In den vergangenen zwei Jahren investierte die Armee, weil ihr die Politik Mittel im Umfang von einem Prozent des BIP in Aussicht gestellt hatte. Doch es kam anders. Nun klafft ein Loch von mehreren Milliarden Franken.
Fertig Panzer, fertig Artillerie: Die Schweiz muss sich mit dem Ende des harten Kerns ihrer Armee auseinandersetzen. Nach der gegenwärtigen Finanzplanung fehlen die Mittel für die rechtzeitige Modernisierung der schweren Mittel des Heeres. Dazu können klaffende Fähigkeitslücken nicht geschlossen werden: etwa bei der Boden-Luft-Verteidigung. Ebenfalls in der Schwebe sind die Digitalisierung und die Vernetzung der Armee.
Dieser Befund ist eigentlich seit der Budgetdebatte in der vergangenen Wintersession bekannt. Das Parlament folgte mit einer hauchdünnen Mehrheit dem Antrag des Bundesrats und verzögerte den militärischen Aufwuchs, der nach dem russischen Einmarsch in die Ukraine 2022 beschlossen worden war: Das Armeebudget soll erst 2035 auf ein Prozent des Bruttoinlandprodukts ansteigen statt, wie ursprünglich vorgesehen, 2030.
Erst eine Recherche von Radio SRF hat die Politik in Bern nun wachgerüttelt. Gestützt auf ein internes Papier aus dem Armeestab, der für die Finanzen und die Planung zuständig ist, wurde am Dienstag über ein «Milliardenloch bei der Armee» berichtet. Es fehle eine Milliarde, um bereits getätigte Rüstungskäufe zu bezahlen. Mehr noch: Die Armee sei von ihrer eigenen Finanzplanung abgewichen.
Alle Ressourcen fliessen in die Verteidigung
Die Aufregung, die der Bericht auslöste, war so gross, dass am späteren Donnerstagnachmittag der Chef der Armee, Korpskommandant Thomas Süssli, schliesslich vor die Medien trat. Süssli gab zunächst für die kurzfristige Finanzlage Entwarnung: «2024 können wir allen Verpflichtungen nachkommen.» Es müssen vorerst keine Projekte abgebrochen werden.
Die Liquidität sei deshalb gesichert, weil Verpflichtungen im Umfang von 800 Millionen Franken verschoben worden seien. Zudem habe die Armeeführung Sparmassnahmen beim Betrieb angeordnet. Darunter fällt laut Süssli der Entscheid, in den nächsten Jahren auch Publikumsanlässe abzusagen: unter anderem die «Airspirit 2024» in Emmen. Die bürgerlichen Sicherheitspolitiker und die Fans der Luftwaffe laufen dagegen Sturm.
Den Verzicht auf diese Anlässe begründete Süssli nicht nur mit den Finanzen, sondern auch mit dem Fokus auf die Verteidigungsfähigkeit der Armee. Eine Strategie lege nicht nur fest, was man tue, sondern auch, was man nicht mehr tue. Neu sollen alle Ressourcen, auch die personellen, in den Kernauftrag der Armee, die Verteidigung, fliessen.
Gravierende Finanzierungslücke
Doch die mittelfristige Perspektive sieht gar nicht gut aus: In den Jahren 2025 bis 2027 fehlen insgesamt 1,4 Milliarden, um die Verpflichtungskredite der vergangenen Jahre bezahlen zu können. Im schlimmsten Fall, sagte Süssli, könnten Systeme später ausgeliefert werden. Mit anderen Worten: Die Armee jongliert von Jahr zu Jahr mit dem Geld. Süssli spricht von einem Finanzberg, den man vor sich her schiebe, der aber jedes Jahr kleiner werde.
Für Investitionen steht gar nichts zur Verfügung – weder für die Artillerie 2026 noch für ein dringend benötigtes System gegen Bedrohungen aus der Luft 2027. Auch der Wiederaufbau von Munitionsreserven muss verschoben werden. Mit Blick auf die angespannte Sicherheitslage sind diese Aussichten erschreckend.
Der Hintergrund der gravierenden Finanzierungslücke ist die Planänderung von Bundesrat und Parlament vom letzten Dezember. Die Armee plante auf der ursprünglichen Basis von einem Prozent des BIP bis 2030. Das Parlament beschloss 2o22 und 2023 zusätzliche Verpflichtungen in der Höhe von rund einer Milliarde ein – darunter die vollständige Ausrüstung der schweren Verbände mit dem Mörser 16.
