Ein ehemaliger Finanzchef von Stadtwerk Winterthur ist der Urkundenfälschung im Amt schuldig gesprochen worden. Laut Obergericht ging es bei falschen Buchungen nicht um eine Ermessensfrage, sondern «um eine eigentliche Vertuschung».
Ein heute 58-jähriger, ehemaliger Finanzchef von Stadtwerk Winterthur ist mit seiner Berufung am Zürcher Obergericht gescheitert. Wie die Vorinstanz kommen die Oberrichter zum Schluss, dass der Finanzchef im Jahr 2016 gültige Bestimmungen missachtete und bewusst falsche Buchungen vornahm. Es sei offenkundig, dass «getrickst» worden sei, um eine Forderung zu verschleiern, sagte der vorsitzende Richter in der mündlichen Urteilseröffnung wörtlich.
Es gehe nicht um eine Ermessensfrage, sondern um eine eigentliche Vertuschung. Entgegen den Ausführungen der Verteidigung habe die entsprechende Bereichsbuchhaltung Urkundenqualität. Das Verhalten des Beschuldigten habe zur Folge gehabt, dass in der Jahresrechnung ein Sachverhalt wiedergegeben worden sei, «der mit der tatsächlichen wirtschaftlichen Lage nichts zu tun hatte».
Der Ex-Finanzchef ist wie vor Vorinstanz wegen Urkundenfälschung im Amt zu einer bedingten Geldstrafe von 120 Tagessätzen à 200 Franken (24 000 Franken) bei einer Probezeit von zwei Jahren verurteilt worden. Im April 2022 war er zusammen mit dem früheren Direktor von Stadtwerk Winterthur vor dem Bezirksgericht Winterthur gestanden.
Der ehemalige Direktor hatte eine bedingte Geldstrafe von 180 Tagessätzen à 120 Franken erhalten. Er zog aber seine Berufung zurück, wie er im April 2023 mitteilen liess, «um das persönlich und gesundheitlich belastende Verfahren nicht noch weiter in die Länge zu ziehen». Seine Verurteilung ist damit bereits rechtskräftig.
Der Ex-Finanzchef ist sich keiner Schuld bewusst
Der 58-jährige ehemalige Finanzchef zog hingegen vor Obergericht. Im Gerichtssaal macht er aber trotzdem keine Aussagen mehr zur Sache. Er wollte sich sogar vom Prozess dispensieren lassen. Sein Gesuch wurde aber von den Richtern abgelehnt. Er habe schon viele Aussagen gemacht, erklärt er im Saal. Er sei jetzt müde, es sei schon lange her, und er wolle nichts «aus halber Erinnerung heraus» sagen.
Der Mann ist heute wieder zu 100 Prozent arbeitstätig. Das Strafverfahren habe keine Konsequenzen für seine jetzige Arbeit, sagt er. Seine Auftraggeber seien darüber informiert. Er lacht sogar und meint, das Verfahren sei halt ein Einschnitt, eine Erfahrung in seiner Laufbahn gewesen. Im Schlusswort erklärt er dann, er betrachte die Sache «aus Sicht des Praktikers». Sein Vorgehen sei «legitim und üblich» gewesen.
Persönlich sei er der Meinung, moralisch keinen schwerwiegenden Fehler begangen zu haben. Die Frage sei, ob danach «das Orchester richtig gespielt» habe, und meint damit eine angebliche Verantwortung von nachgelagerten Kontrollstellen. Mit seiner erneuten Verurteilung ist allerdings auch für das Obergericht erwiesen, dass der Beschuldigte offene Forderungen gegenüber der Wärme Frauenfeld AG (WFAG) absichtlich falsch verbucht hatte, um Ausstände zu verheimlichen.
Lange Vorgeschichte
Die Wärmering-Affäre trieb Winterthur lange um und hatte auch politische Folgen: 2012 war der Plan entstanden, in Frauenfeld mit Abwärme aus Abwasser ganze Quartiere klimaschonend zu heizen. Um dieses Projekt umzusetzen, hatten drei Partnerfirmen ein gemeinsames Unternehmen gegründet: die Wärme Frauenfeld AG (WFAG). Eine der drei Firmen war Stadtwerk Winterthur. Das öffentlichrechtliche Unternehmen investierte 200 000 Franken und erhielt dafür rund einen Drittel von WFAG.
Weil sich weniger Nutzer als erwartet an das Fernwärmenetz anschlossen, wurde die Firma aber bald zu einem Sanierungsfall. Gemäss der Anklage entschieden sich die ursprünglich zwei Beschuldigten dazu, eine Wertberichtigung der offenen Forderungen gegenüber der WFAG in der Höhe von 2,4 Millionen Franken den Rechnungslegungsvorschriften widersprechend zu verbuchen, um die offenen Forderungen zu verheimlichen.
Die Affäre sorgte in Winterthur für ein kleines Erdbeben: Der Stadtrat veranlasste eine Administrativuntersuchung, die zum Schluss kam, dass es bei Stadtwerk erhebliche Kompetenzüberschreitungen und Pflichtverletzungen gegeben habe. Der zuständige Stadtrat Matthias Gfeller (Grüne) musste 2016 die Verantwortung für Stadtwerk abgeben, wenig später trat er zurück. Der Direktor und der Finanzchef von Stadtwerk wurden 2016 entlassen.
Die WFAG selbst gibt es nicht mehr. 2017 beschloss die Stadt Frauenfeld, die Firma in ihre städtischen Werke zu integrieren. Die Winterthurer Stadtkasse verbuchte einen Schaden im siebenstelligen Bereich: Forderungen im Umfang von 1,4 Millionen Franken blieben ungedeckt; das Kapital von 200 000 Franken wurde abgeschrieben.
Verräterische Formulierungen in E-Mails
Die Verteidigerin des ehemaligen Finanzchefs verlangte am Obergericht einen vollumfänglichen Freispruch. Sie stellte sich auf den Standpunkt, der Beschuldigte habe die Wertberichtigung stets offen kommuniziert. Es sei Sache der Finanzkontrolle gewesen, diese zu überprüfen. Es liege gar keine falsche Buchung vor. Zudem habe es sich lediglich um ein verwaltungsinternes Arbeitspapier und nicht um eine Urkunde im Rechtssinn gehandelt.
Der Staatsanwalt beantragte die Bestätigung der Vorinstanz. Der Beschuldigte habe bewusst und gewollt eine relativ gravierende Fehlleistung in einem kritischen Bereich begangen. Er habe Zahlungen taktisch verschleiert. Der Beschuldigte sei für die Buchung verantwortlich gewesen und habe sie veranlasst.
Der Staatsanwalt zitierte aus einer internen E-Mail des Beschuldigten, in der dieser selber schrieb, «aus ergebnistaktischen Gründen» seien die Kosten in der Buchung verteilt worden. Mit genau dieser Formulierung begründet der vorsitzende Richter in der mündlichen Urteilseröffnung dann auch, das Obergericht habe keine Zweifel daran, dass der Beschuldigte auch den subjektiven Tatbestand erfüllt habe; die wahren Umstände also bewusst verschleiert habe.
Urteil SB230102 vom 22. 2. 2024, noch nicht rechtskräftig.