Mit regionalen Talenten hat der FC Magdeburg 1974 den grössten Erfolg des DDR-Fussballs geschafft. Heute kämpfen Klubs aus dem Osten auch 35 Jahre später noch mit den Auswirkungen der Wende.
In weissen Bademänteln laufen die Fussballer des 1. FC Magdeburg am 8. Mai 1974 über den Platz der De-Kuip-Arena in Rotterdam. Gerade haben sie gegen die AC Milan mit dem Trainer Giovanni Trapattoni gewonnen. Die Mailänder gehören zu dieser Zeit zu den besten Mannschaften Europas.
Der Magdeburger Sieg im Europapokal der Pokalsieger ist der wichtigste Erfolg im DDR-Klubfussball. Noch nie hat ein ostdeutscher Verein einen europäischen Wettbewerb gewonnen. Die Siegprämie durfte die Mannschaft aber nicht behalten. Der Fussballverband zog das Geld ein und verwendete es für die Vorbereitung auf die WM 1974.
Heute spielt Magdeburg in der 2. Bundesliga. Nach schwierigen Jahren an der Schwelle zum Profifussball und am Rande der Insolvenz kämpft der Klub um den Ligaerhalt. Das gleiche Schicksal ereilte die meisten Vereine aus der ehemaligen DDR.
Nur sechs Klubs, die schon zu DDR-Zeiten existierten, spielen in den höchsten drei Ligen: Union Berlin, Hansa Rostock, Magdeburg, Dynamo Dresden, Erzgebirge Aue und der Hallesche FC. Keiner der Vereine hat seit der Wiedervereinigung einen bedeutenden Titel gewonnen.
Staat und Partei regieren in den Sport hinein
Die meisten ostdeutschen Fussballvereine wurden in den 1950er und 1960er Jahren gegründet. Doch der Fussball hatte einen schweren Stand. Für die DDR standen olympische Erfolge an erster Stelle. Dafür wurden Talente früh gesichtet, Kinder schon im Klassenzimmer gewogen und vermessen. Die DDR legte den Fokus auf Schwimmen, Turnen, Rudern und Leichtathletik – dort gab es an Olympia die meisten Medaillen zu gewinnen.
Die Historikerin Jutta Braun hat die Geschichte des DDR-Fussballs aufgearbeitet und erinnert sich im Gespräch mit der NZZ an einen bestimmten Satz: «Lothar Kurbjuweit, ein junger Trainer von Carl Zeiss Jena, wurde 1985 von einem westlichen Reporter gefragt, warum in der DDR-Auswahl nicht so viele hochgewachsene Spieler seien. Er antwortete: ‹Die langen Fussballer sind bei uns Ruderer.›» Kurbjuweit habe dafür ziemlichen Ärger gekriegt, sagt Braun. «Im Grunde hat er offen gesagt, wie stark Staat und Partei in den Sport regierten.»
Die Staatsführung merkte bald, dass Fussball in der Bevölkerung beliebt war. Sie wollte daraus Kapital schlagen und gründete Klubs. Etwa den BFC Dynamo Berlin, den Klub des Ministeriums für Staatssicherheit. Unter der Aufsicht des Stasi-Chefs Erich Mielke holte Dynamo zehn Titel in Serie. Die Armee unterhielt den ASK Vorwärts Berlin. Der Klub aus Strausberg dominierte die Anfänge der DDR-Oberliga nach dem Mauerbau. Die Nationale Volkspolizei besass in Dynamo Dresden ihr sportliches Aushängeschild. Die Spieler wurden gemäss ihrem Dienstgrad bezahlt und hatten Uniform und Stahlhelm daheim.
Wie in den olympischen Kernsportarten legte die DDR auch im Fussball viel Wert auf die Talentförderung. Das grosse Ziel des Staates war, dass die Vereine die DDR international repräsentieren. Sportliche Erfolge wurden als Beweis für die Überlegenheit des sozialistischen Systems angesehen.
Was in anderen Sportarten funktionierte – allerdings auch wegen Staatsdopings –, klappte auch im Fussball: 1972 in München gewannen die DDR-Fussballer Olympiabronze, vier Jahre später in Montreal errangen sie Gold. Die Nationalmannschaft blieb abgesehen davon unauffällig und qualifizierte sich nur 1974 für die WM. Diese fand ausgerechnet in der Bundesrepublik statt; in der Vorrunde triumphierte die DDR 1:0 über die BRD.