Zum Verständnis: Ist die Beschaffung von Rüstungsgütern einmal beschlossen, werden diese erst in den Folgejahren bezahlt. Für den F-35 als neues Kampfflugzeug wurde mit dem amerikanischen Verteidigungsministerium ein Abzahlungsplan bis 2031 vereinbart. Kurzfristige Planänderungen betreffen also nicht nur die Zukunft, sondern auch die Vergangenheit.
Hin und Her in der Finanzplanung
Der Chef der Armee hat in den vergangenen Wochen eindringlich vor dem Hockey-Stick-Effekt beim finanziellen Aufwuchs gewarnt – zuerst verläuft die Kurve flach und steigt dann erst steil an. Eine Chronologie zeigt das Hin und Her zwischen Sicherheits- und Finanzpolitik:
- 2018: Um die Beschaffung des neuen Kampfflugzeugs und des Luftverteidigungssystems (Air 2030) im Umfang von 8 Milliarden zu bezahlen, sah der Masterplan der Armee mindestens zwei Budgetnullrunden ab 2023 vor. Für den Fall, dass der Kampfjet in der Volksabstimmung im September 2021 scheitern sollte, wurden später etwas mehr Verpflichtungen vorbereitet, um nicht in eine Überhitzung zu geraten wie nach dem Gripen-Nein. Eine Korrektur könne nur nach vorne erfolgen, erklärte der Finanzchef der Armee.
- Februar 2022: Der Bundesrat präsentierte wenige Tage vor dem russischen Überfall auf die Ukraine das Rüstungsprogramm 2022 mit «Air 2030». Die Ausgaben von 8 Milliarden wurden mit der Unterschrift unter den Vertrag im Herbst 2022 als Verpflichtungskredite wirksam.
- März 2022: Eine Motion der SiK beider Kammern, initiiert vom FDP-Präsidenten Thierry Burkart und vom SVP-Ständerat Werner Salzmann, verlangte als Reaktion auf den Ukraine-Krieg die Erhöhung des Armeebudgets auf ein Prozent des BIP bis 2030. Die Finanzverwaltung äusserte Skepsis, dass dies ohne Steuererhöhung möglich sei.
- Mai 2022: Das Parlament erhöhte das auf Antrag der SiK Ständerat um zusätzliche 300 Millionen. Die Ausgaben wurden in der Herbstsession 2022 als Teil des Rüstungsprogramms vom Parlament beschlossen.
- September 2022: Insbesondere die SP kritisierte, die Armee betreibe eine «Aufrüstung ohne Plan». Das Verteidigungsdepartement (VBS) legte darauf eine «Investitionsplanung 2023 bis 2035» vor, die den Wiederaufbau von Jahr zu Jahr detailliert auflistete.
- Dezember 2022: Das Parlament bestätigte in der Budgetdebatte die Finanzplanung mit dem Ziel: ein Prozent des BIP bis 2030 – gegen alle Warnungen des Finanzdepartements. Zwischen der sicherheitspolitischen Notwendigkeit und der finanzpolitischen Realität klaffte bereits ein Delta.
- August 2023: Der Chef der Armee veröffentlichte sein «schwarzes Buch» mit dem Titel «Zielbild und Strategie für den Aufwuchs». Darin präsentiert er das Ambitionsniveau der Armee für die Landesverteidigung. In einem ersten Schritt sollten 13 Milliarden investiert werden, um einen Angriff mindestens aus einer Richtung abwehren zu können. Gleichzeitig zeigte Süssli die Konsequenzen auf, sollte der finanzielle Aufwuchs auf 2035 erstreckt werden. Dieser Vorschlag wurde zu diesem Zeitpunkt bereits zwischen VBS und Finanzdepartement diskutiert.
- Herbst 2023: Auf der Basis dieser Finanzplanung verabschiedete das Parlament ein weiteres Rüstungsprogramm und bewilligte Verpflichtungskredite in der Höhe von 1,9 Milliarden Franken. Teil des Pakets sind zusätzliche Lenkwaffen für das Patriot-System.
- Dezember 2023: Das Parlament erstreckte den Aufwuchs von 2030 auf 2035 – hauchdünn, aber mit gravierenden Folgen. Die Armee verliert insgesamt 10 Milliarden Franken.
Das Resultat: Ein Investitionsstopp bei den Bodentruppen. Diese Finanzierungslücke ist das Resultat eines politischen Silodenkens: Die Sicherheitspolitik scheint sich um die Finanzpolitik zu foutieren – und umgekehrt. Die VBS-Chefin Viola Amherd überliess die schwierige Kommunikation der Liquiditätsprobleme ihrem Armeechef. Die Frage, weshalb Amherd trotz angespannter Sicherheitslage auffällig schweigt und sich nicht zur drohenden Abschaffung des Heers äussert, dürfte zu einer weiteren Runde in der Diskussion über das Armeebudget führen.