Auf Anweisung der indischen Justiz wurden knapp 400 Tonnen Giftmüll zur Verbrennung in die Industriestadt Pithampur abtransportiert. Dort fürchten Anwohner aber um ihre Gesundheit – und gehen auf die Barrikaden.
Vierzig Jahre ist es her, dass sich nach einem Leck in einer Pestizidfabrik eine giftige Gaswolke über die Stadt Bhopal legte. Fast 4000 Einwohner starben in der Nacht des 3. Dezembers 1984, weitere 15 000 Opfer erlagen nach offiziellen Schätzungen später ihren Verletzungen. Aufgrund menschlicher Fehler waren 40 Tonnen der für die Herstellung von Insektiziden verwendeten Chemikalie Methylisocyanat aus einem Tank entwichen. Bis heute gilt das Chemieunglück von Bhopal als eine der schwersten Umweltkatastrophen der Geschichte.
Die Pestizidfabrik der Union Carbide India Limited ist längst stillgelegt, doch noch immer ist das frühere Werksgelände am Rande von Bhopal nicht komplett gesäubert. Zum vierzigsten Jahrestag des Unglücks ordnete die indische Justiz daher Anfang Dezember an, dass der verbleibende Giftmüll endlich entsorgt werde. Das Hohe Gericht des Teilstaats Madhya Pradesh setzte der Regionalregierung eine vierwöchige Frist, das ehemalige Fabrikgelände zu säubern.
Kurz vor Ablauf dieser Frist am Freitag verliess ein Lastwagenkonvoi das Werksgelände in Bhopal. Unter dem Schutz der Polizei und begleitet von einer Ambulanz brachten zwölf Lastwagen 377 Tonnen Giftmüll in die 220 Kilometer westlich gelegene Industriestadt Pithampur. Dort sollen die toxischen Abfälle in den kommenden Monaten sachgerecht verbrannt werden. Die Behörden versichern, dass die Abgase speziell gefiltert würden und die Asche sicher entsorgt werde.
Die Anwohner trauen den Behörden nicht
Unter den Anwohnern in Pithampur stossen die Pläne zur Verbrennung des Giftmülls trotzdem auf Widerstand. Hunderte Demonstranten versammelten sich am Freitag in der Stadt, um gegen die Ankunft der Lastwagen zu protestieren. Viele Geschäfte und Fabriken folgten einem Streikaufruf und blieben geschlossen. Zwei Männer setzten sich aus Protest in Brand und wurden mit Verletzungen ins Spital eingeliefert. Am Samstag versuchten Anwohner, in die Verbrennungsanlage vorzudringen, und bewarfen die Polizei mit Steinen.
Trotz den Zusicherungen der Behörden befürchten die Anwohner, dass Giftstoffe in die Luft und ins Grundwasser gelangen. In Bhopal sind das Grundwasser um das ehemalige Fabrikgelände und umliegende Gewässer auch vier Jahrzehnte nach dem Chemieunglück noch stark kontaminiert. Der Grund sind diverse toxische Abfälle, die nicht sachgerecht auf dem Gelände gelagert worden waren. Viele Anwohner leiden bis heute an gesundheitlichen Problemen.
Rund eine halbe Million Einwohner von Bhopal waren in der Nacht des 3. Dezembers 1984 dem Gas Methylisocyanat ausgesetzt. Dieses verursacht schwere Verätzungen der Augen, Lungen und Schleimhäute. Besonders viele Kinder starben an den Folgen. Viele Betroffene beklagten, dass die Entschädigungen durch den amerikanischen Chemiekonzern Union Carbide, dem das Werk zu 51 Prozent gehörte, unzureichend gewesen seien und die Aufarbeitung nur schleppend verlaufen sei.
Die Justiz rügt die Untätigkeit der Behörden
Aktivisten mahnen, dass die nun abtransportierten 377 Tonnen nur einen Bruchteil der insgesamt 170 000 Tonnen toxischer Abfälle auf dem ehemaligen Fabrikgelände darstellten. Dass das Werk bis heute nicht dekontaminiert ist, stösst bei der Justiz auf Kritik. Das Hohe Gericht in Bhopal äusserte zum vierzigsten Jahrestag des Unglücks Anfang Dezember sein Unverständnis über die Untätigkeit der Behörden. Noch immer steckten die Aufräumarbeiten in der Anfangsphase, kritisierten die Richter.
Ein Spital, das kostenlose medizinische Behandlung für die Opfer der Katastrophe anbietet, musste derweil Ende Dezember aus finanziellen Gründen seine Arbeit einstellen. Die Regierung hatte der Sambhavna Clinic 2019 die Lizenz entzogen, Spenden aus dem Ausland anzunehmen. Spitalmitarbeiter versicherten, sie hätten die nötigen Papiere zur Verlängerung der Lizenz bei den Behörden eingereicht, doch sei der Antrag aufgrund von technischen Problemen nicht durchgegangen. Erst nach jahrelangen Protesten von Überlebenden des Chemieunglücks stellte die Regierung am Freitag schliesslich eine neue Lizenz aus.