Es geht um Drachen, Sex und Magie und eine Kämpferin, die wegen einer chronischen Krankheit eher fürs Lazarett als fürs Schlachtfeld gemacht scheint. Ein Bucherfolg, der viel sagt über die Unterhaltungspräferenzen unserer Zeit.
Die Drachenreiter-Ausbildung an der Basgiath-Militärakademie ist so tödlich, dass jeden Morgen eine Liste der am Vortag gefallenen Kadetten verlesen wird. Dass die knapp 20-jährige Violet Sorrengail, klein, schwach und chronisch krank, dort nicht hingehört, war früh klar. Darum hat ihr Vater sie darauf vorbereitet, Schriftgelehrte zu werden. Doch kurz vor den Aufnahmeprüfungen ändert die Mutter, eine der einflussreichsten Generalinnen im Land, ihre Meinung: Die Tochter muss Drachenreiten lernen. Oder beim Versuch, dieses Ziel zu erreichen, sterben.
Im Bauch rumoren Wut und Todesangst, und auf den Schultern lastet der Rucksack mit allem, was sie besitzt, als Violet zur ersten lebensgefährlichen Prüfung schreitet. Im Kopf hämmert die Warnung ihrer grossen Schwester: «Hüte dich vor Xaden Riorson.» Er ist der Sohn des Rebellenführers, den die Militär-Mutter eigenhändig umgebracht hat.
Während sie die 250 Treppenstufen zur ersten Prüfung hochsteigt, lernt Violet ihre beste Freundin Rhiannon und ihren Todfeind Jack kennen. Als sie schliesslich die letzte Stufe genommen hat, blickt sie einem atemberaubend schönen Mann in die hasserfüllten Augen: Xaden Riorson. Violet ist augenblicklich schockverliebt. Neben Wut und Angst hat sie nun auch noch eine unzähmbare Lust im Bauch.
Helden-, Lust- und Liebesgeschichte
Es folgt ein Ringen in bisher drei Bänden: «Fourth Wing» (2023), «Iron Flame» (2023) und dem vor einem Monat erschienenen, Verkaufsrekorde brechenden «Onyx Storm». 2,7 Millionen Bücher gingen in der ersten Woche allein in den USA über die Ladentheke. 12 Millionen Bücher der «Empyrean»-Serie hat Rebecca Yarros dort insgesamt verkauft.
In den drei (von angekündigten fünf) publizierten Bänden kämpft Violet gegen ihre Gefühle für und ihre Lust auf Xaden, gegen Jack und seine Verbündeten, die lieber ihre Mörder sein wollen als ihre Klassenkameraden, und gegen ihren schwachen Körper. Sie kämpft um das Bestehen immer neuer tödlicher Prüfungen, um den Respekt ihrer Kommilitonen und schliesslich um die Erhaltung einer Welt, die nur sie allein retten kann. Gemeinsam mit ihren Drachen, versteht sich. Von denen nicht einer, wie das normal wäre, sondern deren zwei sie zu ihrer Reiterin erkoren haben.
So weit, so Fantasy. Zur Helden- kommt die Lust- und Liebesgeschichte, während der Violet und Xaden von Feinden zu Verliebten werden, sich streiten, wieder finden, erneut entzweien, erneut versöhnen. Letzteres klingt dann zum Beispiel so: «Sein Mund formt ein verschlagenes Lächeln, das augenblicklich meinen Puls beschleunigte und die heisse Wut in meinem Körper zu einem noch heisseren Feuer formte.» Es folgt Sex auf dem Thron, den Xaden besetzt, wenn er nicht gerade die Schulbank drückt.
Die Sexszenen sind zahlreich, und sie sind explizit. Ob sie auch erotisch sind, entscheidet die individuelle Neigung. Sie sind aus solchen Sätzen gebaut: «Ich gleite mit meiner Hand unter seinen Hosenbund und umfasse seine dicke Länge.» Oder: «Die Spitze seines Penis stupst an meinen Eingang.»
Fans wehren sich dagegen, dass ihre liebste Romantasy-Serie – ein Kofferwort für einen Liebesroman, der in einer Fantasiewelt spielt – genau genommen mindestens «soft porn» sei: Die Sexszenen würden nicht einmal einen Viertel der Romane ausmachen. Tatsache ist aber: Sind Violet und Xaden nicht gerade zusammen im Bett, denken sie daran. Versuchen mit aller Macht, die Lust aufeinander zu bändigen – sie dürfen nicht, aber sie wollen gern –, und steigern sie damit umso mehr. Mit etwas gutem Willen kann man statt von «soft porn» also von einem ausgiebigen Vorspiel sprechen.
