Nach nur einem Jahr beugt sich der frühere Handballer dem Druck und räumt seine Stelle an der Spitze von Swiss Ice Hockey. Was ist passiert?
Eine Fehlbesetzung, unfähig, den richtigen Umgangston zu treffen. Oder kurz: von der Aufgabe überfordert. Das sind nur ein paar der Statements, die man in den vergangenen Wochen über Stefan Schärer, den Präsidenten des Schweizer Eishockeyverbands, gehört hat. In den Chor der Kritiker stimmte zuletzt auch der Präsident des HC Davos, Gaudenz Domenig, ein. Domenig gehört zu den vernünftigen und gemässigten Stimmen in der Liga; er polemisiert nicht unnötig. Doch jüngst sprach der Bündner von der «Dampfwalze», mit der der Präsident Schärer eingefahren sei.
Swiss Ice Hockey hat einen regen Verschleiss an Präsidenten, das liegt nicht nur an den jeweiligen Personen. Doch so schnell wie im Fall des ehemaligen Handball-Nationalspielers Schärer ist es noch nie gegangen. Am Donnerstagvormittag zog der 59-Jährige die Konsequenz. In einer Medienmitteilung kündigte er an, dass er von seinem Posten als Präsident von Swiss Ice Hockey per sofort zurücktrete.
Bereits am Tag zuvor hatte er entsprechende Gerüchte gegenüber der NZZ bestätigt: «Es ist richtig, ich werde noch vor dem Wochenende meine Demission an der Spitze von Swiss Ice Hockey einreichen. Ich habe mich über das vergangene Wochenende mit meiner Frau und nahen Bekannten ausgetauscht und bin zum Entschluss gekommen, dass ich meine Energie und Zeit ab 2025 anders einsetzen möchte.»
Der Knall hat sich seit mehreren Wochen abgezeichnet. Schärer ist im Schweizer Eishockey zur Persona non grata geworden. So war er am Weihnachtsessen der Verbandsadministration nicht mehr willkommen. Am Anlass, an dem es eigentlich um Besinnlichkeit gegangen wäre, wurden Krisenszenarien gewälzt. Selbst ein möglicher Streik in der Geschäftsstelle war Thema. Zumindest dieses Szenario, das im Schweizer Sport beispiellos wäre, hat Schärer mit dem Rücktritt abgewendet.
Die Stimmung in der Geschäftsstelle in der Nähe des Zürcher Flughafens ist aber auf dem Tiefpunkt. Schärer soll sich in den vergangenen Wochen mehrmals abschätzig über Mitarbeitende geäussert haben. Mehr als einer habe sich ob der miesen Stimmung und des latenten Drucks krankschreiben lassen. Doch offen dazu stehen, das wollte niemand. Zu gross waren bis zuletzt der Respekt und die Angst vor der Willkür des Präsidenten.
Patrick Fischer hat sich offen gewehrt
Schärer war vor gut einem Jahr angetreten, um die Wogen zwischen der Liga und dem Verband zu glätten und die aufgeladene Stimmung zu entschärfen. Im Februar 2021 hatte sich die National League formell vom Schweizer Eishockeyverband gelöst. Seither herrschen ein Klima der Skepsis und Unmut zwischen den Parteien. Darunter litt unter anderem auch die Nationalmannschaft, das Aushängeschild des Schweizer Eishockeys, das im vergangenen Frühjahr in Prag WM-Silber gewonnen hat. Bereits zum zweiten Mal mit dem Nationalcoach Patrick Fischer.
Fischer sagte auf Anfrage: «Es sind Dinge geschehen, die die Zusammenarbeit zwischen Schärer und uns schwierig machen.» Mehr ins Detail will der 49-jährige Zuger nicht gehen. Es bringe niemandem etwas, wenn nun in der Öffentlichkeit schmutzige Wäsche gewaschen werde.
Fischer coacht das Nationalteam seit 2015 und stand mehr als einmal unter Druck. Nachdem sein Team regelmässig in den WM-Viertelfinals gescheitert war, wuchs die Kritik. Seit der Silbermedaille und vor allem dem Viertelfinal-Sieg gegen den Angstgegner Deutschland im Frühling hat der Coach aber Oberwasser.
Schärer hingegen war an der WM in Prag wild entschlossen, Fischer im Fall einer weiteren Niederlage zu entlassen. Nach dem 3:1 im Viertelfinal gegen die Deutschen soll er zum Coach gesagt haben: «Irgendwann hat jeder einmal Glück.» Seither ist das Tuch zwischen dem Präsidenten und seinem wichtigsten Mitarbeiter zerschnitten.
