Der Automobilverbandspräsident Mohammed Ben Sulayem legt sich mit dem Management der Königsklasse an. Der Kampf um die Vorherrschaft im Motorsport spitzt sich zu.
Die längste Saison der Formel-1-Geschichte, die am Samstag im Königreich Bahrain beginnt, hatte einen ebenso reichen Vorlauf. Im für gewöhnlich eher ruhigen Rennwinter ereigneten sich bereits: der Rauswurf des populären Teamchefs Günther Steiner, der angekündigte Wechsel von Lewis Hamilton zu Ferrari sowie die Ermittlungen gegen den Red-Bull-Chef Christian Horner. Vor allem aber schwelt hinter den Kulissen des Top-Motorsports ein Machtkampf zwischen dem Automobilweltverband (FIA) und dem Formel-1-Management (FOM), der im Extremfall zu einer Abspaltung der Rennserie führen könnte.
Der FIA-Präsident schaltet seine Compliance-Abteilung ein
Zu Beginn der Weihnachtszeit hatte es noch eine dubiose Anschuldigung gegen den Mercedes-Miteigentümer Toto Wolff und seine Ehefrau Susie gegeben, die die neue Frauen-Rennserie F1 Academy leitet. Die beiden hätten in ihren unterschiedlichen Funktionen Informationen ausgetauscht und dem Formel-1-Rechte-Inhaber Liberty Media zugespielt. Die angesehenen Wolffs als Doppelagenten? Publik gemacht wurde die Unterstellung eines Branchenblättchens durch den Whatsapp-Verteiler der FIA. Dessen Präsident Mohammed Ben Sulayem hatte sofort seine Compliance-Abteilung eingeschaltet.
Nur zwei Tage später war die Luftblase geplatzt, und die FIA musste peinlicherweise zurückrudern, nachdem in einer bisher noch nie erfolgten schriftlichen Solidaritätsbekundung alle anderen neun Rennställe versichert hatten, keinerlei Beschwerde wegen eines möglichen Interessenkonflikts eingelegt zu haben. Und so blieb der anonyme Funktionär, auf den sich Ben Sulayem berufen hatte, ominös. Kleinlaut folgte die Erklärung vonseiten der FIA, dass die Ermittlungen eingestellt worden seien – allerdings nicht ohne die moralische Eigenwerbung, der Verband bekräftige sein Engagement für Integrität und Fairness.
FIA Paris office staff gathering today. I am grateful for your incredible passion, hard work and dedication.
Your commitment to motor sport and mobility is truly amazing. Merci beaucoup for your tireless efforts in making a positive impact on the world of the FIA. pic.twitter.com/ItNVU5ZvEa— Mohammed Ben Sulayem (@Ben_Sulayem) January 24, 2024
Für die Formel 1 war das ein Zusammenstoss zu viel. Bereits mehrfach hatte es unwillkommene Crash-Tests mit dem vor zwei Jahren ins Amt berufenen Präsidenten aus den Vereinigten Arabischen Emiraten gegeben. Der 62-Jährige versteht sich als klassischer Regent, Respekt und Anerkennung sind ihm besonders wichtig; die Gewaltenteilung im Grand-Prix-Sport offenbar nicht so sehr. Sie besagt, dass die FIA sich um die Regeln kümmert und die FOM im Auftrag von Besitzer Liberty Media um das Geschäft.
Für Ben Sulayem ist das offenbar eine Kann-, aber keine Muss-Bestimmung. Mal kommentierte er den Marktwert der Formel 1 als zu aufgeblasen, dann wusste er von einem Übernahmeangebot der Saudi für 20 Millionen Dollar. An den Börsen hatte das Folgen, und die Juristen des Formel-1-Managements teilten unmissverständlich mit, Ben Sulayem habe sich da rauszuhalten.
Sein daraufhin angekündigter Rückzug aus dem Tagesgeschäft geschah aber nur halbherzig, Ben Sulayem verwies gern darauf, dann habe sich Liberty Media umgekehrt auch bei Regelfragen zurückzuhalten. Seine Einwürfe reichten von einem Maulkorberlass für die Rennfahrer bis zu politischen, religiösen und persönlichen Kommentaren. Doch die Teams und Rennfahrer, die immer wieder öffentlich Aktionen zu Diversität und Menschenrechten unterstützt hatten, liessen sich den Mund nicht verbieten.
Judikative und Exekutive sind im eng verflochtenen Renngeschäft besonders schwer zu trennen und Teil eines ebenso komplizierten wie fragilen Grundgesetzes namens «Concorde Agreement». Das Geschäft auf Gegenseitigkeit muss für 2026 neu verhandelt werden; die gegenwärtigen Verwerfungen sind bereits eine Ouvertüre für die Neuverhandlungen. Es geht um Egos, Macht und Einfluss. Pikant ist, dass die FIA von der Formel 1 sowie deren Gebühren und Zuschüssen lebt. Da verwundert es nicht, dass die Maximalbusse auf eine Million Euro hochgesetzt wurde. Ben Sulayems Kernaussage aber ist die der Unabhängigkeit: «Wir sind hier, um den Motorsport zu erhalten. Wir schauen nicht auf den Marktanteil.» Damit verkörpert Ben Sulayem eine Besitzer-Attitüde, obwohl er de facto eher ein Dienstleister ist.
Dass sich der FIA-Präsident starkgemacht hatte für eine Zulassung des Andretti-Rennstalls als elftem Team wurde daher prompt vom Formel-1-Chef Stefano Domenicali wieder ausgehebelt. So geht das Katz-und-Maus-Spiel immer weiter. Damit verbunden ist die Sorge, dass auf Dauer sowohl der Top-Motorsport wie die Marke Formel 1 Schaden nehmen könnten.
Angesehene Grössen verlassen die FIA – folgt nun die Abspaltung der Formel 1?
Die Alleingänge nach aussen sind nicht das einzige Problem für den Nachfolger des ebenso stark in der Formel-1-Politik engagierten Jean Todt. Dieser kam wie Ben Sulayem aus dem Rally-Sport, doch der Franzose reagierte in der Königsklasse mit mehr politischer Fortune.
Auch im Binnenverhältnis wurde die FIA in den letzten Monaten deutlich geschwächt. Auf der höchsten Ebene kam es zu einem Exodus, angesehene Grössen wie der Sportdirektor Steve Nielsen und der Technikdirektor Tim Goss verliessen den Verband. Dass der ehemalige Sauber-Techniker Jan Monchaux kürzlich als Ersatz für Goss gewonnen werden konnte, besänftigte die Kritiker aus der Formel 1 nicht.
Former Alfa Romeo tech boss Jan Monchaux is to join the FIA as its new single seater technical director. https://t.co/vzrssh1I3t#F1.
— Jon Noble (@NobleF1) February 13, 2024
Die Allianz der Teams und der FOM liebäugelt nach all den Differenzen und Kontroversen mit einem radikalen Schritt. Gemäss Informationen der BBC haben die Eigentümer von Liberty Media die Geduld verloren und ziehen eine Abspaltung der Formel 1 von der FIA in Erwägung, sollten sich die führenden Persönlichkeiten der FIA weiterhin «nachteilig» verhalten.
Erste Pläne für eine Abspaltung gab es bereits nach Auseinandersetzungen in der Saison 2022. Die Diskussionen um einen Alleingang der Formel 1 gehen nun in eine neue, vielleicht entscheidende Runde. Sogar die «Gulf News» aus Bahrain prophezeien für diese Saison weitere kämpferische Auseinandersetzungen. Die entscheidende Frage lautet nach wie vor: Wer braucht wen mehr?