Die Wettbewerbskommission verlangt tiefere Gebühren. Doch der Kartenmulti Visa widersetzt sich.
Es ist ein Kampf David gegen Goliath. Zu den Kleinen gehört der Central-Kiosk in der aargauischen Gemeinde Schöftland direkt neben dem Bahnhof. Wer auf den Zug muss, holt sich hier einen Kaffee – der weitherum gelobt wird. Doch die Einnahmen reichten kaum zum Überleben, sagt der Geschäftsführer Herbert Degelo. Als grosse Belastung bezeichnet er die Gebühren, die er für die Kartentransaktionen bezahlen muss.
Der Kioskbetreiber rechnet vor: Wenn er ein 1-Franken-Los verkauft, gewährt ihm Swisslos eine Marge von 10 Rappen. Zahlt der Käufer mit der Karte, so muss er mehr als diese 10 Rappen als Gebühr gleich wieder abliefern. Somit wird das Los zum Verlustgeschäft, bevor er die übrigen Kosten wie Miete oder Strom überhaupt einkalkulieren kann – ganz zu schweigen vom Lohn für die eigene Arbeit.
«Besonders bei kleinen Beträgen kommt es für mich deutlich teurer, wenn die Leute mit der Karte bezahlen», sagt Degelo. Während ein Restaurant die Preise selbst festlegen könne, müsse ein Kiosk bei vielen Produkten die Vorgabe des Herstellers befolgen. «Deshalb drückt die Dominanz der Karten ganz direkt auf unseren Gewinn.» Als Faustregel gelte für seinen Betrieb, dass ein Kunde, der mit der Karte zahle, erst ab einem Umsatz von 10 Franken rentabel werde.
Verzehnfachter Aktienkurs
Als Goliath agieren auf der anderen Seite die beiden amerikanischen Kartenkonzerne Visa und Mastercard. Visa gehört mit einem Börsenwert von 560 Milliarden Dollar zu den einträglichsten Firmen auf der Welt – und dies mit weniger als 30 000 Mitarbeitenden. Der Aktienkurs hat sich in gut zehn Jahren verzehnfacht. Mastercard bringt ebenfalls 430 Milliarden Dollar auf die Waage.
Die beiden bilden ein globales Duopol und teilen den Markt mehrheitlich unter sich auf. In der Schweiz allerdings war der Marktleader Visa lange Zeit im Hintertreffen. Denn bei den beliebten Debitkarten (den Bankkarten, welche direkt mit dem Konto verbunden sind) dominierte die Maestro-Karte von Mastercard – im Volksmund nach ihrer Vorgängerin auch «EC-Karte» genannt.
Bei den Händlern war die Karte beliebt, denn diese mussten lediglich eine Grundgebühr zahlen, jedoch keine Interchange Fee, welche in die Taschen der Banken fliesst. Allerdings hatte die Maestro-Karte einen Nachteil: Für Käufe im Internet konnte man sie nicht benutzen. Deshalb lancierten Visa und Mastercard neue Debitkarten, welche ebenso für Onlinegeschäfte funktionieren.
Corona beflügelt Kartenzahlungen
Der Schritt hat sich für beide Kartengiganten gelohnt. Nicht zuletzt dank der Corona-Pandemie, welche zu einem Boom der Kartenzahlungen führte. Mit einem Volumen von 70 Milliarden Franken sind die Debitkarten heute das meistgenutzte Zahlungsmittel. Wichtiger noch: Die Wettbewerbskommission (Weko) hat Visa und Mastercard erlaubt, während der Einführungsphase höhere Gebühren zu verrechnen, um die Investitionen abzugelten.
Konkret genehmigte die Weko eine Interchange Fee von 0,2 Prozent. Das ist zwar weniger als bei den Kreditkarten, wo die Gebühr maximal 0,44 Prozent erreichen darf, aber eben deutlich mehr als bei der früheren Maestro-Karte. Doch die Weko legte gleichzeitig fest, dass die Gebühr sinken muss, sobald der Marktanteil der neuen Karten über 15 Prozent steigt. Dies ist seit einem Jahr der Fall.
Angesicht der gigantischen Summen, die per Karte bezahlt werden, machen selbst ein paar Basispunkte mehr oder weniger einen grossen Unterschied. Entsprechend hart verläuft das Ringen um die Gebühren. Die Weko verlangt nun, dass die Interchange Fee von 0,2 Prozent auf 0,12 Prozent sinkt.
