaft insgesamt moderat hoch: Etwa drei Viertel der Befragten haben Vertrauen in die Fähigkeiten von Wissenschaftern, 57 Prozent halten sie für ehrlich. Die Schweiz besetzt einen Platz im unteren Mittelfeld, knapp hinter dem Nachbarn Deutschland und hinter Ländern Skandinaviens und Afrikas.
Mittelfeld, das reicht nicht – weil Vertrauen in Wissenschaft wichtig ist, braucht es Verbesserung. Die Zahlen lassen sich so lesen. Aber diese Interpretation wäre falsch.
Man muss kein Fan von Science-Fiction sein, um sich eine Welt vorzustellen, in der Wissenschaft als höchste Instanz der Glaubwürdigkeit zur Dystopie gerät. Schon während der Corona-Pandemie wurde Skepsis zum Schimpfwort. Politik begründete Entscheide mit Ergebnissen «der Wissenschaft» und schuf damit eine Situation, in der Kritik oder Widerspruch oft gleichgesetzt wurden mit dem Verlust jeder Vernunft oder gar des Verstands. Eine solche Tendenz untergräbt das Wesen von Wissenschaft: Sie muss irren und Irrtum zugeben, um Raum für Erkenntnisse zu schaffen. Und um Irrtümer zu entdecken, braucht es ein Mindestmass an Skepsis.
Das ist es, was die Philosophin Hannah Arendt meint, wenn sie schreibt, die «lebendige Menschlichkeit» nehme in gleichem Masse ab, in dem man auf eigenständiges Denken verzichte. Wissenschaft braucht kein blindes Vertrauen, sondern mündige Auseinandersetzung.
Eine solche gelingt nur, wenn man Prozesse der Wissenschaft zumindest den Grundlagen nach versteht. Auch dazu findet sich eine Zahl in der Studie: 83 Prozent der Befragten wünschen sich Forschende, die mehr mit der breiten Öffentlichkeit kommunizieren.
Nun liegt darin auch Gefahr: Ein Forscher bleibt ein Mensch mit einer Meinung. Wer als Vertreter «der Wissenschaft» die Bühne sucht, gerät in Versuchung, objektives Wissen und subjektive Meinung zu vermengen. Ein Wissenschafter wird so vom neutralen Informanten zum Spieler auf dem politischen Parkett. Eine weitere Figur, die versucht, eigene Überzeugungen durchzusetzen. Das schadet der Glaubwürdigkeit.
Daher fordern manche Forscher, Wissenschaft müsse gesellschaftlich unsichtbar bleiben. Das ist Unsinn. Wer unsichtbar bleiben will, fordert religiöses Vertrauen. Nur wer sich Sichtbarkeit zumutet, muss sein Vorgehen erklären.
Aufgabe der Wissenschaft ist es, Fakten zu erarbeiten. Aufgabe der Bürger ist es, diese Fakten zu interpretieren, um bei Debatten vernünftige Positionen zu finden. Dafür braucht es nicht mehr Vertrauen, sondern mehr Einblicke in den Maschinenraum der Forschung. Mehr Transparenz. Mehr Kommunikation. Mehr Aufklärung.