Die «Empyrean»-Serie ist fast schon Sünde
Die Autorin Rebecca Yarros hat sich für ihr Werk von der bisher erfolgreichen Fantasy-Literatur inspirieren lassen. Von einem Best-of kann man allerdings nicht sprechen, denn sie bediente sich derart fahrig und breitete das alte Material so dünn aus, dass es fast schon Sünde ist.
Allem voran erinnert die Liebesgeschichte zwischen Violet, die in vielem anders ist als die Mehrheit, und dem geplagten, zuweilen gefährlichen Xaden an «Twilight»: Bei Stephenie Meyer verliebt sich ein jahrhundertealter Vampir in eine Highschool-Aussenseiterin. Wie J. K. Rowlings Harry Potter wird Violet in einem Zaubererinternat ausgebildet. Doch während Rowling auch für scheinbar unwichtige Nebenfiguren komplette Biografien ausgearbeitet hat, sind bei Yarros abgesehen von der Protagonistin alle Figuren dünn wie Pappe.
Vielleicht ist das so, weil es dieser Leserschaft mehr um eine Projektionsfläche und weniger um Identifikationsfiguren geht. Vielleicht kann die Autorin es aber auch einfach nicht besser. Einzig Xaden bekommt eine etwas elaboriertere Hintergrundgeschichte – sie dient nämlich verschiedentlichen Konflikten mit Violet, die wiederum das Vorspiel in die Länge ziehen.
Violet Sorrengail ist nicht so schlau, wie sie sein müsste
Wie J. R. R. Tolkien in seinem «Lord of the Rings» hat auch Yarros eine eigene Welt mit eigenen Sprachen kreiert. Anders als bei Tolkien, dessen erfundene Sprachen über eigene Wörterbücher und Grammatiken verfügen, bleiben die Sprachen bei Yarros allerdings wortlose Attrappen. Sie dienen nicht dem Bau einer komplexen Fantasiewelt mit eigenen Regeln, Geschichten und Kulturen. Sie sind nur eines der wenigen Mittel, die Yarros hat, um die immer wieder betonte Intelligenz ihrer Protagonistin unter Beweis zu stellen. Im Roman ist Violet weder schlagfertig, noch hat sie eine schnelle Auffassungsgabe oder erkennt komplizierte Zusammenhänge, die anderen verborgen bleiben. Was sie kann, sind Sprachen. Und auswendig gelerntes Wissen rezitieren. Für ihre Kommilitonen – und ihre Schöpferin – scheint das als Beleg für einen grossen Intellekt zu reichen.
Während Tolkien Landkarten gezeichnet und Topografien ausgearbeitet hat, heisst bei Yarros der einzige Kontinent, den es gibt, «Der Kontinent». Ihre Welt gleicht einer blanken, lichtlosen Kunstinstallation, bei der sich stets nur jenes Feld erhellt, auf dem man gerade steht. «Man» ist in Yarros’ lebloser Installation gleichbedeutend mit Violet. Denn alles Geschehen geschieht nur in Bezug auf sie. Es ist eine seltsam leere Welt, die Yarros geschaffen hat. Eine Theaterbühne – mit einem einzigen Scheinwerfer.
Schwarzes Kleid oder rotes Kleid?
Yarros’ Militärakademie mit ihrem ausgeprägten Konkurrenzkampf, bei dem die Kadetten sich gegenseitig umbringen, erinnert auch an «Die Tribute von Panem» von Suzanne Collins, wo eine Handvoll Jugendlicher sich in einem tödlichen Wettkampf gegenseitig jagt. Während das Morden bei Collins ein Instrument ist, um eine zutiefst menschenverachtende, unterdrückende Herrschaftsstruktur zu erhalten, hat es bei Yarros keinen inhaltlichen Grund. Es dient einzig dem billigen Spannungsaufbau.
Besonders deutlich wird das beim Hörbuch: Die Sprecherin ist konstant ausser Atem. Kaum ein Umblättern kommt ohne einen Augenblick aus, in dem die Spannung gesteigert wird, hin zu einem alles entscheidenden Moment. Jede Berührung könnte ein Mordversuch sein. Jeder Schlagabtausch im Kampftraining tödlich. Auch die Frage, ob Violet ihrem Xaden in einem schwarzen Kleid wirklich besser gefällt als in einem farbigen – leuchtend rot etwa, wie das Xadens ehemalige Verlobte zur gleichen Feier trägt –, wird zugespitzt, als hinge das Überleben der Welt von Xadens Geschmack ab.
