Nguyen Phu Trong war ein Hardliner, der in den letzten Jahren erbarmungslos gegen Korrupte vorging. Am Freitag ist Vietnams letzter Vertreter der alten Garde gestorben. Nun herrscht Verunsicherung.
Seine Auftritte hatten stets etwas Grossväterliches an sich. Trotz seinem politischen Aufstieg blieb er bescheiden. Neben den Grossen der Weltpolitik wirkte er gar unscheinbar. Die Macht, mit der Nguyen Phu Trong das aufstrebende Vietnam prägte, entfaltete er stattdessen im Hintergrund. Das bekamen in den vergangenen Jahren besonders jene zu spüren, die vom tugendhaften Skript des überzeugten Kommunisten und Parteichefs abwichen und sich dem Vorwurf der Korruption ausgesetzt sahen.
Trongs Tod war absehbar, fällt aber in eine heikle Phase
Nguyen Phu Trong ist am vergangenen Freitag in Hanoi achtzigjährig in einem Militärspital gestorben. Diese Zäsur zeichnete sich ab, wurde er doch schon vor Monaten dort eingeliefert, und als er Mitte Juni letztmals Besuch von Russlands Präsidenten Putin erhielt, wirkte er fragil und eingesunken.
Dennoch herrscht Verunsicherung. Sein Ableben fällt nämlich in eine Phase der politischen und wirtschaftlichen Gratwanderung: Vietnam, das aufstrebende Land par excellence in Südostasien, sucht seinen Platz zwischen den Einflusssphären der Grossmächte; innenpolitisch steht das Land im Bann eines Machtkampfs um die Nachfolge von Trong. In der Wirtschaft, die nach wie vor durch Staatsbetriebe geprägt ist, macht sich nach der von Trong initiierten Antikorruptionswelle Lähmung bemerkbar, etwa am Aktienmarkt. Und wie in China grassiert auch in Vietnam heute eine Immobilienkrise.
Trongs Leben spiegelt die jüngere Geschichte eines leidgeprüften Landes, das sich innerhalb von drei Generationen von einem ländlich geprägten Kolonialgebiet in einen verheerenden Kriegsschauplatz verwandelt und sich dann zu einer Industrienation gemausert hat. Als Nguyen Phu Trong 1944 in Hanoi zur Welt kam, hatte die französische Kolonialmacht bereits den japanischen Truppen Platz machen müssen. Zehn Jahre später beendete die Schlacht von Dien Bien Phu den ersten Indochina-Krieg.
1967, als Trong als Soldat der Kommunistischen Partei Vietnams beitrat, tobte bereits ein neuer Krieg, diesmal gegen die Amerikaner. Trong gilt mithin als einer jener letzten Vertreter der alten Garde, die den Kampf um Vietnams Unabhängigkeit und die Wiedervereinigung untrennbar mit leninistischer Ideologie und dem Machtmonopol der Partei verbinden.
Zunehmende Machtkonzentration – wie in Peking
Seine Macht und den Parteikurs zementierte er anlässlich des 12. Parteitags vor acht Jahren. Im Kampf um den Parteivorsitz, die wichtigste Rolle im Staat, setzte er sich gegen den damaligen Ministerpräsidenten Nguyen Tan Dung durch. Unter jener Regierung blühte die Korruption, auch der Ruf nach mehr Meinungsfreiheit und Parteienpluralität kam auf. Zudem war Vietnam – wie wiederkehrend in der Geschichte – auf grössere Distanz zu China gegangen.
Nach dem Parteikongress von 2016 verschwand Dung von der politischen Bühne, die Zensurschrauben wurden angezogen, und auch die Beziehungen zu Peking wurden rekalibriert. Zudem holte Trong, der 2021 gar für eine dritte Amtszeit als Parteivorsitzender gewählt wurde, mit mehr Elan zum Kampf gegen Misswirtschaft und Korruption aus. Dabei kamen unzählige Skandale ans Licht. Vietnamesische Medien berichten, dass seither etwa 175 000 Parteimitglieder «diszipliniert» worden seien. Die Kampagne gipfelte 2023 im Rücktritt des damaligen Staatspräsidenten und in der Absetzung von zwei stellvertretenden Ministerpräsidenten.
Jene abrupten Rochaden tragen Trongs Handschrift, und sie deuten an, in welche Richtung es vermutlich geht. Trong übernahm damals nämlich auch das frei gewordene Amt des Staatspräsidenten, womit es zu einer Ämterkumulation von Partei- und Staatspräsidium kam. Informierte Quellen in Vietnam gehen davon aus, dass die Würfel für Trongs Nachfolge schon gefallen sind: So könnte der derzeit amtierende Staatschef To Lam, der frühere Minister für öffentliche Sicherheit, auch das Parteipräsidium und den Politbürovorsitz übernehmen. Es wäre eine Kombination, die – wie in Peking – mit einer enormen Machtfülle verbunden ist.