In den 1950er und 1960er Jahren waren Autobahnen Motoren des Fortschritts. Heute gelten sie als notwendiges Übel, das möglichst unter der Erde verschwinden soll.
Die erste Autobahn der Schweiz führte von einer Brauerei ins Nirgendwo. Weil der Bund in den 1950er Jahren noch keine Kompetenz im Strassenbau hatte (das Bundesgesetz
über die Nationalstrassen trat erst 1960 in Kraft), durfte er das erste Teilstück der Nationalstrasse zwar weitgehend bezahlen, aber nicht eröffnen. So war es der Luzerner Regierungsrat Vinzenz Winiker, der am 11. Juni 1955 das Band durchschnitt. Er übergab damit einen 4,1 Kilometer langen Abschnitt im Süden der Stadt Luzern zwischen der Brauerei Eichhof und Ennethorw dem Verkehr.
In der Innerschweiz war man unglaublich stolz auf den neuen Verkehrsweg, der mit einer modernen Autobahn nur wenig zu tun hatte. So hatte die Strasse weder Leitplanken noch Pannenstreifen und war auch für Velofahrer freigegeben. «Diese bahnbrechende Tat bedeutet einen Wendepunkt im schweizerischen Strassenbau, und es kann der Eröffnungstag gleich der damaligen Eröffnung der ersten Eisenbahnlinie Zürich–Baden als Ereignis von historischer Tragweite bezeichnet werden», schrieb die in Luzern erscheinende Zeitung «Vaterland» in einer Sonderbeilage.
Luxuswohnung mit Blick auf Autobahn
Kritik war am Eröffnungstag nicht erwünscht. Vielmehr kam das «Vaterland» geradezu ins Schwärmen. Die vierspurige Strasse habe dank ihrer harmonischen Linienführung «die betroffene Landschaft nicht nur nicht verschandelt, sondern geradezu bereichert», schrieb die Zeitung. Die direkt am Vierwaldstättersee entlangführende Autobahn wurde als Panoramastrasse verkauft, die neue Blicke auf die idyllische Schweiz eröffne.
So ästhetisch die ersten Nationalstrassen auf viele Betrachter wirkten, so beschränkt war zunächst ihr Nutzen. Denn es handelte sich um die ersten Puzzleteile des schweizerischen Autobahnnetzes und der europäischen Schnellstrassen. Im Falle des Teilstücks Luzern Süd–Ennethorw handelt es sich um die Gotthardautobahn als Teil der Europastrasse E 35 von Amsterdam über Frankfurt am Main nach Rom.
Vor den Römern freuten sich die Nidwaldner über die neue Autobahn. Für sie wurde der Abschnitt von Ennethorw (LU) bis Stansstad (NW) zum Tor zur Welt – mit dem Verschwinden der Drehbrücke über die Acheregg, die 1964/65 durch eine feste Autobahn- und Eisenbahnbrücke ersetzt wurde. Ein jahrhundertealter Verkehrsengpass wurde damit beseitigt.
Dies war für ein wichtiger Faktor für einen Boom im kleinen Kanton, der bis heute anhält. Zwischen 1970 und 2010 nahm die Bevölkerung um 60 Prozent zu. Nur der Kanton Zug wuchs noch stärker. Die Autobahn war nicht nur ein Motor des Fortschritts, sondern auch eine Attraktion. So warben Zeitungsinserate in Hergiswil (NW) für Luxuswohnungen mit Blick auf die Autobahn. «Die Menschen haben teilweise sieben Meter von der Autobahn weg gewohnt und die Autos beobachtet», erinnerte sich der Hergiswiler Architekt Hans Reinhard vor einigen Jahren in einem Gespräch mit der «Luzerner Zeitung».
Wesentlich nüchterner war die Stimmung 19 Jahre später, als der Autobahnabschnitt eröffnet wurde, der die Verbindung der Innerschweiz mit der Nord- und der Westschweiz sicherstellte. Bei der Inbetriebnahme des Reussporttunnels am 11. November 1974 verzichteten die Behörden auf das Durchschneiden eines Bandes. Der Tenor in den Medien war sehr zurückhaltend. «Bleibt nur zu hoffen, dass die Automobilisten vernünftig fahren», schrieb etwa das «Vaterland».
Die Zeitungskommentare spiegelten den Zeitgeist wider. Immer deutlicher wurde, dass der Fortschritt nicht zum Nulltarif zu haben war. Die wachsende Flut von Autos, die Lärm, Abgase und Umweltverschmutzung mit sich brachte, liess die anfängliche Euphorie vielerorts in Skepsis umschlagen. Die Erdölkrise von 1973 mit ihren hohen Benzinpreisen tat ein Übriges, um den Automobilisten die Freude am Fahren zu verderben. Der Bundesrat ordnete drei autofreie Sonntage an. Die Autobahnen gehörten für einmal den Fussgängern und Velofahrern.
Heute will niemand mehr eine Autobahn vor der eigenen Haustüre haben, wie der heftige Abstimmungskampf um die Ausbauvorlage zeigt. Wenn man als Anwohner ein solches notwendiges Übel in Kauf nehmen muss, soll die Strasse möglichst unterirdisch verlaufen.