Grösser waren die Erfolge im Klubfussball. Teams aus der DDR erreichten zwischen 1970 und 1980 im Europapokal regelmässig den Viertel- oder Halbfinal. Und das, obwohl das Land und sein Fussball auf dem Transfermarkt stark eingeschränkt waren. Umso höher sei der Erfolg des FC Magdeburg vor 50 Jahren einzustufen, sagt die Historikerin Braun: «Der Klub hat diesen internationalen Erfolg mit Talenten aus der Region erreicht.»
Das Ende der DDR-Oberliga
In den 1980er Jahren wurden die Erfolge von DDR-Teams weniger. Das Land litt unter wirtschaftlichen Problemen, die sich auch auf den Fussball auswirkten. Die Finanzen waren knapp, die Klubs hatten Mühe, die Stadien zu unterhalten und Talente zu fördern. Der Abstieg ging schleichend vonstatten und endete mit einem Knall: Am 9. November 1989 brach die DDR zusammen und mit ihr das System des Staatssports.
Hans-Georg Moldenhauer war der letzte Präsident des DDR-Fussballverbandes. Der Deutschen Presse-Agentur sagte er vor einigen Jahren: «Als der Einheitstermin (3. Oktober 1990) feststand, war alles kaputt. Es gab keine Förderung durch den Turn- und Sportbund der DDR mehr.»
Moldenhauer handelte mit dem damaligen DFB-Präsidenten Hermann Neuberger die Vereinigung der Fussballligen aus. Der letzte DDR-Meister Hansa Rostock und das zweitplatzierte Dynamo Dresden rückten in die Bundesliga auf. Rot-Weiss Erfurt, der Hallesche FC, der Chemnitzer FC, Carl Zeiss Jena, Lok Leipzig und Stahl Brandenburg wurden in die 2. Liga versetzt.
Der 1. FC Magdeburg verschwand als Zehnter der Saison 1991 im Amateurbereich.
Von heute auf morgen mussten die DDR-Vereine auf Selbstorganisation umschalten. Und das in einer Phase, in der sich der Fussball kommerzialisierte. Das Privatfernsehen kam auf, die Spielergehälter schossen in die Höhe. Die Historikerin Braun sagt: «Der Ost-Fussball musste aus dem Stand eine doppelte Transformation durchmachen. Den Kommunismus abstreifen und gleichzeitig diese extreme Kommerzialisierung annehmen.» Viele hätten das nicht geschafft.
Ein Ost-Verein in der Champions League
Hinzu kam, dass finanzstarke Klubs aus dem Westen dem Osten die Talente wegkauften. Rund 150 Spieler wechselten in den ersten fünf Jahren nach der Wende in den Westen, darunter Michael Ballack, der spätere Captain der Nationalmannschaft. Braun sieht diese Transfers weniger kritisch, einige Spieler hätten lange darauf gewartet, in den Westen wechseln zu dürfen. Für die DDR-Vereine war das aber zu viel. Die meisten von ihnen verschwanden im sportlichen Niemandsland.
Noch heute leiden diese Vereine wegen tieferer Einkommen und schwächerer Wirtschaft unter Standortnachteilen. Auch der Sprung in den Profibereich ist für junge Spieler schwieriger als im Westen. Die wenigen Profiklubs im Osten setzen vergleichsweise selten auf Nachwuchsspieler – zu gross ist die Angst davor, wieder im sportlichen Amateurbereich zu versinken.
Es gibt Vereine im Osten, die zeigen, dass es anders gehen kann. Union Berlin hat sich von der 2. Bundesliga in die Champions League hochgearbeitet und setzte auf Kontinuität und kluge Personalentscheidungen. Auch die treue Fangemeinde hat dem Verein immer wieder geholfen. RB Leipzig hat den Red-Bull-Konzern im Rücken. Der Klub kaschiert in keiner Weise, woher seine finanziellen Mittel kommen. Red Bull zahlt und befiehlt. Und das bringt den Erfolg.