Die Mitte-Bundesrätin zeigt keine Lust zum Sparen. Parteichef Gerhard Pfister auch nicht. Die Rettung soll ein Vorschlag der SP bringen.
Gerhard Pfister, der wendige Präsident der zur Mitte gewandelten CVP, befasst sich ungern mit Finanzierungsfragen. Sollen sich andere Parteien überlegen, wie der Ausbau der Ehepaarrente bezahlt werden soll, den die Mitte per Volksentscheid erzwingen will. Dasselbe gilt auch für den Ausbau der Armee, für den Mitte-Bundesrätin Viola Amherd zuständig ist.
Doch irgendwann im Frühling kam Pfister die rettende Idee: Gegenüber Journalisten sprach er mehrfach das Thema Schuldenbremse an. Es stelle sich, gab er zu Protokoll, grundsätzlich die Frage, ob die Fixierung auf die Schuldenbremse noch gerechtfertigt sei. Vielleicht sei es sinnvoller, sich nicht an der Höhe der Schulden zu orientieren, sondern an der realen Schuldenquote. Botschaft: «Allein mit Sparen kommen wir nie und nimmer zum Ziel.» Die Schuldenbremse sehe vor, dass ausserordentliche Ausgaben für unvorhersehbare Ereignisse auch ausserordentlich finanziert werden können, so Pfister. Genau das habe der Bund während der Pandemie zu Recht auch getan. Nun sei es an der Zeit, sich mit Blick auf die Folgekosten des Kriegs in der Ukraine die Frage zu stellen, ob es sich nicht auch bei den Mehrausgaben für die Armee, die Flüchtlingsbetreuung und den Wiederaufbau der Ukraine um unvorhersehbare Kosten handle.
Die Finanzierung der Armee dürfte auch Viola Amherd im Kopf gehabt haben, als sich ihr Departement kürzlich als einziges für eine Lockerung der Schuldenbremse aussprach. Wie Unterlagen, die der NZZ vorliegen, zeigen, hat sich nur das VBS für die Annahme einer Motion ausgesprochen, die eine «Modernisierung der Schuldenbremse» fordert.
Schuldenabbau? Nein, danke
Absenderin des Begehrens ist die SP-Fraktion. Im September verlangte sie vom Bundesrat, dem Parlament eine entsprechende Gesetzesänderung vorzuschlagen. Die Schuldenbremse führe heute dazu, dass Schulden abgebaut würden. Das sei aber weder notwendig noch wünschenswert. Es genüge, die Schuldenquote stabil zu halten. Laut SP hätte der Bundesrat dann die notwendige Flexibilität, um wirtschaftliche Schwankungen auszugleichen und mehr Geld in Bildung, Gleichstellung, Klima, Infrastruktur oder soziale Sicherheit zu investieren.
Falsch ist das nicht. Allerdings gibt es bis heute keinerlei Anzeichen für eine Unterfinanzierung der Eidgenossenschaft, auch nicht bei Investitionen in die Infrastruktur. Seit der Pandemie sind die Schulden des Bundes wieder stark gestiegen. Dennoch kann das Parlament sehr viel Geld ausgeben – notfalls auch an der Schuldenbremse vorbei.
Dem Bundesrat, der ab 2027 mit strukturellen Defiziten von rund 3 Milliarden Franken rechnen muss, ist die Gefahr, die eine gelockerte Schuldenbremse mit sich bringt, bewusst. Unter der Führung von FDP-Finanzministerin Karin Keller-Sutter ist er derzeit dabei, ein Sparpaket zu schnüren. Wobei sparen – wie meistens beim Bund – nicht bedeutet, dass er weniger Geld ausgeben will. Das Ziel ist, das Ausgabenwachstum von durchschnittlich 3 auf 2 Prozent zu reduzieren.
Gefragt wäre nun eine Aufgabenpriorisierung, aber ausgerechnet die Vorsteherin des Verteidigungsdepartements konnte oder wollte bisher keine Lösung aufzeigen, wie denn der beschleunigte Wiederaufbau der Armee finanziert werden soll. Offenbar hat sie grundsätzlich keine Lust zum Sparen: Als Karin Keller-Sutter, Innenministerin Elisabeth Baume-Schneider und Verkehrsminister Albert Rösti im September gemeinsam vor die Medien traten, um die Wichtigkeit des Sparpakets zu betonen, fehlte ausgerechnet die Bundespräsidentin.
Weil sie nach New York abreisen musste, hiess es damals. Heute erzählt man sich in Bern, Viola Amherd hätte auch einen Tag später fliegen können. Sie habe nach einer guten Entschuldigung gesucht, um nicht an der Medienkonferenz teilnehmen zu müssen.
SVP, FDP und CVP für die Schuldenbremse
Seit zwei Jahrzehnten ist die Schuldenbremse eine Art bürgerliche Alpenfestung. Erfunden hat sie der ehemalige freisinnige Finanzminister Kaspar Villiger in der Rezession Ende der 1990er Jahre. Innert etwas mehr als zehn Jahren hatten sich die Schulden verdreifacht. Villiger wollte eine Stabilisierung und erreichte sie auch. Die Stimmbevölkerung hiess das Instrument im Dezember 2001 mit fast 85 Prozent Ja-Stimmen gut. Dies auch, weil sich die SVP, die FDP und die damalige CVP ohne Wenn und Aber hinter Villiger gestellt hatten. Die SP, die Grünen, die PdA, die Lega und der Schweizerische Gewerkschaftsbund blieben mit ihrer Nein-Parole in der Minderheit.
Heute sprechen sich noch SVP und FDP bedingungslos für die Einhaltung der Schuldenbremse aus, die Mitte ist in ihrer Mitte gespalten. Während Parteipräsident Pfister auf ihre Lockerung hinarbeitet, halten vor allem im Ständerat viele Fraktionsmitglieder an ihr fest. Dass das Budget 2024 unter Einhaltung der Schuldenbremse verabschiedet werden konnte, ist auch das Verdienst der Mitte.
Ob das auch für den Voranschlag 2025 gilt, ist offen. Die Budgetberatung im Dezember dürfte so hart werden wie schon lange nicht mehr. Der Bund muss sparen, und die beschlossene 13. AHV-Rente belastet die Bundeskasse zusätzlich. Der härteste Brocken ist aber der Aufbau der Armee. Soll ihr Budget – wie von SVP, FDP und Mitte gefordert – bis 2030 auf 1 Prozent des Bruttoinlandprodukts steigen, müsste langsam ein mehrheitsfähiger Finanzierungsvorschlag her.
Ob Viola Amherds Generalsekretariat tatsächlich an die Armeefinanzierung dachte, als es sich für die Modernisierung der Schuldenbremse aussprach, ist offen. Weil der Bundesrat noch nicht über die Motion entschieden hat, äussert sich das VBS vorläufig nicht, und die Unterlagen für die Ämterkonsultationen bleiben unter Verschluss.