Der ARD-Filmemacher Hubert Seipel schrieb schönfärberische Bücher über Wladimir Putin. Der Fall des einst hofierten «Experten» ist symptomatisch für die Verirrungen der deutschen Russlandpolitik.
Hubert Seipel ist sich keiner Schuld bewusst. Ja, so schrieb er am 11. Januar in der «Weltwoche», er habe eine «Sponsorship» aus Russland angenommen, um seine Bücher zu schreiben. Aber: «Bereue ich das nun? Nein.» Er habe das Geld für Recherchen gebraucht, und Fehler seien ihm nie nachgewiesen worden. Deshalb sei er Opfer einer «hübschen Diffamierung», die ihn an Inquisition, Hexenjagden und die McCarthy-Ära in den USA erinnere.
Die Schlagzeilen, die in den letzten Tagen und Wochen über den 74-jährigen Dokumentarfilmer kursierten, sind tatsächlich wenig schmeichelhaft. «Putin-Schleimer» nennt ihn die «Bild»-Zeitung, «russisches U-Boot» die «Zeit». Seine ehemaligen Kollegen im deutschen öffentlichrechtlichen Rundfunk schmähen ihn als «Putins Mann in der ARD», und die «Frankfurter Allgemeine» fragt: «Geht’s noch, Herr Seipel?»
Geld aus Putins Machtzirkel
Hubert Seipel gehört in Deutschland zu den bekanntesten Russland-Erklärern. Er spricht zwar kaum Russisch, erhielt aber zum Ärger anderer Journalisten exklusiven Zugang zum russischen Präsidenten und zu dessen Entourage. Für den Norddeutschen Rundfunk der ARD drehte er Filme über den russischen Energiegiganten Gazprom (2009) und über Wladimir Putin («Ich, Putin», 2012). 2014 durfte Seipel ein Interview mit dem russischen Präsidenten führen, das in der ARD-Sendung «Günther Jauch» zur besten Sendezeit ausgestrahlt wurde, exklusiv und vor einem Millionenpublikum.
Zum Verhängnis wurden Seipel zwei Bücher, die er 2015 und 2021 veröffentlichte, mit der kaum verhohlenen Absicht, Verständnis für Putin und Russland zu wecken. Für das erste Buchprojekt, so deckte ein Journalistenkonsortium auf, erhielt Seipel vom russischen Oligarchen und Putin-Freund Alexei Mordaschow einen Beitrag in unbekannter Höhe, für das zweite bekam er aus der gleichen Quelle 600 000 Euro. Seipel, der offiziell unabhängige Journalist und Russland-Experte, wurde damit aus jenem Machtzirkel alimentiert, den er zu analysieren vorgab. Der Filmemacher und Autor hatte das stets bestritten – und eine entsprechende Frage bei einem Radiointerview 2021 mit einem theatralischen «Geht’s noch?» quittiert.
Seither ist die Empörung gross. Seipels Filmbeiträge werden aus den Mediatheken entfernt. Sein Verlag Hoffmann und Campe hat den Verkauf seiner Bücher gestoppt. Der Journalistenverein «Netzwerk Recherche» will ihn rausschmeissen, Preise sollen ihm aberkannt werden. Der Norddeutsche Rundfunk (NDR) ordnete eine Untersuchung an, in der unter anderem geprüft wurde, ob für Filme wie «Ich, Putin» ebenfalls Gelder geflossen waren und ob die Redaktion über die Zahlungen aus Russland informiert worden war.
Putin stellt sich als Mann der demokratischen Werte dar
Das war, wie der Sender am Donnerstag mitteilte, nach bisherigen Erkenntnissen nicht der Fall. Aber, so räumte man bei der Präsentation des vom ehemaligen «Spiegel»-Chefredaktor Steffen Klusmann verfassten Berichts ein, der NDR habe «Seipel über die Jahre zu sehr hofiert und zu wenig kritisch hinterfragt». Ein «klares journalistisches Versagen» wollte der NDR-Intendant Joachim Knuth jedoch nicht erkennen: Man müsse Seipels Wirken «in die Zeit hineintextualisieren».
Falls damit gemeint war, dass man Seipel und seine Mentoren im öffentlichrechtlichen Rundfunk im Kontext einer anderen Zeit betrachten muss, hat Knuth wohl recht. Seipels Filme, Interviews und Bücher waren zwar schon früher schönfärberisch, beseelt vom Glauben, Putin sei das Opfer eines arroganten, expansiven Westens. Aber heute fällt es mehr Leuten auf.
