Alle führenden Stimmrechtsberater unterstützen den Aktionärsantrag, die Stimmrechtsbeschränkung aufzuheben. Eine Mehrheit scheint wahrscheinlich – ebenso ein Gesichtsverlust für den Verwaltungsrat.
Geschätzte Leserin, geschätzter Leser
Am Freitag stimmen die Aktionärinnen und Aktionäre der Baloise an der Generalversammlung darüber ab, ob ihre Stimmkraft weiterhin beschränkt werden soll, oder ob sie sich mit dem vollen Gewicht ihres Kapitaleinsatzes einbringen dürfen: «One Share, One Vote».
Die Statuten der Baloise sehen nämlich vor, dass die Stimmkraft eines Einzelaktionärs – also auch eines Fonds, in den unabhängig voneinander viele einzelne Personen investiert sein können – auf maximal 2% beschränkt ist.
Diese sogenannte Vinkulierung ist gut geschützt: Um sie zu ändern, müssen mindestens 75% der an der GV anwesenden Stimmen dafür stimmen. Eine solch hohe Hürde für Veränderungen ist in der Schweiz bei kotierten Unternehmen wohl einzigartig.
Vorstoss von zCapital
Zur Abstimmung kommt es, weil ein Vermögensverwalter aus Zug, zCapital, einen Antrag auf Aufhebung der Eintragungs- und Stimmrechtsbeschränkung eingereicht hat. Ebenso will er die Hürde des qualifizierten Mehrs zur Statutenveränderung von 75% auf zwei Drittel senken.
Macht eigentlich Sinn, oder? «One Share, One Vote».
Nichts da, findet der Verwaltungsrat von Baloise. Er weist den Vorstoss zurück, mitunter mit der Begründung: «Eintragungs- und Stimmrechtsbeschränkungen vermindern das Risiko, dass einige wenige Aktionäre die Generalversammlung mit kurzfristig orientierten Eigeninteressen dominieren und die langfristigen Wertschöpfungs- und Unternehmensinteressen verdrängen.» Gerade in der Versicherungsbranche, die Verantwortung über Generationen hinweg wahrnehme, sei das entscheidend.
Die Konklusion des Verwaltungsrates lautet deshalb: «Die von zCapital vorgeschlagene vollständige und ersatzlose Aufhebung der Eintragungs- und Stimmrechtsbeschränkung ist nicht im langfristigen Interesse von Baloise und der Mehrheit unserer Aktionäre.»
Ganz anderer Meinung wiederum sind die Stimmrechtsberater. Sie sind Spezialisten für Corporate Governance und unterstützen institutionelle Anleger bei ihren Abstimmungsentscheidung.
Stimmrechtsberater für Veränderung
Alle führenden Stimmrechtsberater – ISS und Glass Lewis, aus den USA sowie aus der Schweiz Ethos und Inrate – empfehlen ihren Kunden, sich gegen den Verwaltungsrat zu stellen, für den Antrag von zCapital zu stimmen und die Stimmrechtsbeschränkung abzuschaffen.
Das dürfte für den Verwaltungsrat von Baloise dicke Post sein. Denn institutionelle Anleger folgen in der Regel den Empfehlungen ihrer Stimmrechtsberater. Genau dafür bezahlen sie sie ja. Oder andersherum: Wenn sie von deren Stimmempfehlungen abweichen, müssen sie das in Berichten dokumentieren und begründen, zumindest für interne Zwecke, aber zusehends auch öffentlich.
Als Beispiel sei hier die Kalifornische Pensionskasse Calpers erwähnt, die ihr Stimmverhalten – in Einklang mit der Empfehlung von Glass Lewis, gegen den Verwaltungsrat und für die Aufhebung der Vinkulierung zu stimmen – bereits öffentlich gemacht hat.
Bezüglich dem Abstimmungsverhalten von institutionellen Aktionären wird immer mehr Transparenz gefordert – nicht nur bezüglich ihrem Verhalten gegenüber Nachhaltigkeitsthemen, sondern auch Punkto Governance. Und wie soll ein Fondsmanager begründen, dass die Beschränkung der eigenen Stimmkraft in seinem Interesse und dem seiner Kunden ist, deren Geld er treuhänderisch verwaltet?
Kurzum: Praktisch alle institutionellen Investoren werden für die Abschaffung der Vinkulierung stimmen.
Zu den grössten Aktionären von Baloise zählen BlackRock (>7%), UBS (~5%) und der norwegische Staatsfonds (>3%). Sie alle üben ihre Aktionärsrechte regelmässig aus. Bei Baloise wird ihre Stimmkraft aber auf maximal 2% beschränkt.
Mehrheit wahrscheinlich
Insgesamt zählt Baloise gemäss eigenen Angaben rund 34’000 eingetragene Aktionäre, darunter viele Kleinanleger. Nur knapp 50% der Stimmen nahmen im Schnitt der vergangenen fünf Jahre jedoch auch ihre Aktionärsrechte wahr.
Diese Ausgangslage sowie Rückmeldungen aus dem Markt, dass fast alle institutionellen Anleger für die Abschaffung der Vinkulierung stimmen dürften, macht es hoch wahrscheinlich, dass das Traktandum bei den an der GV vertretenen Stimmen eine einfache Mehrheit finden wird.
