International ist der Trend eindeutig. Die staatliche Unterstützung einzelner Firmen und Branchen ist salonfähig geworden. Auch in der Schweiz gibt es Sündenfälle.
«Aber, Leute, wo steht geschrieben, dass Amerika in der Industrieproduktion nicht wieder an die Weltspitze kommen kann?» Der amerikanische Präsident Joe Biden war bester Stimmung, als er im Dezember 2022 die geplante neue Halbleiterfabrik des taiwanischen Herstellers TSMC in Arizona besuchte. Die Fabrik ist ein Kernstück des Programms der Regierung unter Biden, mit öffentlichen Beihilfen in Milliardenhöhe die Halbleiterindustrie in den USA zu reanimieren.
Washington belässt es aber nicht bei den Halbleitern, auch über grüne Technologien wird ein Füllhorn an Subventionen geschüttet. Die USA waren für lange Zeit eher skeptisch gegenüber grossen Staatsprogrammen. Diese Zeiten sind vorbei, vielmehr sind die Vereinigten Staaten zu einem Treiber für das Comeback der Industriepolitik in den entwickelten Ländern geworden. Früher war dies vor allem die Domäne der Entwicklungs- und Schwellenländer.
Der Subventionswettlauf hat begonnen
Brüssel hat bereits eigene Programme aufgegleist, um nicht in ein vermeintliches Hintertreffen gegenüber den Amerikanern zu gelangen. Auch Länder wie Japan, Kanada, das Vereinigte Königreich und andere erwägen neue Subventionen. In China sind direkte staatliche Stützungen von Unternehmen und Branchen ohnehin Teil der Wirtschaftspolitik.
Diesen Trend kann man in einer Datenbank des St. Galler Professors Simon Evenett und von Mitautoren ablesen: Seit Mitte der 2021er Jahre ist ein Anstieg von Zollschranken und Beihilfen weltweit zu beobachten. Rund die Hälfte aller Eingriffe sind dabei Subventionen.
Und auch die Schweiz bleibt nicht von der Diskussion um eine Industriepolitik verschont. So reichte der Nationalrat Damien Cottier (FDP) ein Postulat mit der Frage nach einer Schweizer Halbleiter-Strategie ein, die zwei grossen Stahlhersteller des Landes suchen Hilfe vom Staat, und der Schweizer Solarpanel-Hersteller Meyer Burger will Deutschland mit den USA ausspielen, um an Fördergelder zu kommen.
Gescheiterte Alleingänge
Wie soll sich die Schweiz nun verhalten? Diese Frage stellten sich Ökonomen der Denkfabrik Avenir Suisse, und sie kommen zu einem eindeutigen Ergebnis: «Jegliche Nachahmung ist zu unterlassen.» Die Welt hat sich jedoch in den vergangenen Jahren gewandelt, sicherheitspolitische und strategische Überlegungen haben auf Kosten einer rein wirtschaftlichen Betrachtung überhandgenommen.
Warum Industriepolitik derzeit so en vogue ist, lässt sich laut Avenir Suisse auf drei Punkte zurückführen:
- Erstens haben Fragen zur nationalen Sicherheit und zur Versorgungssicherheit zugenommen.
- Zweitens bringt das Ringen der Grossmächte USA und China mit sich, dass als strategisch definierte Branchen wie jene von Halbleitern oder auch Elektrofahrzeugen subventioniert werden, um deren Wettbewerbsfähigkeit im eigenen Land zu erhöhen.
- Drittens werden die Massnahmen im Kampf gegen den Klimawandel eingesetzt.
Industriepolitik sind gezielte staatliche Eingriffe. Sie zielen darauf ab, bestimmte inländische Firmen, Branchen oder wirtschaftliche Aktivitäten zu unterstützen, um ein nationales Ziel zu erreichen. Probleme damit gibt es genug: Die Subventionen Einzelner gehen dabei auf Kosten vieler.
Manche Branchen oder Firmen sind besser darin, sich über die Politik Unterstützung zu organisieren, als andere. Die anderen Wirtschaftszweige, Steuerzahler und Konsumentinnen werden dadurch aber belastet. Häufig werden Unternehmen am Leben erhalten, die ohne Hilfe am Markt nicht mehr bestehen könnten.