So sieht man bei «Ich, Putin», wie der damalige Ministerpräsident ein Flugzeug besteigt. Er fliege, so sagt die Stimme aus dem Off, durch die Zeitzonen des Landes, «um persönlich nach dem Rechten zu sehen, wenn es sein muss». In einer anderen Szene erklärt Putin, die Medien würden in Russland nicht behindert. Oder er prahlt damit, dass er die Verfassung nicht auf sich zugeschnitten habe, weil er glaube, «dass es grundlegende Werte gibt, an die sich das Land gewöhnen sollte». Putin, so suggerieren die Filmemacher gleich selber, sei erst aggressiv, «seit die Nato Raketen an der Grenze Russlands aufstellt».
Seipels Filme legitimierten die deutsche Russlandpolitik
Von Morden an unbequemen Journalisten erfährt man in dem Film nichts, Kritiker kommen kaum zu Wort. Anders als es die Schlagzeilen der letzten Wochen vermuten lassen, stiess diese Art von Journalismus in Deutschland noch vor wenigen Jahren auf Anklang, zumindest in einem namhaften Teil der Öffentlichkeit. Selbst Medien, die Seipel heute gnadenlos demontieren, fanden einst lobende Worte für ihn. Die «FAZ» etwa pries «Ich, Putin» als «überzeugendes Porträt» an. Die «Süddeutsche» fand, er habe alle nötigen Fragen gestellt, und der «Spiegel» attestierte dem Filmer gar, er habe Putins Inszenierung «durchbrechen» können. 2014 erhielt Hubert Seipel den deutschen Fernsehpreis – in der Kategorie «beste Information».
Das Bild, das Seipel von Russland zeichnete, war auch politisch mehrheitsfähig. Es legitimierte die Regierungspolitik von CDU, CSU und SPD, die auf eine Partnerschaft mit Russland ausgerichtet war – und die sich unter anderem in Gasgeschäften und zärtlichen Gesten zwischen dem russischen Aussenminister Sergei Lawrow und seinem damaligen Amtskollegen Frank-Walter Steinmeier manifestierte.
«Seipels Filme sind ein Phänomen einer Zeit, in der in Deutschland immer wieder zu hören war, man müsse doch ‹auch mal ein positives Russland zeigen›», schreibt die ehemalige Moskau-Korrespondentin und ARD-Reporterin Gesine Dornblüth in einem Gutachten für den oben erwähnten Klusmann-Bericht. Seine journalistischen Beiträge, darunter ein vielbeachtetes Interview mit dem nach Russland geflüchteten US-Agenten Edward Snowden, hätten die Wirklichkeit durch Auslassungen und die unkritische Übernahme von «Kreml-Narrativen» konsequent verfälscht. Sie bedienten «eine Sehnsucht nach Harmonie oder Normalität gegenüber Russland, die später dazu führte, dass weite Teile der deutschen Öffentlichkeit den Krieg, den Russland bereits 2014 gegen die Ukraine begann, nicht als solchen benannten».
Gerade im öffentlichrechtlichen Rundfunk durften Russland-Verklärer wie Hubert Seipel und Gabriele Krone-Schmalz das Russlandbild der Deutschen massgeblich mitprägen; dies trotz internen Warnungen. Gemäss einer Auswertung des Osteuropa-Experten Marcus Welsch zählten «Russland-Apologeten» von 2013 bis 2023 zu den am häufigsten eingeladenen Talkshow-Gästen bei ARD, ZDF und Phoenix.
Fernsehpreis für «beste Information»
Hubert Seipel stellt sich bis heute auf den Standpunkt, er habe bloss «Putins Sicht vorgestellt». Er sei ja nicht von Putin bezahlt worden, und auch andere Journalisten liessen sich für Interessen einspannen. Seine russischen Sponsoringverträge hätten ihn in keiner Weise beeinflusst. «Meine Einschätzungen», so schreibt er in der «Weltwoche», «haben sich nicht grundsätzlich geändert. Was sich verändert hat, sind das politische Klima und die öffentliche Meinung.»
In dieser Hinsicht mag man ihm kaum widersprechen.