Möglich ist gar eine Zweidrittelmehrheit, was der gängigen Hürde für Statutenänderungen entsprechen würde. Wenig wahrscheinlich indessen ist, dass sich gar die im Fall von Baloise erforderlichen 75% dafür aussprechen, die Stimmrechtsbeschränkung tatsächlich abzuschaffen.
Doch wenn nur schon die Mehrheit der Aktionärsstimmen gegen den Verwaltungsrat stimmt, offenbart das eine Spaltung zwischen ihm und dem Aktionariat und wird den Verwaltungsrat in Erklärungsnot bringen. Begründet hat er seine ablehnende Haltung ja mitunter damit, dass «[die] Aufhebung der Eintragungs- und Stimmrechtsbeschränkung nicht im langfristigen Interesse von Baloise und der Mehrheit unserer Aktionäre ist.»
Ist es das wirklich?
Baloise bleibt zurück
Im Schutz der Stimmrechtsbeschränkung verspürte der Verwaltungsrat und das Management bislang kaum Druck, die Leistung zu erhöhen: Der Einfluss starker Aktionäre ist beschnitten und eine Übernahme gleichzeitig deutlich erschwert.
Offensichtlicher Ausdruck für die operative Leistungsschwäche ist die Kursentwicklung. Die Aktien von Baloise hinkten in den vergangenen zwei Jahren deutlich hinter anderen aus der Branche hinterher.
Der neue Baloise-CEO Michael Müller ist nun daran, gewisse Mängel zu beheben. Beispielsweise soll das Abenteuer mit Investitionen in digitale Plattformen gestoppt werden. Seit 2017 waren in solche Angebote jährlich im Schnitt 50 Mio. Fr. investiert worden mit dem Ziel, damit einen Wert von 1 Mrd. Fr. zu schaffen. Das erwies sich als illusorisch. 2023 erzielten die Plattformen gerade mal 116 Mio. Fr. Umsatz. Nun sollen Neuinvestitionen auf das Kerngeschäft des Versicherers fokussiert werden.
Doch der Konzern scheint insgesamt etwas in Schieflage geraten zu sein: 2022 verteilte sich das Prämienvolumen in etwa hälftig auf die Schweiz und das Auslandgeschäft in Belgien, Deutschland und Luxemburg. Mehr als drei Viertel des Betriebsgewinns lieferte jedoch die Schweiz.
2023 stand das Prämienvolumen praktisch unverändert. Wegen Grossschäden schrumpfte jedoch der Betriebsgewinn aus der Schweiz. Dennoch: das Schweizer Geschäft steuerte gleichwohl einen Anteil von 72% an die Cash-Generierung der Holding bei, aus dem die Dividende alimentiert wird.
Gradmesser Eigenkapitalrendite
Da sich das Prämienvolumen und damit die Verpflichtungen des Versicherers rund hälftig auf die Schweiz und das Auslandgeschäft aufteilen, dürfte dieses Verhältnis in etwa auch für die Kapitalallokation gelten. Heisst: Rund die Hälfte des Kapitals ist bei Baloise in Geschäft gebunden, das wenig profitabel ist.
Die Rendite auf dem Eigenkapital ist bei Versicherern die zentrale Kenngrösse, die Investoren zur Bewertung der Aktien hinzuziehen – und ihre Entwicklung zeigt seit Jahren in die falsche Richtung.
Vor zehn Jahren hatte Baloise mit einer Eigenkapitalrendite von mehr als 10% noch eine Spitzenposition unter den Schweizer Versicherern inne. Seither hat sie an Rentabilität eingebüsst. Die Konkurrentin Helvetia hat sie in etwa gehalten, und Zurich Insurance dank Grössenvorteilen an Kapitaleffizienz zugelegt.
Angesichts dieses Bildes kann ich nur wiederholen: Statt, dass sich die Führung weiterhin dem Druck der Aktionäre entzieht, sollte sie ihnen ein Mitspracherecht gewähren, indem sich die Investoren mit voller Stimmkraft einbringen können.
Ich bin überzeugt, das würde den Strategiediskurs auf allen Seiten dynamisieren: Das Management würde verstärkt dem Wettbewerb ausgesetzt – und die Aktionäre würden, statt durch die Stimmrechtsbeschränkung entmündigt zu werden, stärker in der Verantwortung stehen.
Was, wenn auch eine Mehrheit der Aktionäre das so sieht?
Baloise schreibt auf Anfrage dazu: «Der Verwaltungsrat nimmt seine Verantwortung wahr, indem er die Interessen des Unternehmens und aller Stakeholder vertritt, nicht nur die der Aktionäre. Entsprechend berücksichtigt er die Bedürfnisse all dieser Stakeholder, weshalb er auch den Vorschlag vorgebracht hat, an der Generalversammlung 2025 eigene Statutenanpassungen vorzulegen.» Es liege aber in der Verantwortung der Aktionäre darüber zu entscheiden, ob die Eintragungs- und Stimmrechtsbeschränkung beibehalten oder abgeschafft werde.
Ok – sollte es an dieser GV noch nicht klappen, dann aber bitte mit einem vernünftigen und zeitgemässen Vorschlag an der nächsten.
Freundlich grüsst im Namen von Mr Market
Ruedi Keller