Mit einer tiktokhaften Frequenz wird die Spannung jeweils über eine minimale Zeitspanne gesteigert, um dann wieder abzufallen. Fast alle Schocker bleiben folgenlos, doch eine Generation, die sich durch die kurzen Videos der sozialen Netzwerke sofortige Dopaminkicks gewohnt ist, braucht die leicht verdauliche Spannung. Denn weder Beziehungen noch Spannungsbögen oder Erkenntnisse werden langsam aufgebaut. Die Leserschaft muss nie lange bangen, lange mitleiden oder sich über mehrere Kapitel ärgern, bevor ihrer Heldin dann doch Gerechtigkeit widerfährt.
Ein Buch wie eine Reihe von Tiktok-Videos
Yarros will es ihrer Leserschaft möglichst leicht machen. Keine komplizierte Sprache, keine unangenehmen Gefühle – zumindest nie über viele Seiten. Und ganz sicher keine Überforderung: Ist eine Beobachtung oder Erkenntnis wichtig, wird sie mehrmals wiederholt und erklärt. Das geht bis zum gelegentlichen Witz und klingt dann so: «We might not compliment each other, but we complement each other. Get it? With an e instead of the i?» Man mache sich gegenseitig zwar keine Komplimente, ergänze sich aber gut, sagt Violet zu ihrer Konkurrentin.
Diese Mischung aus schneller Befriedigung durch die zahlreichen, in rascher Folge verabreichten Spannungssequenzen und einer leicht konsumierbaren, repetitiven Berieselung erinnert nicht zufällig an Social Media. Dort liegt einer der wichtigsten Gründe für den Erfolg der «Empyrean»-Serie: Booktok. In der Literatur-Rubrik von Tiktok befeuert man sich gegenseitig: Romantasy-Bücher werden oft dort beworben. Das kurbelt die Verkaufszahlen an und vergrössert die Fangemeinde. Das wiederum hat die Produktion von noch mehr ähnlichem Content zur Folge. Denn die Macher wissen: Diese Inhalte werden geklickt. So wird, was einmal gross ist, schnell gigantisch.
Liest man schliesslich die Dialoge zwischen Violet und ihren beiden Drachen, sie können mittels Telepathie plaudern, lästern und einander belehren, erinnert das an die Dialoge in Cressida Cowells Kinderbuch «Drachenzähmen leicht gemacht». Bloss fehlt in den oft hölzernen Drachensprüchen von Yarros Cowells Schalk.
Nur geduldig, das sind Rebecca-Yarros-Fans nicht
Die Empyrean-Serie gehört als Romantasy-Serie zum Genre «New Adult», konzipiert für eine junge, aber nicht mehr jugendliche Leserschaft. Yarros, wie fast alle New-Adult-Autoren, ist eine Schnell- und eine Vielschreiberin. Bevor die Geschichte von Violet sie weltberühmt machte, hatte sie bereits 20 mässig gut verkaufte Liebesromane geschrieben. Auch im Jahr 2023, als «Fourth Wing» erschien, habe sie noch 4 weitere Bücher geschrieben, erzählte Yarros in einem Podcast.
Romantasy-Fans verzeihen Stilblüten ebenso wie Logikfehler. Nur geduldig, das sind sie nicht. Sie wollen ihre Bücher, und sie wollen sie sofort. Davon erzählen auch die Bestsellerlisten. Im Februar besetzte Yarros’ «Onyx Storm» die ersten beiden Plätze der Schweizer Bestsellerliste: auf Platz 1 die Deluxe-Ausgabe mit edlem Schutzumschlag und farbigem Schnitt – New-Adult-Leser sind auch Sammler, New-Adult-Verkäufer sind sehr gute Verkäufer – und auf Platz 2 die günstigere Standardausgabe. In den USA wurde «Onyx Storm» zum am schnellsten verkauften Erwachsenenroman überhaupt. Heute sind die Bücher zumindest von der Schweizer Bestsellerliste wieder verschwunden.
Unterhaltungsliteratur gab es schon immer, und Eskapismus ist nicht verboten. Luststeigerung erst recht nicht. Dennoch ist die Erkenntnis aus der Lektüre dieser besonders bei 20- bis 30-jährigen Frauen unglaublich erfolgreichen Serie eine traurige. Sie feiern ein Buch, das auf keiner Ebene auch nur die geringsten Ansprüche an sie stellt. Yarros’ Bücher sind wie Fast Food: schnelle Befriedigung, viel Fett und Salz, um mit der steigenden Toleranz ihrer Konsumenten mithalten zu können, aber kein anhaltendes Sättigungsgefühl. Was, wenn diese grosse Lesergruppe irgendwann gar nichts Nahrhafteres mehr zu verdauen vermag? Optimisten bleibt schon jetzt nur zu sagen: Immerhin lesen sie noch.
Rebecca Yarros: Onyx Storm. The Empyrean Series. Roman. Little, Brown Book Group, Boston 2025. 544 S., Fr. 46.90.