Aus der Sowjetunion versuchte Swetlana Allilujewa in die USA zu fliehen. Doch zunächst landete sie in Freiburg. Ein Film dokumentiert ihren sechswöchigen Aufenthalt in der Schweiz.
Stalin war ein blutiger Tyrann, auf dessen Konto der Tod von zwanzig Millionen Menschen geht. Sechs Millionen wurden als vermeintliche oder tatsächliche Staatsfeinde ermordet. Bei den übrigen Toten handelt es sich um Opfer menschenverachtender Entscheidungen des sowjetischen Diktators. Die Kollektivierung der Landwirtschaft führte zu verheerenden Hungersnöten, die kommunistische Gesellschaftsordnung konnte sich nur mit grausamen Straflagern behaupten, die Nationalitätenpolitik wurde mit verlustreichen Massendeportationen durchgesetzt.
Während Stalins Verbrechen ganze Bände füllen, kann man sein prekäres Privatleben in wenigen Worten zusammenfassen. Er hatte verschiedene Affären und war zweimal verheiratet. Um seine Kinder kümmerte er sich nicht. Er weigerte sich sogar, seinen ältesten Sohn aus deutscher Kriegsgefangenschaft zu befreien, und lieferte ihn so dem sicheren Tod aus.
Unbändiger Freiheitsdrang
Stalins einzige Tochter Swetlana wurde 1926 geboren und von Kindermädchen erzogen. Sie sah ihre Eltern kaum. Ihre Mutter beging Selbstmord, als Swetlana sechs Jahre alt war. Swetlana wuchs in einem goldenen Käfig auf, immer überwacht von Geheimdienstlern und umgeben von einer Armee von Bediensteten. Sie gehörte der neuen sowjetischen Aristokratie an, war aber gleichzeitig von einem unbändigen Freiheitsdrang beseelt.
1967 stellte sie als bereits zweifache Mutter für sich allein einen Asylantrag in der amerikanischen Botschaft in Indien. Die USA allerdings wollten die laufende Aushandlung eines Atomwaffensperrvertrags mit der Sowjetunion nicht gefährden und suchten nach einer verborgenen Aufenthaltsmöglichkeit für die prominente Überläuferin. In der Schweiz wurden sie fündig. Sechs Wochen lang versteckte sich Swetlana Allilujewa in Freiburg vor neugierigen Journalisten und rachsüchtigen KGB-Agenten.
Der Schweizer Regisseur Gabriel Tejedor hat nun einen sehenswerten Dokumentarfilm über diese bizarre Episode im Leben von Stalins Tochter gedreht. Tejedor kombiniert Originalaufnahmen mit einer Trickfilmtechnik, die an der Ästhetik der sowjetischen Avantgarde geschult ist. Die wechselnden Gefühlslagen der Protagonistin werden durch ansprechende animierte Grafiken verdeutlicht.
Und an Tragik fehlte es im Schicksal von Swetlana Allilujewa wahrlich nicht. Sie hatte ihre beiden Kinder in Moskau zurückgelassen, als sie sich zur Flucht in die USA entschloss. Zwar heiratete sie bald nach ihrer Einreise in das gelobte Land einen amerikanischen Architekten. Bald aber trennte sie sich wieder von ihrem vierten Ehemann. Sie zeigte sich überdies auch enttäuscht vom «kulturlosen Leben» in den USA.
Traurige Rückkehr
Für ihre Memoiren erhielt sie das exorbitante Honorar von 1,5 Millionen Dollar, das sie jedoch schnell verschleuderte. Sie weigerte sich, die Rolle einer Stalin-Biografin zu spielen oder als Soziologin der Sowjetgesellschaft aufzutreten. 1984 kehrte Swetlana Allilujewa in die Sowjetunion zurück, in der Hoffnung, ihre beiden Kinder wiederzusehen. Allerdings weigerte sich die Tochter, die Mutter überhaupt zu treffen, und der Sohn war dem Alkohol verfallen.
Nach eineinhalb Jahren siedelte Swetlana Allilujewa ernüchtert wieder in die USA über, wo sie 2011 in Armut und Einsamkeit in einem Pflegeheim starb. Kurz vor ihrem Tod sagte sie: «Ich lebte vierzig Jahre ganz oben und vierzig Jahre ganz unten. Das ist die Balance meines Lebens. Ich akzeptiere es.»
Naître Svetlana Staline. 80 Minuten. Dokumentarfilm Schweiz, Frankreich 2023. Regie: Gabriel Tejedor.