Kaum jemand hat auf dem Theater die Wirklichkeit, die Phrase so hartnäckig demaskiert wie René Pollesch. Seine Bühnenproduktionen waren eine Feier des prallen Lebens.
Es ist eine traurige Pointe, dass sein letztes Stück, das gerade an der Berliner Volksbühne Premiere hatte, «ja nichts ist ok» heisst. Denn nichts daran kann o. k. sein, dass der Autor, Intendant und Regisseur René Pollesch am Montag im Alter von nur 61 Jahren gestorben ist. Der Titel klingt nun wie der letzte Gruss eines genialen Theatermachers, ein melancholisches Vermächtnis.
Dabei glänzte doch der Tod in den über zweihundert Stücken, die Pollesch schrieb und selber inszenierte, stets durch listige Abwesenheit. Es war das pralle Leben, das hier gefeiert wurde. Und es hatte immer weitergehen müssen, von Stück zu Stück, damit man sich an ihm reiben, es blossstellen konnte. Um über die Endlichkeit mit verzweifeltem Witz hinwegzureden, was der Wortschatz hergab.
Grösste Lust an Verwirrung und Verirrung
Kaum jemand hat auf dem Theater die Wirklichkeit, die Phrase so hartnäckig unausweichlich demaskiert wie René Pollesch. Er hat die rote Linie zwischen Philosophie und Klamauk gekannt und sie stets mit grösster Lust an Verwirrung und Verirrung überschritten. Pollesch-Abende waren eine Vorschule in Sachen Gegenwartsanalyse, die sich aufführten wie Stammtischrunden.
Am Bühnenrand hockten die Schauspieler, rauchten Kette und schlugen sich ihr Wissen um die Unbewohnbarkeit der Welt um die Ohren; im Bühnenrund landeten wuchtige Kulissen, die die Spieler klein und hilflos aussehen liessen, wenn sie da mit den Tücken der Objekte und Obsessionen zu kämpfen hatten. Pollesch lieferte ihnen gnadenlos die Stichworte in Sachen Kapitalismuskritik, Genderwahnsinn oder Poststrukturalismus und kam doch mit der Leichtigkeit des herabfallenden Holzhammers auf den Punkt: «Die wenigsten Menschen sind für das 21. Jahrhundert geeignet.»
René Pollesch wurde 1962 im hessischen Friedberg als Sohn eines Hausmeisters und Maschinenschlossers geboren. Diese Herkunft von unten war für den Mann und die Inhalte seiner Arbeiten wichtig: Er musste nicht kokettieren mit der proletarischen Bodenständigkeit, er kannte sie. Und studierte dann trotzdem; seine Lehrer waren Heiner Müller und George Tabori, seinen unverkennbaren Stil kreierte er abseits der grossen Meister. Seither hat er an allen bedeutenden deutschsprachigen Häusern gearbeitet. Seine Heimat fand er schliesslich in der alten Volksbühne unter Frank Castorf.
Er beerbte Castorf nach unschönem Nachfolge-Hickhack im Jahr 2021. Man war überzeugt, dass mit Pollesch der Anschluss an legendäre revolutionäre Zeiten in dem Riesentanker am Rosa-Luxemburg-Platz gelingt. Allein, der neue Intendant war etwas glücklos in der Führungsrolle, die zu ihm, dem solitären Schreibtisch- und Bühnenarbeiter, nicht so recht passen wollte.
Eine traditionelle Volksbühnen-Handschrift sah man naturgemäss nur, wenn René Pollesch wieder seine eigenen Stücke auf die Bühne brachte. Im Übrigen dümpelte das Theater unter ihm in eher seichtem Gewässer, abgesehen von ein paar enormen Rennern, die aber mehr die Lust an Belustigung und Event befriedigten.
Zum Niederknien verschwurbelt
Für den beinharten Diskurs mit komischer Seelenanalyse sorgte allein René Pollesch, der in bewundernswürdiger Regelmässigkeit und mit den besten Schauspielern zuverlässig zum Sturm auf den ganz normalen Wahnsinn ansetzte. Das war hinreissend ätzend und heiter und zum Niederknien verschwurbelt in seiner Geisteslastigkeit, bisweilen auch redundant, da es feststeckte in der Wiederholungsschleife. Der neue Pollesch war da manchmal irgendwie nur der alte mit umgestellten Satzfetzen und grollendem Hirngewitter.
Und trotzdem oder gerade darum hat man gelacht und sich nur ein bisschen geschämt, dass man wieder auf seine Theatertricks hereingefallen ist. Viel zu früh, als vollendet Unvollendeter, ist René Pollesch gestorben. Dem Theater wird er fehlen.