Für die «Top-Jobs» suchen die Regierungschefs eine Paketlösung. Osteuropa soll gut vertreten sein.
Ist das Rennen um die Spitzenposten in der EU gelaufen? Es scheint zumindest, dass wichtige Entscheidungen bereits getroffen sind. Zu vergeben sind die Ämter der Kommissionspräsidentin, des Ratspräsidenten, des Chefdiplomaten und der Parlamentspräsidentin.
Ursula von der Leyen wird ihr Amt als Kommissionschefin voraussichtlich behalten. Am G-7-Gipfel letzte Woche sollen sich die Regierungschefs der drei grossen Länder Deutschland, Frankreich und Italien darin einig gewesen sein. Am Montagabend nun treffen sich die Staats- und Regierungschefs aller Mitgliedsstaaten in Brüssel zu einem informellen Treffen.
Und es ist möglich, dass bereits dann die Würfel fallen. Von der Leyen könnte dann nach dem Juni-Gipfel schon am 18. Juli vom Europäischen Parlament bestätigt werden. Das hohe Tempo verdankt sich der unsicheren Weltlage, aber auch der ungewissen Zukunft der Machtverhältnisse in Paris und Berlin. Da sollte das Haus in Brüssel wenigstens bestellt sein.
Regionaler Mix und starke Frauenvertretung
Von der Leyens Nomination wäre keine Überraschung. Ihre christlichdemokratische EVP ist die Siegerin der Europawahl und sie hat selber mit einer Werbetournee durch halb Europa dazu beigetragen. Im Vorfeld suchte sie gute Kontakte zu Giorgia Meloni, deren fratelli d’Italia die Rechtsaussen-Fraktion ECR dominiert. Auch von da wird bedingt Unterstützung signalisiert.
Von der Leyen bewies während der Pandemie Führungsstärke, allerdings auch jene Selbstherrlichkeit, die offenbar zu ihrem Stil gehört. Doch nach dem Angriff Russlands auf die Ukraine erfasste sie schneller als Scholz oder Macron die neue strategische Lage und war die Stimme Europas gegenüber Putin und den Amerikanern. Diese Leistung wird auch von vielen im Rat anerkannt.
Mindestens so wichtig ist aber, dass keine Gegenkandidaten aus dem Schatten getreten sind. Vor ein paar Wochen wurde Mario Draghis Name herumgeboten. Macron, so sagten Auguren, könnte ihn überraschend vorschlagen. Aber der französische Präsident hat für solche Experimente jetzt kaum Zeit und Nerven, wo das Rassemblement national das Parlament erobern könnte.
Auch zwei andere «Top Jobs» haben aussichtsreiche Kandidaten. Der portugiesische Ministerpräsident Antonio Costa möchte Ratspräsident der Staats- und Regierungschefs werden. Dieser Rat ist das mächtigste Organ der Union. Das Amt wird zurzeit vom Belgier Charles Michel versehen, der ein ungesundes Konkurrenzverhalten gegenüber von der Leyen entwickelte. Das Duo Costa-von der Leyen verspräche da mehr Harmonie und Effizienz.
Die Spitzenpositionen sollten in der EU regional ausgeglichen verteilt sein. Das wäre der Fall, wenn neben der Deutschen und dem Portugiesen die Estin Kaja Kallas als Chefin des Aussendienstes zum Zug käme. Die Ministerpräsidentin hatte sich vergeblich für den Posten der Nato-Generalsekretärin beworben. Sie unterlag damals gegen den Niederländer Mark Rutte. Jetzt stehen die Chancen besser.
Die scharfzüngige Kallas ist in der Russlandpolitik ein Falke. Sie würde die Stimme jener Osteuropäer verstärken, der Polen, Balten, aber auch der Rumänen, die gegenüber Putin eine harte Linie fahren. Das könnte für ihre Nomination auch ein Risiko sein. Denn es gibt Kritiker, die ihr vorwerfen, den aussenpolitischer Fokus zu eng nur auf den Nachbarn im Osten zu richten.
Eine Paketlösung ist wahrscheinlich
Weitgehend unbestritten scheint die Erneuerung des Mandats für die Parlamentspräsidentin, die konservative Malteserin Roberta Metsola. Zählt man auch ihr Amt auch zu den Top-Posten (was es wegen des geringeren politischen Gewichts eigentlich nicht ist), dann wäre das Geschlechterverhältnis an der EU-Spitze 3:1 zugunsten der Frauen.
Zwar sind Überraschungen immer möglich. Aber vieles spricht doch für eine solche Paketlösung, die regional und parteipolitisch einigermassen austariert ist. Das Interesse an einer zügigen Neubesetzung jedenfalls ist gross.