Obwohl schon in den 1970er Jahren klar war, dass die Zeit der grenzenlosen Mobilität vorbei war, ging der Ausbau des Nationalstrassennetzes trotz Protesten in einigen Regionen weiter. Im Jahr 1976 wurde die Stadt Luzern mit der Eröffnung des Sonnenbergtunnels vom Transitverkehr befreit. Die Fertigstellung der Nord-Süd-Achse zwischen Amsterdam und Rom rückte ein weiteres Stück näher. Schlagzeilen machte der 1,6 Kilometer lange Tunnel aber vor allem, weil er eine wichtige Rolle im System der Gesamtverteidigung spielte.
Menschen statt Autos im Tunnel
Autobahnen und Armee waren während des Kalten Krieges eng miteinander verbunden. Die Schweizer Luftwaffe nahm schon früh Einfluss auf die Planung der Nationalstrassen. In ihrem Auftrag planten die Ingenieure auf mehreren Abschnitten schnurgerade Strecken von rund zwei Kilometern Länge. Zwischen 1970 und 1991 sperrte die Luftwaffe zehnmal einen Teil dieser Abschnitte und übte dort Start, Wartung und Landung mit Kampfflugzeugen verschiedener Typen. Im Juni 2024 kam es auf der Autobahn bei Payerne (VD) zu einer Neuauflage dieser spektakulären Aktionen.
Die kurvenreiche Strecke der A 2 in der Innerschweiz gehörte nicht zu diesen behelfsmässigen Kriegsflugplätzen, doch der Sonnenbergtunnel sollte im Ernstfall zu einer der grössten Zivilschutzanlagen der Welt umfunktioniert werden. 20 800 Einwohner der Städte Luzern und Kriens sollten im Kriegs- oder Katastrophenfall während zweier Wochen in den beiden Tunnelröhren Schutz finden. Für rund 40 Millionen Franken wurde über dem Tunnel eine Kaverne gebaut, in der ein Kommandoposten, ein Notspital mit zwei Operationssälen, ein Radiostudio sowie Arrestzellen untergebracht sind.
Erst im November 1987, also elf Jahre nach der Eröffnung, sollte der Zivilschutz zeigen, dass das Prestigeprojekt auch tatsächlich funktioniert. Die A 2, inzwischen dank Gotthard- und Seelisbergtunnel zur internationalen Nord-Süd-Verbindung geworden, wurde für mehrere Tage gesperrt. Staus auf der vielbefahrenen Strecke wurden zugunsten der Landesverteidigung in Kauf genommen.
Die Zivilschutzübung mit dem bezeichnenden Namen «Ameise», die das Interesse der Medien aus aller Welt weckte, endete für die Behörden in einem Desaster. Die vier je 350 Tonnen schweren Panzertore, die der Explosion einer Nuklearwaffe von einer Megatonne in einem Abstand von einem Kilometer standhalten sollten, schlossen sich viel langsamer als geplant.
Beim Aufbau der Liegeplätze und der übrigen Infrastruktur bewegten sich die eingesetzten Zivilschützer nicht geordnet wie Ameisen, sondern eher wie aufgescheuchte Hühner. Dank mehreren Journalisten, die sich unter die Dienstleistenden gemischt hatten, war die Bevölkerung stets bestens über das Neuste an Pleiten, Pech und Pannen informiert.
Wie so oft bei Prestigeprojekten wollten sich die Verantwortlichen das Scheitern nicht eingestehen und reduzierten nur die Kapazität auf 17 000 Unterbringungsplätze. Auf weitere Übungen verzichtete man wohlweislich. Erst 2006, 17 Jahre nach dem Fall der Mauer, verabschiedete sich die Stadt Luzern offiziell von den Plänen, im Krisenfall grosse Teile der Bevölkerung auf die Autobahn zu verfrachten. Wer heute durch den Sonnenbergtunnel fährt, wird durch die Inschriften «20 000 im Berg» an diese Episode der Schweizer Geschichte erinnert.
Autobahn soll verschwinden
Die A 2 im Raum Innerschweiz ist nicht Teil der Vorlage, über die am 24. November abgestimmt wird. Doch auch rund um Luzern soll eine neue Nationalstrasse gebaut werden. Das 1,7 Milliarden Franken teure Projekt heisst Bypass Luzern. Die Umgehungsautobahn soll laut dem Bundesamt für Strassen (Astra) die Leistungsfähigkeit der Autobahn rund um Luzern, den Verkehrsfluss und die Sicherheit verbessern. Die Baubewilligung für das Projekt wurde im Februar 2024 erteilt. Im Idealfall sollen die Baumaschinen 2025/26 auffahren.
Die Stadt Kriens wollte die Chance nutzen, die Lebensqualität für ihre Einwohner zu verbessern. Sie schlug deshalb vor, die bestehende A 2 auf einer Länge von rund einem Kilometer unter die Erde zu verlegen. Nachdem in den vergangenen Jahrzehnten in diesem Bereich bereits mehrere Tunnel und zahlreiche Lärmschutzwände gebaut worden waren, wäre das erste Autobahnteilstück der Schweiz fast vollständig unter der Erde verschwunden.
Das Astra hat diese Wünsche abgelehnt. Der Bund schlägt aber vor, die Autobahn an drei städtebaulich interessanten Stellen zu überdachen. Zumindest für einige hundert Meter bleibt die Ur-Autobahn der Schweiz also auch in Zukunft eine Panoramastrasse.