Visa jedoch sträubt sich gegen eine solche Preissenkung: Bereits vor einem Jahr liess der Konzern die Weko in einem Brief wissen, «ein Satz unter 0,2 Prozent komme nicht infrage». Stattdessen präsentierte Visa einen «Gegenvorschlag», der als «freiwilliger Schritt» per Anfang Juli eingeführt wurde: Laut diesem kommt einzig für «Ausgaben des täglichen Bedarfs» eine tiefere Interchange Fee von 0,12 Prozent zur Anwendung.
In der Folge erhöhte die Weko den Druck und erliess im Herbst eine Verfügung gegen Visa. Der Kartenmulti wiederum hat Beschwerde beim Bundesverwaltungsgericht eingereicht, welches demnächst einen Entscheid fällen wird. Auf Anfrage erklärt Visa, man bezwecke mit dem juristischen Verfahren mehr Rechtssicherheit. «Wir sehen unsere Rolle darin, die Interessen aller Teilnehmer am Zahlungssystem auszubalancieren.» Zudem sei man sich mit der Weko einig, dass eine Interchange Fee notwendig sei, um die Sicherheit und Zuverlässigkeit des Systems zu erhalten.
Mastercard lenkt ein
Der zweite grosse Player, Mastercard, definiert seine Rolle offenbar anders. Im soeben publizierten Jahresbericht schreibt die Weko: «Mit Mastercard zeichnet sich eine rasche Einigung und ein Entscheid in Form einer einvernehmlichen Regelung ab.» Da es sich um ein laufendes Verfahren handle, will die Behörde zum Fall nicht Stellung beziehen. Laut einem Insider könnte sich der Rechtsstreit für Visa bereits dann auszahlen, wenn eine Gebührensenkung lediglich hinausgezögert würde.
Wie stichhaltig ist nun das Argument, laut dem die Interchange Fee das Zahlungssystem sicherer und zuverlässiger mache? Ralf Beyeler von der Vergleichsplattform Moneyland ist ein ausgewiesener Experte auf diesem Gebiet. Er vergleicht den Zahlungsverkehr mit Infrastrukturplattformen wie dem Stromnetz, der Eisenbahn oder der Telekommunikation. «Alle diese Netzwerke erfordern zunächst hohe Investitionen. Je mehr Leute das Angebot nutzen, desto günstiger wird danach der Betrieb.»
Dabei sieht Beyeler zwei grundsätzliche Probleme der Interchange Fee: Erstens verhindere die Marktdominanz von Visa und Mastercard einen fairen Wettbewerb. «Der Handel ist am kürzeren Hebel, denn er kann es sich nicht leisten, Kartenzahlungen abzulehnen. Vor allem kleinere Händler, die nur schlechte Konditionen aushandeln können, sind auf eine staatlich festgelegte Obergrenze dieser Gebühren angewiesen.»
Zweitens, so Beyeler, führe die Interchange Fee zu Fehlanreizen. «Für die Banken ist das Geschäft am lukrativsten, wenn sie beim Handel möglichst hohe Gebühren kassieren und einen Teil dieser Einnahmen in Form von Bonusprogrammen oder Flugmeilen an ihre Kunden verteilen.» Bei manchen Kreditkarten flössen drei Viertel der Interchange Fee in solche Marketingaktionen, erklärt Beyeler. «Doch wenn der Quartierladen einen Rabatt der Airline mitfinanzieren muss, führt dies zu einer Verzerrung des Marktes.»
Weiter stört sich der Experte von Moneyland an der Berechnungsweise der Interchange Fee: «Die Behörden legen die Gebühr so fest, dass sie als Richtschnur jene Kosten heranziehen, welche bei der Verwendung von Bargeld entstehen. Früher war das sicherlich sinnvoll. Doch heute, da die IT-Kosten stark gesunken und die Kartenzahlungen weit verbreitet sind, müsste man die Berechnung auf die effektiven Ausgaben eines effizient arbeitenden Kartenanbieters abstützen.»
Das Seilziehen zwischen der Weko und Visa dürfte sich hinziehen. Dennoch halten manche Gewerbler ihren Widerstand gegen die Kartenmultis aufrecht. So wie ein italienischer Lebensmittelhändler in Zürich: Wer die Karte zückt, erhält umgehend das Angebot, erst in ein paar Tagen zu bezahlen – Hauptsache in bar.
Ein Artikel aus der «NZZ am Sonntag»