Kritik von vielen Seiten
Die zwischenmenschlichen Störungen zwischen dem Präsidenten und seinen Mitarbeitenden sowie potenziellen Partnern schwelen schon länger. Vor einem Monat sagte Schärer zur NZZ, er sehe keine Probleme, und verteidigte sich mit den Worten: «Ich bin nicht nur der Präsident der Liga oder ihrer Vereine, ich vertrete das ganze Schweizer Eishockey, das gut dastehen muss.»
Seither hat sich die Stimmung innerhalb des Verbands und der Liga noch einmal verschlechtert. Auch der ehemalige Schiedsrichterchef Andreas Fischer äussert sich kritisch. Er verliess den Verband auf diese Saison und übernahm den Posten des Sportchefs im HC Ambri-Piotta. Der interimistische Verbands-CEO Markus Graf, der zuvor während Jahren Ausbildungschef im Verband und ein integrierendes Element gewesen war, ist mittlerweile pensioniert.
Im Verwaltungsrat hat sich die Mehrheit der Mitglieder gegen den Präsidenten gestellt. Peter Zahner, der CEO der ZSC Lions und eine der gewichtigsten Stimmen im Schweizer Eishockey, steht mittlerweile offen zu seinen Vorbehalten gegenüber dem Präsidenten. Von Schärer wurde Zahner mittlerweile zum Feindbild Nummer eins hochstilisiert.
Das Chaos in der Führung von Swiss Ice Hockey ist damit umfassend. Selbst als Werner Kohler vor mittlerweile über zwanzig Jahren wegen einer umstrittenen Provisionszahlung vorzeitig als Präsident zurücktreten musste, war die Situation nicht derart verworren.
Damals war der Verband unter anderem wegen der Manipulationen des ehemaligen Präsidenten an den Rand der Insolvenz geschlittert. Der internationale Eishockeyverband und die SRG sprangen mit Darlehen und vorgeschossenen Zahlungen ein und verhinderten das Schlimmste. Der Verband klagte gegen den einstigen Präsidenten. Doch das vom heutigen Zuger Finanzminister Heinz Tännler und dem damaligen Ligachef Franz A. Zölch orchestrierte Unterfangen scheiterte brachial. Formaljuristisch war Kohler kein Vergehen nachzuweisen. Er wurde freigesprochen.
Verband und Liga geeint
Schärer hingegen übergibt den Verband in finanziell solidem Zustand. Seine Zeit als Präsident endet trotz ihrer Kürze nicht ohne Verdienste. Er hat die Liga und den Verband wieder näher zusammenrücken lassen. Es ist Ironie des Schicksals, dass ihm das auf Kosten der eigenen Position gelungen ist. Die Liga und die Administration in Zürich haben in ihm gemeinsam ein neues Feindbild gefunden. Noch selten zuvor waren sich die zerstrittenen Parteien so einig wie jetzt: «Schärer muss weg!»
Schärer sagte am Mittwoch gegenüber der NZZ: «Ich wurde als neutraler Unternehmer angefragt und gewählt, um im Schweizer Eishockey etwas zu bewegen.» Ihm sei jedoch klargeworden, dass der Verband festgefahrene Strukturen habe, die niemand verändern wolle. «Leider gibt es einige Kräfte, die sich vehement dafür einsetzen, den Istzustand zu bewahren. Dann braucht es mich nicht an dieser Stelle. Ich bin ein Macher und kein Verwalter.»
Diesen letzten Kommentar, den Schärer abgab, mag der eine oder andere als Nachtreten interpretieren. Frei von Wahrheit aber ist er nicht. Die Liga hat mit ihrer Abspaltung vor vier Jahren einen Weg eingeschlagen, der ins gegenwärtige Chaos mündete. Darunter gelitten hat vor allem die zweitklassige Swiss League, die heute um ihre Existenz kämpft.
Nach nur 15 Monaten ist das Kapitel Schärer abgeschlossen. Ab sofort übernimmt interimistisch sein bisheriger Vize Marc-Anthony Anner die Führung dieses schwer führbaren Verbandes. An Arbeit wird es ihm nicht mangeln.
Die Basis des Schweizer Eishockeys war trotz den jüngsten Erfolgen der Nationalmannschaft schon lange nicht mehr so brüchig wie im Moment. Es ist höchste Zeit, den Egoismus beiseitezuschieben und anzuerkennen, dass das Schweizer Eishockey nur dann weiter gedeihen kann, wenn alle in die gleiche Richtung arbeiten.