Die Politik müsste also erkennen, welche Wirtschaftszweige tatsächlich einen Mehrwert bringen könnten. Die Geschichte der Industriepolitik ist jedoch voll von angemasstem Wissen und Industrieruinen. Die Autoren von Avenir Suisse erinnern an technologische Alleingänge der Schweiz in den 1960er bis 1980er Jahren: Der Bau des Versuchsreaktors Lucens zur Entwicklung einer eigenen Reaktortechnik und die Digitalisierung des Fernmeldenetzes endeten im Katzenjammer.
Wieso wird aber auch die Industriepolitik in der Schweiz wieder attraktiv? «Vielleicht liegt es daran, dass die negativen Beispiele zu lange zurückliegen», sagt Reto Föllmi, Ökonom an der Universität St. Gallen. Sicherlich verändert hat sich das internationale Umfeld, auch Krisen haben dazu beigetragen. So können auch die Rettungsschirme für die Stromkonzerne und die implizite Staatsgarantie für die UBS als Industriepolitik verstanden werden. Von der Landwirtschaft ganz zu schweigen.
«Lange Zeit hiess es in der Schweiz: Industriepolitik ist verpönt. Mit dieser Aussage hat man sich auch vor sich selbst geschützt», gibt Lukas Schmid von Avenir Suisse zu bedenken. Es seien nicht nur Sonntagsreden gewesen, beim Argument des Schutzes von Arbeitsplätzen seien aber auch bürgerliche Parteien in früheren Jahren schwach geworden, sagt Schmid.
Wenn sich die Schleusen öffnen
Wenn andere Staaten vermehrt eingreifen, ist das Argument der «gleich langen Spiesse» nicht weit weg: Weil es die anderen machen, muss man es auch machen. Bisher ist die Schweiz gut gefahren, sich nicht dem Strukturwandel entgegenzustemmen. Die heissesten Diskussionen drehten sich häufig darum, ob die Schweizerische Nationalbank am Wechselkurs drehen soll. Der Anteil des Industriesektors an der Wirtschaftsleistung ist auf alle Fälle vergleichsweise hoch. In Frankreich, dem Hort der Industriepolitik, ist der Wert nur halb so gross.
Die Schweiz investiert zwar nicht in Schlüsseltechnologien, die Avenir-Suisse-Autoren monieren aber, es gebe problematische Entwicklungen, die auf eine Förderung ausgewählter Industriebranchen hinausliefen. So sind energieintensive Unternehmen von der CO2-Abgabe befreit. Diese Regelung soll sogar auf alle Unternehmen mit einem bestimmten Energieverbrauch übertragen werden. Statt einer vorausschauenden Energiepolitik wird vielmehr ein industriepolitisches Pflaster geboten. Zudem stehen die Förderungen im Zielkonflikt mit der Klimapolitik.
Dem Argument, Industriepolitik im Rahmen der nationalen Sicherheit zu betreiben, kann der Ökonom Föllmi wenig abgewinnen: «Nationale Sicherheit ist eine Ausnahme innerhalb der Regeln der Welthandelsorganisation für Protektionismus. Eine Volkswirtschaft wie die Schweiz ist aber gut beraten, die Handelswege möglichst offen zu halten.» Als eine bessere Art, Versorgungsprobleme zu beheben, werden Pflichtlager für wichtige Güter genannt, wie sie bereits in der Schweiz genutzt werden.
Wenn, dann Grundlagenforschung
Bei der Frage, ob Industriepolitik unter bestimmten Umständen nicht doch sinnvoll sei, winden sich die Experten. Und wenn die Gefahr bestehe, ganze Branchen wie etwa die Pharma zu verlieren, weil andere Länder eingriffen, könne Industriepolitik politisch unumgänglich werden, heisst es von Avenir Suisse. Wenn die Gefahr bestehe, Produktivitätstreiber wie die Pharmabranche zu verlieren, weil andere Länder eingriffen, könne dies möglich sein, heisst es von Avenir Suisse. Welche Massnahmen dabei aber nützlich sind, steht auf einem anderen Blatt.
Und übrigens: dass Industriepolitik schnell mit Ankündigungen, aber langsam mit Ergebnissen ist, zeigt auch das amerikanische Beispiel. Der Bau der Halbleiterfabrik in Arizona verzögert sich bereits zum zweiten Mal.